Zehn Jahre lang in einer Illusion eines Friedens:
Israel vom Krieg überrascht
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem "Israel soll
ein Land sein, in dem das Leben Spaß macht." Mit diesen Worten hatte Ehud
Olmert nach dem Hirnschlag seines Vorgängers Ariel Scharon den Wahlkampf
betrieben und gesiegt. Die politische Landschaft wirkte rosig. Die
schreckliche Intifada mit täglichen Selbstmordattentaten schien vorüber.
Der Sperrwall mit Zaun und Mauer hielt mehr oder weniger, was
die Israelis sich davon versprachen. Attentäter hatten kaum noch eine
Chance, nach Israel einzudringen. Auch die "Tahdija", eine unter den
Palästinenser intern ausgehandelte "Ruhepause" hielt mehr oder weniger.
Störend waren die von Gaza abgeschossenen Kasamraketen. Zum Glück konnten
die nicht richtig zielen und richteten kaum Schaden an. Entlang der Grenze
zu Libanon herrschte im Prinzip seit Israels Rückzug aus Südlibanon im Mai
2000 eine angespannte Ruhe. Alle paar Monate kam es
zu plötzlichen Zwischenfällen, die aber ebenso schnell endeten, wie sie
ausbrachen. So konnte sich Olmert voll auf das Projekt der "Konvergenz"
stürzen, oder wie sonst der von Scharon in Angriff genommene Rückzug aus den
besetzten Gebieten genannt wurde. Das Ziel war, befreit von störenden
Palästinenser, zurückgezogen hinter sicheren Grenzen ein normales Leben
führen zu können. Innerhalb weniger Tage platzten
die frommen Träume. Hamas-Kämpfer im Gazastreifen hatten in wochenlanger
Arbeit einen Tunnel unter den Grenzzaun hinweg gegraben, eine
Militärstellung auf israelischem Boden angegriffen und einen Soldaten
entführt. Die schon eine Woche zuvor geplante israelische Invasion in den
Gazastreifen, um den Raketenbeschuss zu stoppen, konnte augenblicklich
beginnen. Und während die "Operation Sommerregen" im Gazastreifen lief,
wurden die Israelis von der Hisbollah mit einem ebenfalls lange im Voraus
geplanten und bestens konzipierten Angriff völlig überrascht.
Entlang der Grenze war alles so ruhig, dass Israel die
Alarmstufe herabsetzte und anstelle von Panzern nun Humvey-Jeeps für die
Patrouillen entlang der Grenze einsetzte, teilweise nur wenige Meter von
Hisbollahstellungen jenseits des Stacheldrahts entfernt. Die Hisbollah
nutzte das aus und griff die Jeeps in einem elektronisch nicht mit Kameras
gesicherten Grenzgebiet an. Die israelische Armee benötigte über eine
Stunde, bis sie auf die Verschleppung reagierte, viel zu spät, um sich den
Entführern auf die Fersen zu setzen. Die Hisbollah hatte dazu mit
Katjuscharaketen entlang der gesamten Grenze vom Mittelmeer bis Kirjat
Schmone ein Ablenkungsmanöver gestartet. Die
peinliche Schlappe, nur zwei Wochen nach der anderen Schlappe, als
Hamaskämpfer in ihren Panzern schlafende Soldaten an der Grenze zu Gaza von
hinten angriffen, löste bei Israels noch unerfahrenen Ministern einen
starken Willen zur harten Reaktion aus. Der vom Gewerkschaftsführer zum
Verteidigungsminister mutierte Amir Peretz, eigentlich ein Populist linker
Sozialpolitik, übte sich als Befehlshaber der mächtigen Armee. Auch
Ministerpräsident Ehud Olmert hat keine Militärkarriere hinter sich. Doch
der Beschluss, auf die Attacken der Hamas und der Hisbollah mit
militärischer Härte zu antworten, ist letztlich das Ergebnis einer
politischen Einschätzung. Denn für die Ausführung sorgen die Militärs. Die
haben in ihren Schubladen vorbereitete Angriffspläne für jede denkbare Lage
parat, die sie den Politikern vorlegen können. So
wurde die "Operation gebührender Lohn" befohlen. Nach dem Scheitern der
Osloer Verträge und nach dem völligen Rückzug aus Libanon gab es für Israel
keinen Grund mehr für politische Zurückhaltung. Ob die jetzige Politik der
Militärschläge tatsächlich die gewünschten Erfolge bringen wird, wagt in
Israel noch niemand klar zu beantworten. Die erste
Stufe sieht eine Rundumbelagerung des Libanon vor. In der Nacht rissen
Bomben tiefe Krater in die beiden Startbahnen des einzigen internationalen
Flughafens, im Süden von Beirut. Die israelische Marine kreuzt in den
Küstengewässern. Bei Baalbeck soll sich offenbar die Luftwaffe "um die
Straße nach Damaskus bei Masnaa, dem Tor zur Hölle, kümmern". Gleichzeitig
versucht Israel, die Hisbollah zum Schweigen zu bringen. So wurden
Sendeanlagen von El Manar, dem Fernsehsender der Iran-nahestehenden Miliz,
zerstört. Der terrestrische Empfang wurde unterbrochen, aber über Satellit
ist Al Manar - das Frankreich wegen antisemitischer Hetze aus dem
europäischen Netz entfernt hat - noch zu empfangen.
Weitere Phasen würden folgen, solange der Libanon nicht reagiert und seine
Souveränität wahrnimmt. Bis dahin will Israel mit militärischen Mitteln die
Hisbollah vom Grenzgebiet in Richtung Norden verdrängen. Die israelischen
Aktionen seien zeitlich nicht begrenzt. Und ob auch Kraftwerke und
Prestigeobjekte in Beirut auf der Liste künftiger israelischer Militärziele
stehen, wurde nicht verraten. "Zehn Jahre lang haben
wir in einer Illusion eines Friedens hier wunderbar gelebt" sagte traurig
ein Israeli aus Schtulah, der bis Mittwoch Zimmer an Touristen vermietete.
Jetzt sind sie alle geflohen. Aber auch Beirut hat eine zehnjährige Periode
des Aufbaus und wirtschaftlichen Aufschwungs erlebt. Nicht nur in Tel Aviv
dürften jetzt die Kurse einbrechen. Auch die Manager der lukrativen
Tourismusindustrie in beiden Ländern blicken wieder in eine düstere Zukunft. |