Der deutsche Pazifismus ist verlogen:
Eine Anmerkung zum iranisch-israelischen Krieg
Von Matthias Küntzel
Ungeduldig zog ich gestern Die Zeit und die Jüdische Allgemeine
aus dem Briefkasten. Ich wollte wissen, ob Israels Offensive gegen die
Marionetten des Iran wenigstens hier unterstützt und endlich ein "Bravo
Israel!" zum Ausdruck gebracht wird.
Bravo Israel ! – weil dieses Land einen gerechten Kampf im eigenen Interesse
und im Interesse der gesamten westlichen Hemisphäre führt. Der Islamismus
hat Israel an zwei Fronten angegriffen, um seinem erklärten Kriegsziel -
"Vorherrschaft und Vernichtung" (Josef Joffe) – näher zu kommen. Dieser
Bedrohung seiner Existenz musste Israel entgegentreten. Doch dies ist nur
der eine Aspekt. So wie die Besetzung des Gazastreifens und des Südlibanons
nicht die Ursache, sondern lediglich der Anlass für den islamistischen
Terror war, so ist der Nahostkonflikt für Teheran nicht die Ursache, sondern
lediglich der Ansatzpunkt, um langfristig mit dem Westen und dessen
säkularer Orientierung aufzuräumen.
Ahmadinejad macht auch aus seinem erweiterten Programm keinen Hehl. Als der
iranische Präsident im Oktober 2005 die Eliminierung Israels erstmals
lautstark propagierte, fügte er hinzu: "Wir stehen inmitten eines
historischen Krieges, der seit Hunderten von Jahren andauert" – ein Krieg
also, der keineswegs mit dem Nahostkonflikt begann. "Der gegenwärtig in
Palästina stattfindende Krieg", so Ahmadinejad weiter, sei nichts weiter als
"die vorderste Front der islamischen Welt gegen die Welt der Arroganz." Die
vorderster Front ist niemals die einzige Front, wie zuletzt die
Botschaftszerstörungen aus Anlass der dänischen Karikaturen bewiesen.
Ahmadinejad fährt fort: "Wir müssen uns die Niedrigkeit unseres Feindes
bewusst machen, damit sich unser heiliger Hass wie eine Welle immer weiter
ausbreitet." Dieser "heilige Hass" ist bedingungslos. Er lässt sich durch
keine Variante jüdischen oder nicht-jüdischen Verhaltens – sofern es sich
nicht um die totale Unterordnung unter Scharia und Koran handelt -
abmildern. Diesem "Hass" ist mit Israels Vernichtung kein Genüge getan. Auch
die Welt des Unglaubens - die Welt der "Arroganz" gegenüber Gott -
soll daran glauben. Der genozidale Hass soll sich unaufhaltsam wie eine
Welle und "immer weiter", letztlich global, ausbreiten. Als Hilfsmittel
kündigt die iranische Führung die Entsendung tausender schiitischer
Selbstmordattentäter in alle Himmelsrichtungen an. Wenn sich heute die
Frauen und Männer der israelischen Streitkräfte unter Einsatz ihres Lebens
dieser islamistischen Apokalypse an "vorderster Front" entgegenstellen,
schulden wir ihnen dann nicht zumindest unseren Dank?
Bravo Israel! - auch für Art und Weise, mit der die Regierung Olmert bislang
ihre militärische Offensive in eine politisch transparente Strategie
einzubinden verstand. Jeder Schritt ist nachvollziehbar: Zum einen erkennt
Israel den Libanon als souveränen Staat an, der deshalb für den Überfall der
Hizbollah vom 12. Juni 2006 die Verantwortung trägt. In der Tat
gehören der libanesischen Regierung ein Mitglied und zwei Sympathisanten der
Hizbollah an, darunter der libanesische Außenminister Fawzi Salloukh, der
anlässlich der Konferenz der Arabischen Liga am 15. Juli 2006 unzweideutig
das Anliegen der Hizbollah im Namen seines Landes vertrat.[1]
Zum anderen ist Israels Kriegsziel klar definiert: "Wir praktizieren ...
originäre Selbstverteidigung", erklärte Regierungschef Ehud Olmert am 17.
Juli vor der Knesset. "Wir kämpfen um das Recht auf ein normales Leben."[2]
Deshalb werden mit den Kampfmaßnahmen folgende Einzelziele verfolgt: a.
Umsetzung der UN-Resolution 1559 (Entwaffnung der Hizbollah), b. Umsetzung
der UN-Resolution 5241 (alleinige Kontrolle des südlichen Libanon durch die
offizielle libanesische Armee), c. bedingungslose Rückgabe der entführten
israelischen Soldaten.
Diesen Zielen ist die israelische Kriegsführung untergeordnet: Die
Infrastruktur des Libanon wird zerstört, sofern sie für die Aufrüstung und
Kriegsführung der Hizbollah relevant ist. Mit Flugblättern und
Radiosendungen wird die libanesische Zivilbevölkerung vor Einsätzen in
Wohngebieten (die die Hizbollah gezielt als militärische Stützpunkte nutzt)
gewarnt. Während die Hizbollah mit Streubomben auf israelische
Bevölkerungszentren zielt, um möglichst viele Unschuldige zu töten, sucht
Israel die Zahl der zivilen libanesischen Opfer so gering wie möglich zu
halten, auch wenn dies die Einsätze erheblich erschwert.
Dennoch war von einem "Bravo Israel!" in den gestrigen Leitartikeln der
Zeit und der Jüdischen Allgemeinen keine Rede. Stattdessen sah
die Jüdische Allgemeine Israel – so die fatalistische Schlagzeile -
"In der Falle". Zwar räumt Chefredakteur Christian Böhme ein, dass Israel
kaum anders habe reagieren können, als es reagierte. "Dennoch kann man
Israel einen Vorwurf machen: Es hat sich in eine Falle locken lassen, ist
den Terroristen auf den Leim gegangen." Die eigentlichen Profiteure, deren
Pläne nunmehr aufgegangen seien, "sitzen in Teheran und Damaskus, reiben
sich angesichts der Gewalt fröhlich die Hände und haben an einem Ende des
blutigen Konflikts kein Interesse."[3]" Doch
gebe es im finsteren Tunnel auch ein Licht: "Eine Pufferzone im Süden
Libanons könnte ein diplomatischer Ausweg sein."
Noch skeptischer äußerte sich Die Zeit. Unter der Schlagzeile
"Gefährdet und gefährlich. Die Welt muss Israel helfen, sich zu wehren –
aber auch, Maß zu halten" schreibt Michael Thumann: "Israelische
Streitkräfte attackieren den Libanon – aber schwächen sie damit die
libanesische Hizbollah wirklich?" Hizbollah-Chef Nasrallah "setzt auf
Israels Fehler. ... Ihm behagt auch das Zurückgleiten des Libanons in den
Dunstkreis Syriens." Als Ausweg schlägt auch Thumann eine hoch gerüstete
UN-Friedenstruppe im südlichen Libanon vor. Sein Beitrag endet mit dem
Plädoyer für einen Waffenstillstand: "Im Libanon entscheidet sich, ob
Teherans Einfluss in der Region wächst oder schrumpft. Iran ist noch aus
jedem Krieg seit dem 11. September erfrischt hervorgegangen. Eine Waffenruhe
kann dieses Muster brechen."[4]"
Beide Leitartikel vermitteln den Eindruck, als habe sich Israel mit seiner
massiven militärischen Antwort auf ein gefährliches Gleis begeben, dass es
so schnell wie möglich wieder verlassen sollte, da der Krieg in erster Linie
seinen Gegnern nützt. Die Legitimität des israelischen Vorgehens wird zwar
nicht durchgängig bestritten, dessen Ratio jedoch massiv in Frage gestellt.
Statt "Bravo Israel!" ein "Auweia Israel!" Doch was, um Himmels willen, ist
am Vorgehen der israelischen Streitkräfte eigentlich verkehrt?
Erstens ist das Ziel, Israel zu vernichten, für genozidale Islamisten nicht
verhandelbar, betrachten sie doch ihr Zerstörungswerk als eine religiöse
Pflicht. Sie sind es, die tagaus tagein den Antisemitismus, ihre
Märtyrerideologie und den Kult des Selbstmordattentats propagieren und
Israel wie den Westen insgesamt mit ihren Kriegserklärungen überziehen. Wenn
sie mit Raketen angreifen, hilft nur militärische Gewalt.
Zweitens wird die Hizbollah ihre Waffen genauso wenig freiwillig abgeben,
wie die Hamas. Also setzt selbst schon die Realisierung des zweifelhaften
Vorschlags, den Südlibanon durch "robuste" UN-Truppen zu sichern, die
gewaltsame Entwaffnung der Terror-Organisation voraus. Je länger sich Israel
auf diese Aufgabe konzentrieren kann, desto größer ist die Aussicht auf
einen befriedeten Libanon und einen länger anhaltenden Frieden.
Demgegenüber ist die Forderung nach Waffenstillstand gleichbedeutend mit der
Fürbitte, die Hizbollah doch bitte schön zu verschonen und zu retten. Deren
Führer Nasrallah könnte aus seinem Loch auftauchen und seinen Leuten sagen,
dass sie zwar Verluste erlitten, doch ihre Würde verteidigt hätten. Er
könnte auf die Finanzzusagen des Iran für den Wiederaufbau der zerstörten
Schiiten-Gebiete verweisen und erklären, das nunmehr der Hizbollah der
wichtigste Repräsentant arabischer Interessen und die Vernichtung der Juden
auf später verschoben sei. Bei sofortiger Waffenruhe ist die Fortsetzung und
Intensivierung des Krieges garantiert.
Drittens aber sind schon jetzt die segenreichen Auswirkungen der
israelischen Gegenwehr erkennbar, einer Gegenwehr, deren Massivität die
Hizbollah und deren Hintermänner überraschte und überrumpelte. Während der
besonders von Deutschland gepflegte "Kritische Dialog" die Mullah-Diktatur
und die antisemitischen Terror-Gruppen immer nur stärker gemacht hatte,
setzte das entschlossene israelische Vorgehen binnen weniger Tage einen
grundlegenden Paradigmenwechsels im Nahen Osten in Gang.
Da ist zum einen die historische Zäsur des 15. Juli 2006: Erstmals in der
Geschichte des Nahostkonflikts distanzierte sich die überwiegende Mehrheit
der Arabischen Liga von dem "gefährlichen Abenteurertum" der schiitischen
Angreifer. Niemals zuvor wurden die Hizbullah und der Iran (sowie indirekt
die Hamas) derart desavouiert.
Auch die bisherigen Reaktionen der "Arabischen Straße" deuten darauf hin,
dass Israel den richtigen Moment und das richtige Mittel nutzte. Während auf
dem Höhepunkt der II. Intifada im Frühjahr 2002 etwa zwei Millionen Menschen
zwischen Rabat und Bahrein auf die Straßen gingen, um Solidarität mit der
Hamas zu fordern, blieb es letzten Freitag, trotz der massivsten
israelischen Militäraktion seit 24 Jahren, vergleichsweise ruhig. "Ich habe
selten solch einen Aufstand, in der Tat eine Intifada gegen die Neandertaler
unter den muslimischen Imamen, jenen turbanbedeckten bärtigen Männern
erlebt, wie letzte Woche", begeistert sich Youssef Ibrahim in der New
York Sun. "Der Führer der Hizbollah, Scheich Hassan Nasrallah wollte 350
Millionen Araber in den Krieg gegen Israel hineinziehen. Doch er erntete ein
schallendes 'Nein'."[5]
Darüber hinaus hat sich inzwischen auch der libanesische Ministerpräsident
Fuad Siniora deutlich von der Hizbollah und ihrem Terrorismus distanziert –
eine Folge der Schwächung jener Organisation, die ihn bislang erfolgreich
unter Druck zu setzen verstand.
Last but not least hat auch der iranische Patron der Hizbollah auffällig
kläglich reagiert. Während Ahmadinejad noch am Vorabend des 12. Juli
großspurig Israels bevorstehende Vernichtung ankündigte, verschlug ihm der
israelischen Konterangriff am nächsten Morgen ganze 48 Stunden lang die
Sprache. Am 14. Juli erklärte er kleinlaut, dass ein israelischer
Angriff
auf Syrien die "schärfste Antwort" des Iran zur Folge haben werde
– den gleichzeitig stattfindenden Angriff auf seinen engsten Verbündeten im
Libanon erwähnte er nicht.[6] Schlagartig hatten
sich die markigen Sprüche aus Teheran und Damaskus als substanzlos entpuppt:
Keines dieser Länder setzte sich aktiv für die Verteidigung seiner Freunde
von der Hizbollah ein. Auf diese Weise hat Israels Waffengang den geradezu
unangreifbar erscheinenden Nimbus des Mahmoud Ahmadinejad lädiert.
Natürlich schließen die politischen Erfolge, die heute bereits zu
verzeichnen sind, diverse unangenehme Überraschungen für die Zukunft nicht
aus. Verzweifelt bemüht sich die Muslimbruderschaft, den "Verrat" der
Arabischen Liga anzuprangern und die Kräfte des Umsturzes in Jordanien,
Ägypten und Saudi-Arabien zu organisieren. Werden sie erfolgreich sein?
Verzweifelt hat sich auch die iranische Führung auf Durchhalteparolen
umgestellt. "Gut gemacht, Nasrallah", rief am 18. Juni Gholam-Ali Haddad
´Adel, der Sprecher des iranischen Parlaments, auf einer
Solidaritätskundgebung aus. "Dieser Religionsgelehrte [Nasrallah] brüllt wie
ein Löwe und in seinen Adern kocht das Blut des Imam Khomeini. ... Heute
erleben wir die Befreiung Palästinas. ... Der Krieg hat soeben erst
begonnen."[7] Wird die iranische Führung die
absehbare militärische Niederlage ihres Verbündeten schlucken oder – mit der
Gefährlichkeit eines angeschossenen Tigers – sich in eine Art Endkampf
hineinphantasieren und ihre wohlpräparierten Selbstmordbomber in den Libanon
und die europäischen Hauptstädte schicken? Welche Folgen aber würde solch
iranische Offensive bei europäischen Appeasern zeitigen?
Wie immer die Sache ausgehen mag – Israel konnte nicht besser handeln, als
es bislang gehandelt hat. Auch deshalb erklärte das amerikanische
Repräsentantenhaus in dieser Woche mit 410 zu 8 Stimmen seine
uneingeschränkte Solidarität.
Es ist wahrhaftig nicht angenehm, zu sehen, wie Beirut in Trümmern
geschossen wird, und zu wissen, dass Zivilisten beider Seiten und
israelische Soldaten verwundet werden oder sterben. Noch schrecklicher aber
ist die Vorstellung, Iran könnte aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen und
seine Angriffe in Zukunft potenzieren.
Der pazifistische Impuls, den der jüngste israelische Abwehrkrieg in
Deutschland und Europa mobilisierte, ist unüberlegt oder verlogen, in jedem
Fall aber kontraproduktiv, provoziert er doch in seiner Konsequenz lediglich
die noch schlimmere Schlacht. Die Schlussfolgerung aus Hitlers
Vernichtungskrieg - "Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!" - wurde einst
gezogen, damit ein antisemitischer Krieg nie wieder möglich wird. Was heute
davon übrig geblieben ist – "Nie wieder Krieg gegen Faschismus!" – stellt
die historische Erfahrung auf den Kopf.
Israel darf im Krieg gegen die Hizbollah nicht zum Einlenken gezwungen
werden, sondern muss ihn gewinnen. So wie die Hizbollah ihren Krieg
stellvertretend für den Iran führt, so bekämpft Israel den genozidalen
Islamismus stellvertretend für die westliche Welt. Dass diese westliche Welt
Israel nicht in den Rücken fällt, sondern dessen Stellvertreter-Kampf
offensiv verteidigt und materiell sowie moralisch unterstützt, ist die
Mindestforderung, die man von den aufgeklärten Stimmen Europas erwarten darf
– auch von der Jüdischen Allgemeinen und der Zeit.
Anmerkungen:
Vgl. Evelyn Gordon, The innocent bystander myth, in: Jerusalem Post (JP),
19. Juli 2006.
www.mfa.gov.il/MFA/Government/Speeches+by+Israeli+leaders/20006
Christin Böhme, In der Falle, in: Jüdische Allgemeine (JA), 20. Juli 2006.
Michael Thumann, Gefährdet und gefährlich, in: Die Zeit, 20. Juli 2006.
Youseff Ibrahim in: >www.nysun.com/article/36110<.
Weiter schreibt Ibrahim: "Als Israel den Entschluss fasste, Krieg gegen die
priesterliche Mafia von Hizbollah und Hamas zu führen, öffnete es ein neues
Kapitel im Diskurs des erweiterten Mittleren Ostens. Israel stellt zu seiner
Überraschung fest, dass eine riesige, gar nicht mal so schweigsame Mehrheit
der Araber einverstanden ist, wenn gesagt wird, 'Genug ist genug'."
MEMRI Special Dispatch Series No. 1204 und No. 1205, 13. und 14. Juli 2006.
MEMRI Special Dispatch Series, No. 1210, July 21, 2006. |