Interview mit Volker Perthes:
Ahmadinedschad wird sich wenig um Sanktionen
scheren
Im Iran kämpfen drei Fraktionen um die
Vorherrschaft, sagt der Iranexperte Volker Perthes im Gespräch mit der
Netzeitung. Nur die Radikalen um Ahmadinedschad glauben, sie könnten im
Atomstreit gewinnen.
Interview: Igal Avidan
Netzeitung v. 13. Juli 2006
Die Erwartungen der US-Regierung, noch
vor Beginn des G8-Gipfeltreffens in Sankt Petersburg am Samstag eine
offizielle Antwort Irans auf das jüngste Angebot im Atomstreit zu bekommen,
wurden enttäuscht. Weder der EU-Außenbeauftragte Javier Solana noch der
iranische Chefunterhändler Ali Laridschani konnten am Dienstag irgendwelche
Ergebnisse vorweisen.
Deutschland und die fünf UN-Vetomächte USA, Frankreich,
Großbritannien, Russland und China haben dem Iran eine enge Zusammenarbeit
bei der zivilen Nutzung der Atomenergie angeboten, falls das Land sein
Urananreicherungsprogramm stoppt. Der Sekretär des Nationalen
Sicherheitsrates, Laridschani sagte, man brauche Geduld und mehr Zeit, aber
der Konflikt werde durch Verhandlungen zu lösen sein. Die iranische Führung
will eine endgültige Antwort bis Anfang August geben.
Igal Avidan sprach mit dem Iran-Experten Volker Perthes,
Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, über den Atomstreit mit Iran
und die Machtkämpfe in der iranischen Führung.
Netzeitung: Herr Perthes, will Iran
Nuklearwaffen herstellen?
Volker Perthes: Drei
unterschiedliche Fraktionen in der iranischen Elite verfolgen drei
verschiedene Ziele. Die "Globalisierer" sind in erster Linie am technischen
und wirtschaftlichen Fortschritt ihres Landes interessiert und wollen das
Atom friedlich nutzen.
Die "Realpolitiker" – mit denen gerade verhandelt wurde –
wollen sich alle Optionen offen halten, auch die der militärischen Option.
Sie wollen im Zweifelsfall die Fähigkeit haben, eine Atomwaffe herzustellen.
Als Realisten sind sie dann aber auch bereit, wenn der sicherheitspolitische
Preis stimmt, ein Abkommen zu machen.
Die islamo-nationalistische Rechte um Ahmadinedschad
schließlich interessiert sich überhaupt nicht dafür, was der Westen über sie
denkt. Sie haben das Gefühl, dass sie in dieser weltpolitischen Situation
alles durchsetzen können. Sie scheren sich auch um Sanktionen wenig.
Netzeitung: Ist die
iranische Verzögerungspolitik ein Hinweis auf einen Machtkampf in der
iranischen Führung?
Perthes: Das ist eine
zutreffende Beschreibung. Man ringt dort um Kompetenzen. Der iranische
Präsident Mahmud Ahmadinedschad versuchte in seinem ersten Jahr im Amt,
seine eigenen Kompetenzen auf Kosten anderer in der politischen Elite
auszuweiten. Das ist einigen in der Führung zu weit gegangen. Daher hat der
religiöse Führer Ali Chamenei einen Aufsichtsrat für außenpolitische Fragen
eingesetzt.
Der Nationale Sicherheitsrat wiederum, das oberste
sicherheitspolitische Gremium, das von Khamenei kontrolliert wird, ist
zuständig für die Atompolitik. Aber der Präsident kann dennoch von den
Seitenlinien her die Atomverhandlungen erschweren oder torpedieren.
Netzeitung: Etwa durch
seine Drohungen, Israel auszulöschen, und seine Leugnung des Holocaust.
Perthes: Seine Äußerungen im
ersten halben Jahr seiner Amtszeit waren dazu gedacht, seine eigene Basis in
Iran zu stärken und Kompetenzen auf Kosten anderer auszuweiten. Die komplexe
Struktur der Machtverhältnisse in Iran erklärt, warum die Iraner so lange
brauchen, um eine Antwort auf das westliche Angebot zu finden. Der Prozess,
in dem Chamenei am Schluss einen Konsens schaffen will, ist sehr schwierig.
Netzeitung: Ist absehbar,
welche Fraktion den Machtkampf in Teheran gewinnen wird?
Perthes: Die besten Karten
haben die Realpolitiker, die von den führenden Figuren im Nationalen
Sicherheitsrat wie Laridschani repräsentiert werden. Sie wollen sich alle
Optionen offen halten, also die friedliche Nutzung und die militärische
Option. Sie sind aber auch bereit, einige Optionen aufzugeben oder
einzuschränken, wenn sie einen guten Preis erlangen können –
Sicherheitsgarantien, ökonomischen Fortschritt, Anerkennung als regionale
Großmacht, Prestige, wirtschaftliche und technische Hilfe.
Netzeitung: In Ihrem neuen
Buch beschreiben sie die zwiespältige Haltung Irans zu den USA. Zum einen
gilt Amerika als der Feind, den manche glauben, besiegen zu können.
Andererseits sind die USA der begehrteste Studienort junger Iraner. Können
Sie diese Widersprüchlichkeit erläutern?
Perthes: Diese gibt es
tatsächlich. Die Realpolitiker in Iran wollen das Gespräch mit den USA, weil
sie Angst nur vor den USA haben, nicht von Europa oder Israel. Deswegen
wollen sie mit den USA ihre eigene Sicherheit gewährleisten. Sie wollen aber
mit der einzigen Großmacht auf gleicher Augenhöhe reden.
Die Studenten wiederum wollen in die USA, weil sie darin
das Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten sehen. Zum Teil
sehen sie gerade aus Opposition zum kulturell engstirnigen eigenen Regime in
den USA die Verheißung. Sogar in einer Universität des iranischen
Außenministeriums, wo Kader ausgebildet werden, sagen die Professoren:
Unsere Studenten, die sich auf eine Karriere im iranischen System einlassen,
würden ihre Post-Graduate-Ausbildung am liebsten in den USA durchführen.
Netzeitung: Sehen Sie eine
Chance, dass im Rahmen eines Deals über die Atomfrage Präsident
Ahmadinedschad gestürzt werden könnte?
Perthes: Dass der Nationale
Sicherheitsrat Ahmadinedschad aufgibt und dafür Sicherheitsgarantien von den
USA bekommt? Die Perser haben zwar das Schachspiel erfunden. Aber auf dem
Schachbrett spielt man nicht mit dem eigenen König, der in diesem Fall
Chamenei heißen dürfte, und auch nicht mit der wild gewordenen Dame, also
Ahmadinedschad.
In Iran gibt es außerdem eine tief verwurzelte
Orientierung an der Verfassung. Die größte Chance für Iran ist es,
Ahmadinedschad, der eine Katastrophe für die iranische Wirtschaft ist, bei
den nächsten Wahlen in drei Jahren loszuwerden.
Netzeitung: Die iranische
Führung argumentiert nicht wie viele arabische Politiker, dass die
islamische Republik über militärische Nukleartechnologie verfügen müsse,
weil Pakistan und Israel Kernwaffen besitzen. Warum eigentlich nicht?
Perthes: Nur sehr wenige
Iraner – und nicht unbedingt die Schlauen – ziehen diesen Vergleich. Die
einflussreichen Mitglieder der politischen und intellektuellen Elite
vergleichen an anderer Stelle: Iran vor und nach der Revolution. Sie sagen:
"Solange der Schah an der Macht war, hat der Westen uns die Tür eingerannt,
alle wollten uns Atomkraftwerke verkaufen. Es hat den Westen nicht gestört,
dass der Schah weitergehende Pläne für die Atomentwicklung hatte. In dem
Moment aber, wo ein anderes Regime in Iran herrscht, wollt ihr uns nicht
einmal zivile Nukleartechnologie zur Verfügung stellen."
Araber sprechen häufig von "doppelten Standards" in Bezug
auf Israel. Iraner hingegen entdecken die "doppelten Standards" des Westen
aber im Vergleich mit dem Schah-Regime.
Netzeitung: Der Schah mag
ein Despot gewesen sein, aber er hat niemand mit der Vernichtung gedroht.
Perthes: Das haben zur Zeit
des Schahs möglicherweise einige der arabischen Nachbarn anders gesehen. Sie
sahen, dass der Schah nach einer regionalen Hegemonie strebte. Die Bedrohung
Israels durch die Äußerungen des iranischen Präsidenten wird im Nationalen
Sicherheitsrat, und ich habe mit einigen dieser Vertreter gesprochen, als
ausgesprochen störend empfunden. Es hieß dort, man könne mit Israel ganz gut
zusammen leben, wenn auch nicht in tiefer Freundschaft, denn man hat
ideologische Konflikte.
Man sagt dort außerdem: Wenn die Israelis und die
Palästinenser sich auf irgendetwas einigen, werden wir nicht
palästinensischer sein als die Palästinenser. Wir haben keinen direkten
Konflikt mit den Israelis. Ahmadinedschads antisemitische und
anti-israelische Äußerungen haben in der breiten Bevölkerung sehr wenig
Unterstützung.
In der iranischen Stadt Yazd haben mir lokale Größen aus
der Handelskammer gesagt, wie stolz sie darauf sind, dass Yazd zwei lebende
Präsidenten hervorgebracht hat: Nämlich den früheren iranischen Präsidenten
Chatami und den israelischen Präsidenten Katzav.
Von
Volker Perthes ist eben erschienen:
Orientalische Promenaden
Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch
Siedler Verlag, 416 Seiten
Euro 19,95
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