Die Linke und der Krieg:
Frieden schaffen auch mit Waffen
Viele israelische Linke sehen keine
Alternative zum militärischen Vorgehen gegen die Hizbollah. Die Zahl der
Friedensdemonstranten ist bislang gering.
Von Andrea Livnat, Tel Aviv
Jungle World 30 v.
26.07.2006
Nur knapp 1000 Teilnehmer konnte die Friedensbewegung
bewegen, obwohl zehn Gruppen, darunter Gush Shalom, Taayush und Yesh Gvul,
zur Demonstration aufgerufen hatten und ihre Anhänger auch aus Jerusalem und
Haifa kamen. Am vorletzten Sonntag, dem fünften Tag nach dem Ausbruch der
kriegerischen Auseinandersetzungen an Israels Nordgrenze, fanden sich die
Friedensaktivisten in Tel Aviv ein, um für die sofortige Einstellung der
Kämpfe und die Aufnahme von Verhandlungen zu demonstrieren.
Einige anwesende Veteranen der Friedensbewegung fühlten sich an den Krieg im
Libanon im Jahr 1982 erinnert. Auch damals seien zunächst nur ein paar
hundert Menschen demonstrieren gegangen, bei Kriegsbeginn unterstützte die
Bevölkerung nahezu einträchtig den damaligen Ministerpräsidenten Menachem
Begin. Die Proteste wuchsen erst während des Krieges und gipfelten am 25.
September 1982 nach den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern
Sabra und Shatila in der bisher größten Demonstration in der Geschichte des
Landes mit 400.000 Teilnehmern. Sie fand auf dem Platz der Könige in Tel
Aviv statt, dem heutigen Rabin-Platz.
Die Linke forderte damals ein sofortiges Ende des Krieges, derzeit aber
scheint sie eine Art Burgfrieden halten zu wollen. Sie beschränkt sich
bislang in weiten Teilen auf den Appell, zivile Opfer zu vermeiden und
Waffenstillstandsangebote nicht auszuschlagen. Dass dieser "zweite
Libanon-Krieg" an sich falsch, ungerecht oder vermeidbar sei, hört man nur
sehr vereinzelt.
1982 gab es bereits in den ersten Stunden des Krieges zahlreiche Kritiker,
darunter viele Intellektuelle wie die Schriftsteller A. B. Jehoschua und
Amos Oz. Beide sprechen sich derzeit nicht grundsätzlich gegen
Militäraktionen aus. Jehoschua sagte in der vergangenen Woche, es sei "unser
vernünftiges und richtiges Ziel (…), die Hizbollah rund 20 Kilometer von der
Grenze fernzuhalten. Dann wird sie uns nicht mehr provozieren können." Die
Libanesen "zahlen einen Preis, der um das hundertfache höher ist. Sie
sollten sich fragen, ob die Angriffe auf uns notwendig waren." Amos Oz
meint, dass die israelische Friedensbewegung das militärische Vorgehen voll
und ganz unterstützen sollte, solange es der Bekämpfung der Hizbollah gilt
und die libanesische Zivilbevölkerung so weit wie möglich verschont wird. Er
sieht in der Niederlage einer islamistischen Terrororganisation wie der
Hizbollah neue Chancen für den Frieden im gesamten Nahen Osten.
Ähnlich äußern sich auch Mitglieder der linken Partei Meretz-Yachad. Der
Knessetabgeordnete Avshalom Vilan plädiert zwar dafür, den Konflikt auf der
diplomatischen Ebene weiterzuführen, hält es aber auch für wichtig, dass
"der Feind genug einstecke". Auch Yossi Beilin, der zu den Hauptinitiatoren
des Genfer Friedensabkommens gehörte, eines von israelischen und
palästinensischen Politikern erarbeiteten Modells für eine
Verhandlungslösung, beschränkt sich darauf, von der Regierung eine größere
Bereitschaft zu Verhandlungen mit dem libanesischen Premierminister Fouad
Siniora zu fordern.
Seine Warnungen vor den Konsequenzen eines einseitigen, nicht mit den
Palästinensern ausgehandelten Rückzugs hätten sich bestätigt, sagte Beilin
einige Tage vor der Eskalation in einem Interview mit der linksliberalen
Tageszeitung Ha’aretz. Nur ein Jahr nachdem Israel Gaza verlassen hat, seien
die Extremisten dort stärker, feuerten Kassam-Raketen auf Ashkelon und
verwickelten Israel in einen anhaltenden Guerillakrieg. Viele Palästinenser
hätten bestätigt gesehen, was seit dem Abzug Israels aus dem Libanon im Jahr
2000 von Extremisten propagiert wurde: Sie könnten mit Gewalt das bekommen,
was ihnen in Verhandlungen verweigert werde.
Die Redaktion von Ha'aretz propagiert dagegen die Auffassung, dass die
weitgehende Einigkeit in der israelischen Gesellschaft darauf zurückzuführen
sei, dass Israel sich hinter eine anerkannte Grenze zurückgezogen habe, die
verteidigt werden kann. Das scheint tatsächlich entscheidend für die Meinung
der Israelis zu diesem Krieg zu sein. Das dominierende Gefühl in diesen
Tagen ist: Wir haben keine Alternative.
Dieses Gefühl teilt auch die Linke, die enttäuscht und ratlos ist. 1982 sah
sie eine Alternative zu einem Krieg, der die PLO aus dem Libanon vertreiben
sollte. Heute sind die Ausgangsbedingungen andere. Israel hat sich nicht nur
aus dem Libanon, sondern auch aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen. Seitdem
ist der palästinensische Terror nicht zurückgegangen, im Gegenteil. Die
Hamas hat die Parlamentswahlen gewonnen, in Gaza herrschen Chaos und Gewalt,
Kassam-Raketen landen in Sderot und Ashkelon. Zur Eskalation führten
schließlich die Angriffe von Hamas und Hizbollah innerhalb der anerkannten
Grenzen Israels. Die Linke muss resigniert zusehen, wie der Traum eines
friedlichen Nebeneinanders von zwei gleichberechtigten Staaten, Israel und
Palästina, wieder in weite Ferne rückt.
Derzeit fordern nur die Kommunistische Partei Israels und die kommunistische
Jugend, die arabischen Parteien Chadasch und Balad und radikalere Linke aus
der Friedensbewegung, den Krieg sofort zu beenden. Die Organisationen Gush
Shalom und Taayush sehen den Rückzug aus Gaza als großen Fehler an. Auch der
Sicherheitszaun und die Militäraktionen können keinen Frieden garantieren,
heißt es in ihrem Demonstrationsaufruf. Die einzig wirksame Verteidigung,
der einzige Weg, eine friedliche und sichere Zukunft zu garantieren, sei es,
den Wurzeln der Feindseligkeiten beizukommen und den Konflikt durch
Verhandlungen zu beenden. Das erfordere ein Ende der Besatzung und
respektvolle Beziehungen Israels zu den Palästinensern und den arabischen
Nachbarstaaten.
Ähnlich äußert sich auch das Israelische Kommunistische Forum. Auch hier ist
immer wieder die Rede davon, dass nur das Ende der Besatzung und die
Freilassung aller palästinensischen Häftlinge ein friedliches Nebeneinander
garantieren können. Yesh Gvul (Es gibt eine Grenze), eine israelische
Friedensinitiative, die 1982 während des Krieges im Libanon gegründet wurde
und Soldaten unterstützt, die den Dienst aus Gewissensgründen verweigern,
mahnt die israelische Regierung zudem, nicht "erneut im Sumpf Libanons zu
versinken", ein bekannter Slogan aus den achtziger Jahren. Sie weist
außerdem die Piloten der Luftwaffe und alle Soldaten und Offiziere darauf
hin, dass die Tötung von Zivilisten ein Kriegsverbrechen sei, auch wenn die
Hizbollah israelische Zivilisten angreift.
Bisher blieben diese Stimmen marginal, von einer großen linken
Antikriegsbewegung ist derzeit noch nichts zu spüren. Ob sich daran etwas
ändert, wird vor allem der weitere Verlauf des Krieges bestimmen. Zu einer
weiteren Demonstration am vergangenen Samstag versammelten sich immerhin gut
2 000 Kriegsgegner. Unter den Teilnehmern waren auch einige arabische
Abgeordnete der Knesset, die Abendnachrichten und die großen Tageszeitungen
berichteten über den Protest. Vielleicht behalten die Veteranen am Ende
Recht. Die nächste Demonstration ist bereits geplant.
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Fotostrecke zur Demonstration
hagalil.com 26-07-2006 |