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Leo Trepp:
Einer der letzten Augenzeugen

Er ist 93 Jahre alt und der letzte Rabbiner des deutschen Judentums. Leo Trepp wurde bereits 1935 ordiniert, musste 1938 aus Nazideutschland fliehen und machte in Kalifornien Karriere als Professor für jüdische Theologie und Philosophie. In Deutschland ist er seit Jahrzehnten im christlich-jüdischen Dialog engagiert. Trepp verfasste zahlreiche Standardwerke zum Judentum. Obwohl seine Mutter Selma von den Nazis ermordet wurde, besucht er Deutschland immer wieder und lehrt heute als Honorarprofessor an der Universität seiner Geburtsstadt Mainz. Igal Avidan sprach mit Leo Trepp in Berlin, wo er Vorträge zum Thema "Das Judentum zwischen den Kulturen" hielt.

tachles: Leo Trepp, Sie sind der letzte Rabbiner des deutschen Judentums. Was zeichnete diese Generation von Juden aus?

Leo Trepp: Deutsche Juden waren endlos lange in Deutschland. Meine Familie in Fulda reicht bis ins Jahr 1450 zurück. Dann kam die Aufklärung und Samson Rafael Hirsch, der sagte: "Ihr müsst Thora, Judentum, mit Derech Eretz, Weltkultur, verbinden." Das ist zum Teil gelungen, in der Frankfurter Austrittssynagoge zum Beispiel – sie war ganz deutsch und absolut orthodox. Alle trugen Talare und Talis darüber. Gleichzeitig wurde auf Deutsch gepredigt, und es gab deutsche liturgische Musik. Das Interesse für die deutsche Kultur war vorhanden. Das deutsche Judentum ist nicht von innen her zerfallen, sondern von aussen her vernichtet worden.

1932 kamen Sie nach Berlin, um am Rabbinerseminar zu studieren. Wie war die Stimmung nach Hitlers Machtergreifung?

Ganz schlimm. Wir lebten in einer totalen Unsicherheit: Mit mir studierte übrigens auch Josef Burg (später langjähriger israelischer Innenminister, Anm. d. Red.). Da fand gerade der grosse Fackelzug für Hitler statt, und ich sagte einem Freund aus Polen, Saul Weingort: "Wir werden wir viele Schikanen von den Nazis kriegen, aber das Grundgesetz können sie nicht ändern." Er antwortete: "Ich hoffe, du hast Recht. Aber du kommst aus Deutschland, ich komme aus Polen. Und da hat man gelernt, dass man das Grundgesetz ändern kann."

Nach dem Abschluss gingen Sie 1935 nach Oldenburg, um als Landesrabbiner der 15 kleinen Gemeinden ein wenig zu helfen. Da mussten Sie besonders vorsichtig predigen.

Die Gestapo-Leute sassen in der letzten Bank. Hätten sie sich verkleiden wollen, hätten sie eine Jarmulka aufgesetzt. Aber sie haben nichts aufgesetzt. So wussten wir, dass sie da waren. Und da habe ich in einer ganz seltsamen Weise gepredigt, von irgendeiner uralten Geschichte gesprochen. Aber die Gemeinde hat gewusst, dass ich mich nicht auf die alte Geschichte beziehe, sondern auf die Gegenwart.

In Oldenburg haben Sie 1938 auch die "Reichskristallnacht" erlebt.

Am Abend wurden alle Juden in einer Kaserne inhaftiert. Am Morgen mussten alle jüdischen Männer durch die Stadt an der zerstörten Synagoge vorbei marschieren. Irgendwie war man vollkommen gelähmt. Man hat sich die Nichtjuden angesehen, die gemütlich Pfeifen rauchten und sich das ansahen, grinsend und lachend. Und als ich dann allein in meiner Zelle sass, haute ich an die Wand und schrie: "Was habe ich denn gemacht?"

Ihre nächste Station war das Konzentrationslager Sachsenhausen ...

Wir wurden morgens früh aus den Baracken auf den grossen Paradeplatz geführt. Da kam der Kommandant und brüllte uns an: "Ihr seid der Abschaum der Menschheit, ihr taugt nichts. Was meine Männer euch tun, ist gerecht! Ihr verdient überhaupt nicht zu leben!" Und da habe ich das Gefühl gehabt, als Nächstes gibt er den Auftrag, uns alle totzuschiessen. Da war Gott bei mir im KZ. Ich habe "Vidui" und "Schma Israel" gesagt. Ich sagte: "Lieber Gott, ich sterbe für dich, wenn es nötig ist." Er hat uns dort nicht erschiessen lassen.

Und Ihnen gelang die Emigration nach England und später in die USA. Dort sind Sie Universitätsprofessor und konservativer Rabbiner. Was verstehen Sie unter "konservativ"?

Worte wie "konservativ" und "liberal" sind bedeutungslos, denn was man in Deutschland liberal nennt, ist in den USA konservativ. Frauen müssen dieselben Rechte wie die Männer haben. Eine Frau kann predigen und Rabbinerin werden und zur Thora aufrufen.

Das Oberrabbinat in Israel hat kürzlich beschlossen, Konversionen der meisten orthodoxen Rabbiner im Ausland nicht anzuerkennen. Wie bewerten Sie diesen Beschluss?

Ich finde es nicht sehr gut. In der Zeit von der Vertreibung nach Babylonien bis zum dritten Jahrhundert wuchs das Judentum von 150000 Juden auf rund sieben Millionen. Ganze Völker wurden jüdisch. Da gab es eine grosse Bereitschaft, Menschen ins Judentum aufzunehmen. Maimonides schrieb wunderbare Briefe an "Giurim". Eine solche Offenheit ist durchaus angebracht. Wenn ein Mensch aus innerem Bewusstsein Jude werden will, soll man ihn lassen. Auch eine Frau, die Jüdin werden will, um einen Juden zu heiraten. In Amerika gibt es Gemeinden, in denen die Hälfte einschliesslich des Rabbiners "Giurim" sind und unendlich viel für das Judentum tun.

Wie sollen sich die Rabbiner angesichts der zunehmenden Anzahl gemischter Ehen mit Kindern aus diesen Ehen verhalten?

Wenn der Vater jüdisch ist und die Mutter nicht jüdisch, kann man das Baby in die Mikwe eintauchen. Dann kommt das Kind als Jude heraus. Es kann sich dann entscheiden, wenn es Bar Mizwa feiert, ob es jüdisch werden will oder nicht. Die Konservativen debattieren viel die Frage, wie man die nicht jüdischen Ehepartner in die Gemeinde bringt. Man muss sie dahin bringen, dass sie das Schöne im Judentum anerkennen, und dann kommen sie von selbst.

Obwohl Ihre Mutter von den Nazis ermordet wurde, halfen Sie beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Oldenburg mit und sind seit Jahren im jüdisch-christlichen Dialog aktiv. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung jüdischen Lebens in Deutschland?

Nein. Der Antisemitismus ist wieder salonfähig geworden. Auf der einen Seite sind es die Nationalisten, auf der anderen Seite die Islamisten. Und Israel und die Juden sind der Sündenbock. Manchmal frage ich mich: Wie weit hat das, was ich zu tun wollte, gewirkt? Ich erziehe meist christliche Religionslehrer und Pfarrer und sage ihnen: "Ihr seid die besten Kämpfer gegen den Antisemitismus, und ihr müsst das auch tun." Den jungen Deutschen sage ich: "Ihr habt keine Schuld für die Taten eurer Grosseltern, aber eine Verantwortung: Deutschland muss das führende Land im Kampf gegen den Antisemitismus werden."

Sie sind einer der letzten Augenzeugen der Nazizeit. Befürchten Sie, dass die Schoah nach dem Tod der Überlebenden vergessen wird?

Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich hoffe nicht, aber ich habe Furcht.

© tachles, 07.07.2006, www.tachles.ch

hagalil.com 10-07-2006

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