Weiter denn je:
Palästina ade!
Von Reiner Bernstein
Die Vision eines souveränen und lebensfähigen Staates
Palästina hat sich vorerst erledigt. Der Frieden zwischen beiden Völkern ist
weiter denn je entfernt, denn der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah
hat für die schwer heilbare Beschädigung dieser Option gesorgt. Historiker
werden einmal, wie schon im Hinblick auf den Junikrieg, darüber entscheiden,
ob die Generäle und Kommandeure wieder einmal über die Politiker gesiegt
haben.
Eines jedoch steht schon heute fest: Der lang anhaltende Beschuss ihrer
Städte und Dörfer wird die israelische Bevölkerung vor territorialen
Konzessionen in der Westbank – von Jerusalem ganz zu schweigen –
zurückschrecken lassen. Die von der Hisbollah ausgelösten Feindseligkeiten
an der libanesisch-israelischen Grenze versetzen den Palästinensern einen in
seiner Bedeutung kaum zu überschätzenden schweren Schlag, vielleicht sogar
den Todesstoß. Der Krieg in Libanon und Israel entblößt die internationale
Nahostpolitik der vergangenen Jahre als gefährliche Träumerei.
International richten sich die Blicke längst nicht mehr auf Gaza, Nablus und
Jenin mit den vielen Toten der letzten zwei Wochen. Da Condoleezza Rice eine
sofortige israelisch-libanesische Waffenruhe an Bedingungen knüpft, die nur
langfristig zu erfüllen sind, werden die menschlichen Tragödien andauern.
Der ausgeklügelte Versuch einer Zangenbewegung der Islamischen
Widerstandsbewegung und der Hisbollah bestätigt jene Kreise in Israel, die
nie an einen Ausgleich mit den Arabern geglaubt haben. Schon der
Katjuscha-Beschuss der vergangenen Monate aus dem Norden des Gazastreifens
sorgte als Beleg für dieses Negativurteil, und wenn es noch des definitiven
Beweises bedurft hätte, dann hat ihnen die Hisbollah die endgültige
Aufdeckung der wahren arabischen Pläne geliefert – die Vernichtung des
Staates Israel.
Selbst Olmerts Konvergenzplan, der einem palästinensischen Staat nicht mehr
als siebzig Prozent der Westbank zugestehen wollte, hat sich erledigt.
Dennoch wird der Ministerpräsident aus der jüngsten Konfrontation nicht
geschwächt hervorgehen. Zum einen verfolgte er seinen Konvergenzplan nur
widerwillig, zum anderen hat er dem Militär nach anfänglichem Zögern freie
Hand gegeben – zum Schaden des demokratischen Prinzips vom Primat des
Politischen. Für die terroristischen Strukturen der Hisbollah sind
Verhandlungen a priori von Übel, bei Hamas deutete sich ein Umdenken an, das
zumindest fürs erste wieder verschüttet ist. Am Schutz ihrer eigenen
Bevölkerung besteht geringes Interesse.
Westliche Fehleinschätzungen und Versäumnisse im
israelisch-palästinensischen Konflikt schlagen jetzt doppelt zurück. Obwohl
er von zentraler Bedeutung für den gesamten Nahen Osten ist, haben es die
Europäer an Entschlossenheit und Mut zu einer gemeinsamen Außenpolitik
fehlen lassen. Sie hätte Ariel Sharon vom Unilateralismus abhalten müssen.
Unverstanden blieb, dass die seit der Madrider Friedenskonferenz (Oktober
1991) zitierte Formel "Land für Frieden" nach 1967 in Israel immer
deutlicher dem Schlagwort "Frieden für Frieden" gewichen war. Ja, das
internationale "Quartett" hat diese Logik insofern übernommen, als ihre
"Road Map" die Entstehung eines palästinensischen Staates an die Bedingung
knüpfte, die Palästinenser müssten zuvor Gewalt und Terrorismus beenden. Die
dann in Aussicht genommenen Verhandlungen für eine Friedensregelung wollte
das "Quartett" beiden Parteien überlassen, doch die wichtigen Entscheidungen
fallen allein in Jerusalem, Rice hat diesen Vorbehalt in den letzten Tagen
von Olmert mehr als deutlich hören müssen. Dem gönnerhaften Bekenntnis des
Westens zur Zweistaatenlösung, das von der Vernachlässigung des Faktors der
palästinensischen Unebenbürtigkeit begleitet war, fehlte der ernsthafte
Wille, ihm politisch den Weg zu bahnen. Warum sollte die israelische
Regierung plötzlich auf kritische Stimmen im In- und Ausland hören, die nach
der Zweistaatenregelung rufen?
Statt dessen wird es für Israel fortan um die Sicherung der geostrategischen
Stabilität in der Region zu seinem Vorteil gehen. Das fragile
Konkordanzsystem Libanons ist ein für allemal zerbrochen. An einen Vertrag
über die Zukunft der Golanhöhen ist nicht zu denken. Damaskus wird zwar
versuchen, mittels seiner vielfältigen Einflussmöglichkeiten die Fäden in
Beirut weiterzuspinnen, aber die Hisbollah an ihre Abhängigkeit erinnern,
sollte sie einen allzu eigenwilligen Kurs einschlagen. Ansonsten wird sich
das Baath-Regime trotz der Beherbergung von Khaled Meshal schwer von seiner
Grundposition abbringen lassen, dass ein palästinensischer Staat im
historischen Süd-Syrien überflüssig sei. Irak bedeutet für Israel keine
Bedrohung, denn seine Bewegungsfreiheit tendiert unter der Last seiner
ethnisch-religiösen Probleme, der ausländischen Besatzungstruppen und der
bezahlten Söldner aus arabischen und islamischen Ländern gen Null. Iran hat
sich mit Achmadinedjads wiederholter Leugnung der Shoah international
isoliert und regional mit seinem Atomprogramm keine Freunde gemacht. Hier
ist die internationale Diplomatie gefordert, Teheran zu einem Ausweg aus der
selbstgewählten Isolierung zu verhelfen. Die allseitigen Bekundungen der
politischen Solidarität mit den Palästinensern werden dem Drang weichen, das
eigene Haus zu retten oder zumindest notdürftig in Ordnung zu halten.
Der Westen und allen voran die Europäer hätten gute Gründe gehabt, auf
Regelungen des israelisch-palästinensischen Konflikts zu dringen. Im Nahen
Osten zieht die Vogel-Strauß-Methode nicht. Der überhastete Einfall, Joschka
Fischer auf eine Vermittlungstour zu schicken, deren Ausgang vorhersehbar
wäre, unterstreicht einmal mehr die europäische Konzeptlosigkeit. Gleiches
gilt für das Verlangen nach einer "kraftvollen Intervention" mittels einer
UN-Truppe, die auf ein US-amerikanisches Kontingent und auf die israelische
Zustimmung angewiesen wäre. "Wir reden nicht über jeden Schritt und jedes
Mittel, das Israel einsetzt, denn das wäre zwischen souveränen Staaten
unangemessen", hat Rice solche Wunschvorstellungen abgewiesen, nachdem
Olmert seine Armee als die moralischste der Welt bezeichnet hatte. Da eine
internationale Stationierung nicht in Sicht ist, dürfte Israel das Vakuum
durch eine Sicherheitszone ausfüllen wollen. Damit wäre der Abzug vom Mai
2000 rückgängig gemacht; Israel stünde in der arabisch-islamischen Welt
erneut im Ruf eines Besatzers.
Übrig bleibt der Vorwurf Fischers – der den ehemaligen Außenminister selbst
freilich trifft, weil ihm die politische Durchsetzungskraft fehlte –, "die
Dinge immer nur unter Krisenmanagement und ohne Lösungsstrategien zu sehen".
Die internationale Libanon-Konferenz in Rom war nur das jüngste Beispiel für
das politische Elend. In der Zwischenzeit werden die Feindseligkeiten ob mit
oder ohne eine groß angelegte israelische Bodenoffensive, der die
libanesische Armee nichts entgegenzusetzen hätte, die Tagesordnung in der
gesamten Region von Grund auf verändern. Ihr politisch schwächstes Glied
sind die Palästinenser.
Der Autor hat zuletzt das Buch
"Die Genfer Initiative.
Die Friedensinitiative von Israelis und Palästinensern"
(Schwalbach/Ts. 2006) vorgelegt.
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