Heimfront droht zu kippen:
Krieg bis zum eigenen Untergang
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 23. Juli 2006
Die Zeit drängt. Das libanesische Flüchtlingselend
schwappt nach Syrien und Zypern. Die Mittelmeerinsel droht zu versinken.
Israel greift die südlichen Viertel von Beirut mit noch größeren Bomben an.
"Ich kann nicht erkennen, was da noch an der Erdoberfläche zerstört werden
könnte, Jetzt ist wohl der Untergrund an der Reihe", staunt Israels
Medienbeobachter Miki Gurdus.
In Israel ist eine Million Menschen in den sicheren Süden geflüchtet oder
sitzt eingesperrt in den "sicheren Räumen". Milch und Brot einzukaufen, ist
ein Roulettespiel mit dem Tod. Angst und Hilflosigkeit zehren an den Nerven
der Menschen. Der Druck auf Israels Regierung wächst, endlich mit einem
Schlag die Hisbollah zu besiegen. Israels Heimfront droht umzukippen. Noch
stehen 90 Prozent der Bevölkerung hinter ihrer Regierung. 2200 Raketen hat
die Hisbollah, die einzige Terrororganisation der Welt mit
Boden-Boden-Raketen, an 11 Tagen auf Israel geworfen. Täglich sind es 150
mehr. "Was bringt es der Hisbollah, mit diesem Raketenbeschuss auf
israelische Städte fortzufahren?" fragt kopfschüttelnd ein europäischer
Diplomat.
Die Hisbollah weiß, dass sie Israel nicht besiegen kann. Ebenso weiß Israel,
dass Luftangriffe allein nicht ausreichen, um den Südlibanon von Bunkern und
Waffenlagern zu säubern, die Hisbollah in zehnjähriger Vorbereitung für
diesen Krieg nach allen Regeln der Kriegskunst mit iranischer Finanzierung
eingerichtet hat. Vier Tage lang kämpften Israels Elitetruppen mit Panzern
und Luftunterstützung in Maroun el Ras. Dieser Flecken auf einem
strategischen Hügel ist winzig. Kaum jemand hat seinen Namen je gehört. Den
israelischen "Sieg" verwandelt die Hisbollah in ihrer Propaganda in eine
"klägliche Niederlage". Wenn die Eroberung eines einzigen Dorfes mit über
hundert getöteten Hisbollahkämpfern, einem Waffenlager in der Moschee und
einem Raketenwerfer neben dem Gotteshaus, mindestens 8 getöteten
israelischen Soldaten und zwei abgestürzten Kampfhubschraubern ganze vier
Tage dauert, wie viel Zeit braucht Israel dann, um die nächsten 15 Hisbollah
Hochburgen auf dem Gefechtsplan zu säubern?
Die internationale Gemeinschaft ließ sich elf Tage lang Zeit, bis sie ihre
Außenminister nach Jerusalem schickte. Keiner drängt auf einen sofortigen
Waffenstillstand. Man lotet "Rahmenbedingen" aus und sucht Wege, Libanon so
zu gestalten, dass die gewünschte Waffenruhe nicht zum nächsten Krieges in
fünf oder zehn Jahren führt. Die Evakuierung aller Ausländer aus Libanon
deutet darauf hin, dass das Schlimmste noch bevorsteht.
Gefahr besteht, das der Hisbollah weitere "Siege" beschert sein werden,
nachdem es ihr gelungen ist, Israel zu terrorisieren und in einen
ungewollten Krieg zu verwickeln, den Libanon zerbomben zu lassen und zwei
Millionen Menschen beiderseits der Grenze in die Flucht zu schlagen. Die
Hisbollah will Syrien in den Krieg verwickeln und Israel durch eine
Bodenoffensive in den Sumpf des Libanon locken. Die Hisbollah hat 1982 die
nahöstliche Taktik der Selbstmordattentate erfunden. Die Methode lautet, dem
Feind maximalen Schaden beizufügen, auch wenn es den eigenen Untergang
bedeutet. |