Israelisches Kriegsschiff getroffen:
Iranische Rakete mit chinesischer Technologie
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Das israelische Raketenboot vom Typ Saar 5 mit etwa 80
Besatzungsmitgliedern an Bord erhielt mit einer C-802 Rakete einen
Volltreffer vor der Küste des Libanon. Israelische Militärs äußerten sich
irritiert über den Treffer dieser Rakete, da das Kriegsschiff mit modernsten
Spürgeräten ausgestattet sei, die derartigen Raketenbeschuss bemerken und
abwenden könnten.
Das Schiff wurde an der Kommandobrücke getroffen. Es brach ein Brand
aus. Munition an Bord explodierte. Vier Besatzungsmitglieder wurden
vermisst. Man wusste nicht, ob sie durch den Einschlag der Rakete ins Meer
geschleudert wurden, oder ob sie in den glühenden und deshalb unzugänglichen
Räumen an Bord waren. Am Samstag morgen wurde offiziell mitgeteilt, dass die
Leiche eines Vermissten gefunden worden sei.
Die von der Hisbollah eingesetzte C802 Rakete stamme aus iranischen
Beständen und wurde mit chinesischer Technologie konstruiert. Es handelt
sich um die Land zu See Version der See zu See Rakete vom Typ C801. Nach
Angaben amerikanischer Militärexperten setze die iranische Marine im
persischen Golf Patrouillenboote ein, mit jeweils vier C801 See zu See
Raketen bestückt. Diese Raketen mit einem Turbojet-Motor haben eine
Reichweite von 120 Kilometern, fliegen in fünf Metern Höhe über der See und
erreichen beim Einschlag in das Ziel eine Geschwindigkeit von 1.013
Stundenkilometern.
Der amerikanische Experte Harold C. Hutchison behauptet, dass iranische
Patrouillenboote mit diesen Raketen für die hochgerüsteten amerikanischen
Kriegsschiffe "wohl eher sitzende Enten" seien. Der Volltreffer auf das
israelische Boot, das mit ähnlich guter Elektronik ausgerüstet sein dürfte,
wie die amerikanischen Schiffe im persischen Golf vor der Küste des Iran,
wird auch die Amerikaner aufschrecken.
Der Einsatz dieser Rakete durch die Hisbollah im Libanon ist nur ein
weiterer Beweis für israelische Behauptungen seit Jahren, wonach Iran die
Hisbollah mit über 10.000 Raketen modernster Bauweise ausgestattet habe, um
mit Hilfe dieser libanesischen Miliz und Terrororganisation jeden Punkt in
Israel treffen zu können. Eine Mittelstreckenrakete auf Haifa war ein erster
Beweis für die Existenz von Raketen mit größerer Reichweite. Israel redet
von einer Fähigkeit der Hisbollah, mit Fadscher-Raketen Ziele in Israel bis
zu 70 Kilometer südlich der Grenze treffen zu können. Bisher wurden nur
Katjuscharaketen, sogenannte Stalinorgeln, mit einer maximalen Reichweite
von 40 Kilometern nur Naharija, Safed und am Samstag sogar auf Tiberias am
See Genezareth erreichen.
Der Treffer in Haifa kündigte eine strategische Wende an, da nun auch die
petrochemische Industrie Israels in der Bucht von Akko gefährdet sei. Der
Schaden durch Raketen auf dieses Gebiet hätte nicht nur wirtschaftliche und
militärstrategische Bedeutung. Wegen der dort produzierten und eingelagerten
hochgiftigen, brennbaren und teilweise auch hochexplosiven Chemikalien,
könnten Brände und Explosionen in diesem Industriegebiet enorme menschliche
Verluste im Großraum Haifa verursachen und Umweltschaden in ganz Galiläa.
Der Abschuss der Rakete auf Haifa war wahrscheinlich eine Panne. Die
Hisbollah "dementierte", überhaupt auf Haifa gezielt zu haben. Ein örtlicher
Kommandeur der Hisbollah könnte einen Wink seines Chefs Hassan Nasrallah
falsch verstanden haben. Der hatte Israel angedroht, Haifa beschießen zu
wollen, falls Israel die schiitischen Viertel im Süden von Beirut angreifen
sollte, wo inzwischen die Wohnung und das Büro von Nasrallah in Schutt und
Asche gelegt worden ist. Doch zu dem Zeitpunkt brannten nur die Benzintanks
am Flughafen von Beirut, in der Nähe dieser Viertel. Die Hisbollah beeilte
sich mit dem Dementi, weil sie offenbar zu diesem Punkt noch nicht ihre
militärischen Fähigkeiten bloßlegen wollten. So aber verloren sie vorzeitig
die Möglichkeit, Israel noch zu überraschen. In Beirut wird behauptet, dass
nicht die Hisbollah, sondern die palästinensische Gruppe um Ahmed Dschibril
die Rakete auf Haifa abgeschossen habe. Sie stamme aus Beständen der
syrischen Armee und seien vor dem syrischen Rückzug aus Libanon den
Palästinensern überlassen worden.
Wie der Bürgermeister von Haifa, Jona Jahav, verriet, war der Sprengkopf der
Raketen mit winzigen Metallkugeln durchsetzt. Eine der Kugeln, die auch aus
einem Kugellager stammen könnte, hatte der Bürgermeister an der
Einschlagsstelle aufgesammelt und in die Tasche gesteckt. Ähnlich wie
Muttern und Schrauben in Sprengjacken palästinensischer
Selbstmordattentäter, sollen die Kugeln die tödliche Wirkung der Explosion
erhöhen.
Es ist anzunehmen, dass der Einsatz von derartiger Streumunition
international geächtet ist, ganz besonders beim Einsatz mitten in ziviler
Umgebung wie einer Großstadt. Wegen der Gefahr, von solchen Metallkugeln
getroffen zu werden, wurden die Menschen im Norden Israels ab Haifa
aufgefordert sich möglichst in geschützten Räumen und nicht im Freien
aufzuhalten. |