Kunst und Politik:
"Jemand muss bleiben"
Ein Gespräch mit der Videokünstlerin
Ronni Shendar, einer Kuratorin des Jerusalemer C.Sides Festivals
Interview: Deniz Yücel
Jungle World
30 v. 26.07.2006
Wird das Festival wie geplant Ende August in Jerusalem
stattfinden?
Von heute aus betrachtet: Ja.
Es wäre das zweite C.Sides Festival. Was ist die Idee dabei?
Wir wollen ein nicht kommerzielles und unabhängiges Forum für elektronische
Musik und Medienkunst schaffen, an dem sich Künstler aus verschiedenen
Ländern auch mit politischen und historischen Fragen auseinandersetzen.
Sie stammen aus dem als links und säkular geltenden Haifa. Wie ist dort
die Stimmung?
Auf diese Frage wird man unterschiedliche Antworten bekommen, je nachdem,
wen man fragt. Viele Leute sind in Angst, aber es gibt auch andere. Als ich
neulich mit einem Musiker von dort sprach, war ich erstaunt, dass er von den
Katjuschas kaum etwas hört, weil er nur Musik im Kopf hat.
Wie sehen Sie das israelische Vorgehen im Libanon?
Es schockiert mich, es stimmt mich traurig, und ich halte es für fahrlässig.
Seit der Staatsgründung greift die israelische Politik leider immer auf
Gewalt zurück und schadet sich damit selbst. Wenn wir den Libanon angreifen,
zerstören wir auf absehbare Zeit jede Möglichkeit, Frieden mit unseren
Nachbarn zu schließen – wohlgemerkt: Ich spreche über die libanesische
Gesellschaft, nicht über die Hizbollah. Dass die sich jemals auf einen
Frieden einlassen wird, glaube ich nicht.
In der vorigen Woche sagte der Schriftsteller Etgar Keret in der Jungle
World: Wenn die Hizbollah die Grenze überquert und israelische Soldaten
angreift, kann ich selbst als Linker, der die Besatzung ablehnt, Israel
nicht der Aggression bezichtigen.
Über die Absichten der Hizbollah oder der Hamas mache ich mir keine
Illusionen, ebenso über die Absichten Syriens oder des Iran. Sie wollen
Israel provozieren. Aber das heißt nicht, dass es für die Eskalation nur
einen Verantwortlichen gibt. Das gilt ebenso für den Konflikt in den
besetzten Gebieten. Die Angriffe der Hizbollah sind ein ernstes Problem,
unter dem die Menschen im Norden leiden. Aber die israelische Operation
wird, selbst wenn sie kurzfristig erfolgreich ist, einer dauerhaften Lösung
schaden. Wir müssen nach zivilen Lösungen suchen.
Die meisten Israelis halten diese nicht für möglich.
Und darin liegt das Problem. Natürlich gibt es Raketenangriffe und
Selbstmordattentate, gibt es reale Gründe für die Angst der Leute. Diese
führen aber dazu, dass die meisten Israelis überhaupt nicht wahrnehmen, was
um sie herum passiert, dass nur die wenigsten wissen, wie der Alltag der
Menschen in den besetzten Gebieten aussieht, dass viele pauschal jedem
Palästinenser misstrauen. Anders die Palästinenser. Viele von ihnen sprechen
Hebräisch, haben hier gearbeitet, lange Zeit nur israelische Nachrichten
gehört usw., so dass sie die israelische Gesellschaft viel besser kennen,
als es umgekehrt der Fall ist.
Viele Israelis, die in westlichen Medien zu Wort kommen, scheinen Israel
nur als Besatzungsmacht oder nur als Opfer von Aggressionen wahrzunehmen.
Beide Realitäten zugleich zu denken, ist in der Tat schwierig. Ich war mit
18 eine glühende Zionistin, meldete mich aus Überzeugung für den Wehrdienst
und schlug danach eine Laufbahn als Offizierin der Luftwaffe ein. Später
wurde ich zur »hauptberuflichen« politischen Aktivistin. Auch in dieser Zeit
hatte ich ein eher vereinfachtes Denken und hielt den Zionismus für eine
imperialistische Ideologie. Nun verleugnete ich es, eine Israeli zu sein
oder stellte mich als »andere Israeli« vor. Und irgendwann begriff ich, dass
Israel mein Zuhause ist, nicht mehr und nicht weniger. Zu dieser Einsicht
trug mein Aktivismus ebenso bei wie meine Zeit bei der Armee.
Eine solche Erfahrung haben Leute aus oppositionellen Milieus in anderen
Ländern in der Regel nicht.
Israel ist in vieler Hinsicht einzigartig, im Guten wie im Schlechten. Ich
möchte meine Erfahrungen beim Militär nicht missen, schon deshalb, weil sie
mir zeigen, dass Menschen ihre Überzeugungen ändern können. Aber es sollte
jedem freigestellt bleiben, ob er sein Land mit Waffen verteidigen will oder
nicht.
Am Sabbat standen Sie für das Interview nicht zur Verfügung. In
Deutschland achtet kaum ein linker Intellektueller derlei religiöse
Traditionen.
Für mich ist das keine religiöse, sondern eine kulturelle Tradition. Der
Sabbat ist der Tag, an dem die Familie zusammenkommt, was uns viel bedeutet.
Ich weiß, dass viele Linke in Deutschland nur wenig oder gar keinen Kontakt
zu ihren Familien haben. Das ist in Israel anders, was daran liegen mag,
dass fast alle Israelis als Einwanderer ins Land kamen, die Angehörige im
Holocaust verloren hatten. Deshalb genießt die Familie und Ehe einen hohen
Stellenwert, auch unter Jugendlichen oder Linken.
Und die israelische Kunst? Worin unterscheidet die sich von der aus
westlichen Ländern?
Diese Frage kann ich als 27jährige nur für mein Umfeld und für meine
Generation beantworten. Der größte Unterschied liegt darin, dass israelische
Künstler unter viel schwierigen Umständen produzieren – die Ausbildung, das
Equipment … Wenn ich in Deutschland bin, muss ich jedes Mal über die
dortigen Möglichkeiten staunen. Ansonsten setzt sich der Mainstream der
jungen Künstler nicht mit dem auseinander, was in der Gesellschaft passiert,
sondern versucht, vorhandene ästhetische Formen zu kopieren. Es fehlt an
Inhalten.
Ja? Ich hatte immer den Eindruck, dass israelische Künstler viel
politischer sind. Auch auf dem C.Sides Festival soll es um politische und
geschichtliche Themen gehen.
Aber nur ein Teil der Künstler interessiert sich für solche Fragen, nicht
zuletzt deshalb organisieren wir das Festival. Vielleicht ist gerade die
Tatsache, dass das Leben in Israel so sehr von politischen Dingen bestimmt
wird, der Grund dafür, warum sich insbesondere viele junge Künstler davon
abwenden und sich eher darum kümmern, was Künstler in aller Welt machen, als
darum, was in ihrem Land passiert. Kunst wird zu einem Mittel, um der
Realität zu entfliehen.
Gerade ist eine CD zum Festival erschienen. Gibt es eine spezifische
elektronische Musik aus Israel?
In diesem Land wird alles Mögliche produziert, und einiges ist tatsächlich
spezifisch, vor allem von der Musik aus Jerusalem, wo ich lebe. Diese Stadt
ist unverwechselbar – bizarr und anstrengend, düster und charmant; eine
Stadt, die unsereins zugleich liebt und hasst. Und manche Musik drückt
dieses Jerusalem-Gefühl aus.
Dennoch verlassen viele junge Leute Israel, weil sie dort kein normales
Leben für möglich halten. Haben Sie je darüber nachgedacht?
Klar. Ich habe in den USA gelebt und plane, ab dem nächsten Jahr in
Deutschland als Postgraduierte Medienkunst zu studieren. Ich muss hier für
eine Weile raus! Und zugleich weiß ich, dass Israel mein einziges Zuhause
bleiben wird und ich zurückkommen werde. Wir können schließlich nicht alle
in die USA oder nach Europa gehen, jemand muss hier bleiben und dafür
sorgen, dass diese Region nicht zur Hölle fährt.
hagalil.com 28-07-2006 |