Nach der Bücherverbrennung:
Böse Journalisten!
Nach einer von Rechtsextremisten
inszenierten Bücherverbrennung möchte das Dorf Pretzien in Sachsen-Anhalt
seinen Ruf retten.
Von Matthias Gärtner
Jungle World 28 v.
12.07.2006
Zu einem Tanz zur Sommersonnenwende mit Kulturprogramm und
einem hübschen Feuer hatte der Verein "Heimat-Bund Ostelbien" in das
sachsen-anhaltinische Dorf Pretzien geladen. Gut 80 der 900 Seelen folgten
der freundlichen Einladung, die per Flugblatt oder Plakat ausgesprochen
worden war. Der Verein, der für das Schreiben der Dorfchronik zuständig ist,
organisiert regelmäßig Volksfeste und richtete auch die Faschingsparty aus.
Bürgermeister Friedrich Harwig von der Linkspartei selbst zählt zu seinen
Mitgliedern.
Für den Abend des 21. Juni hatten sich die zumeist jungen, männlichen
Mitglieder des Heimatbundes etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Kurz
nach Einbruch der Dunkelheit wurden die Gäste auf die Wiese hinter dem
Gemeindehaus gebeten. Sechs Jugendliche mit dunkler Kleidung, von denen
einer ein Shirt mit der Aufschrift "Wehrmacht Pretzien" trug, hielten
Fackeln in den Händen und verteilten sich auf dem Gelände. Martialische
Reden zur Sonnenwende wurden gehalten, in denen die Worte "Irak-Krieg" und
"USA" gefallen sein sollen. Einige der Anwesenden applaudierten, als eine
amerikanische Flagge verbrannt wurde.
Dann forderte ein Jugendlicher dazu auf, ins Feuer zu werfen, was man für
verbrennungswürdig halte. Mit den Worten "Hiermit übergebe ich Anne Frank
dem Feuer" warf ein junger Mann ein Buch in die Flammen. Es handelte sich um
das Tagebuch der 15jährigen Jüdin, in dem sie die Verfolgung ihrer Familie
bis zum Abtransport ins Konzentrationslager beschrieb. Nach der Aussage von
Zeugen habe die anwesende Dorfbevölkerung erst in diesem Moment verstanden,
welcher Art von Spektakel sie beiwohnte. Eine Mitarbeiterin des
Ordnungsamtes Schönebeck, die auch Mitglied im Heimatbund ist, griff ein und
setzte dem Treiben ein Ende.
Eine gute Woche später berichtete eine regionale Zeitung von der
"Sonnenwendfeier" in Pretzien und rief mit dem Artikel große Empörung
hervor. Bürgermeister Harwig nannte die Aktion der Neonazis eine
"riesengroße, dumme Blödheit". Dennoch wollte er zuerst mit dem im Urlaub
weilenden Vorsitzenden des Heimatbundes reden, ehe er weitere Konsequenzen
ziehe. Dieser wiederum heißt Christian Seidel und ist seit Jahren in der
Neonaziszene der Region eine bekannte Größe. Sein Verein fand bereits im
Jahr 2000 bei den Sicherheitsbehörden des Landes Erwähnung. Im
Verfassungsschutzbericht jenes Jahres wird eine Skinheadkameradschaft
"Ostelbien-Pretzien" genannt, die auch unter der Bezeichnung "Heimat-Bund
Ostelbien" firmiere.
"Wie schon im Vorjahr waren die Angehörigen der Kameradschaft Teilnehmer und
Ausrichter von Sonnenwendfeiern", heißt es dort. Ab dem Jahr 2001 wurde der
Verein in den entsprechenden Berichten nicht mehr erwähnt. Ob das damit zu
tun haben könnte, dass der frühere Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) in
Pretzien wohnt und gern mal mit den Jungs vom Heimatbund für Fotos posiert?
Harwigs Vorhaben ist es schon seit längerem, rechte Jugendliche nicht etwa
auszugrenzen, sondern, wie er es formulierte, "durch sanfte Unterwanderung
auf den Pfad der Tugend zurückzuführen". Obwohl genau das Gegenteil
eingetreten ist, verteidigt er weiterhin seine Vorgehensweise. Darüber
hinaus verbittet sich der als beratungsresistent geltende Bürgermeister die
Einmischung Ortsfremder. Eine Journalistin der Süddeutschen Zeitung etwa
bekam am Telefon zu hören: "Ich esse gerade zu Mittag. Befassen Sie sich mit
Ihren eigenen Dingen, recherchieren Sie in Ihrem eigenen Gebiet." Im Dorf
ist er beliebt, weil er viel für den Ort getan habe. Ein Gemeindehaus, ein
Kindergarten und ein Sportlerheim wurden auf seine Initiative hin neu
gebaut.
Auf einer kurzfristig einberufenen Bürgerversammlung am 5. Juli, an der über
150 Personen teilnahmen, entlud sich die Wut gegen die Pressevertreter,
deren Berichte dem Ruf des Dorfes geschadet hätten. Auch die Gattin des
ehemaligen Innenministers soll unter jenen gewesen sein, die ein Kamerateam
traktierten. Ein Beobachter nannte die Versammlung im Gespräch mit der
Jungle World ironisch "eine Sternstunde der Demokratie". Es sei keinerlei
Bereitschaft zu erkennen gewesen, sich kritisch mit dem Geschehen
auseinanderzusetzen.
In einer Erklärung entschuldigten sich drei der an der Bücherverbrennung
beteiligten Neonazis bei der Gemeinde, beim Bürgermeister und beim
ehemaligen Minister dafür, den Ort in ein schlechtes Licht gerückt zu haben.
An die eingeladenen Vertreter der Anne-Frank-Stiftung richtete niemand ein
Wort der Entschuldigung.
Stattdessen sagte eine junge Frau, dass sie die Presse als das Hauptübel
betrachte: "Noch entsetzter als über die Tat bin ich über die Zeitung." Auch
einen älteren Herrn hatte die Art und Weise der Berichterstattung mehr
erregt als der Vorfall selbst, wie er sagte. Ähnlich sieht das offenbar der
Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer (CDU), der in einem
Interview mit der Netzeitung sagte: "Wir müssen damit rechnen, dass sich
scharenweise Journalisten auf uns stürzen, um uns in ein schlechtes Licht zu
stellen. Wir werden versuchen, da deutlich gegenzusteuern." Große Zustimmung
gab es während der Versammlung für die Forderung, sich geschlossen hinter
den Bürgermeister zu stellen.
In der Linkspartei gehen die Meinungen über den Umgang mit den Geschehnissen
in Pretzien auseinander. Der Parteivorsitzende und der Fraktionsvorsitzende
des Landes, Matthias Höhn und Wulf Gallert, forderten, gleich nachdem die
Bücherverbrennung bekannt geworden war, den Rücktritt Harwigs vom
Bürgermeisteramt und seinen Austritt aus der Partei. Tatsächlich hat er
inzwischen die Partei verlassen. Auch der "Heimat-Bund Ostelbien" hat sich
aufgelöst. Nur was die rechten Jugendlichen angeht, ist man ratlos. Sabine
Dirlich, eine Landtagsabgeordnete der Linkspartei, sagte: "'Nazis raus!' ist
ja eine schöne Forderung. Aber wo sollen sie denn hin?"
Die Ratlosigkeit soll bald ein Ende haben: Matthias Höhn will in Kürze ein
Papier vorlegen, das Handlungsanleitungen für Kommunalpolitiker im Umgang
mit Rechtsextremismus bietet.
hagalil.com
13-07-2006 |