Vorhersehbare Reaktionen:
Was bezweckte die Hisbollah?
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Der Hisbollah gelang es, Israel zu überrumpeln. Sie hatte ein "Loch" im
elektronischen überwachten Zaun an der internationalen Grenze entdeckt und
wusste, dass keine Kamera das Geschehen überwachte, wo ihre Kämpfer zwei
Patrouillenjeeps überfielen, drei Soldaten töteten und unbemerkt zwei
Soldaten in den Libanon verschleppten.
Gleichzeitig hatte Hisbollah mit Katjuschasalven ein Ablenkungsmanöver
gestartet. Das alles bedurfte langer Beobachtung und exakter Vorbereitung.
Kein Zweifel. Die Attacke war von langer Hand vorbereitet und mit
vorbildlicher militärischer Präzision durchgeführt worden. Was bezweckte die
Hisbollah und warum wählte sie diesen Zeitpunkt?
Die Nähe und Abhängigkeit der Hisbollah von Iran, finanziell wie
militärisch, ist bekannt. Teheran hat immer wieder die Hisbollah benutzt, um
den Nahostkonflikt anzuheizen. Ein Krieg mit Israel lenkt in dem Augenblick
ab, wo die G8-Mächte den Iran wegen seines Atomprojekts unter ultimativen
Druck setzen wollen. Eine weitere Erwägung könnte auch Israels Verwicklung
im Gazastreifen gewesen sein und der Glaube, Israel durch einen
Zweifrontenkrieg zu schwächen. Jedes militärische Vorgehen zieht
"Kolateralschaden" nach sich. Üblicherweise bringt das nur Israel in Verruf.
Nach mehreren Pannen mit vielen toten Zivilisten im Gazastreifen bot sich
an, Israel noch tiefer zu verwickeln.
Auch Syrien als Gönner der Hisbollah könnte gerade jetzt von sich ablenken
wollen. Der beschämende Abzug aus Libanon, zunehmende Opposition gegen
Präsident Baschar Assad und der Versuch, über die Hisbollah-Miliz im Libanon
wieder Fuß zu fassen, wäre Syrien wohl nur recht. Der libanesische
Drusenführer Walid Jumblatt erklärte, Syrien wolle den Libanon in einen
zweiten Irak verwandeln. Je mehr Chaos im Land herrsche, desto besser sei es
für Baschar el Assad. Und Chaos im Libanon lässt sich am einfachsten durch
eine Provokation Israels mit seinen vorhersehbaren Reaktionen entfachen.
Jederzeit dürfte die Hisbollah, Miliz und auch Partei im Libanon
innenpolitisch ihre Macht demonstrieren wollen. Die libanesische Ministerin
Maila Marwad bestätigte vorwurfsvoll die Absicht der Schiitenmiliz, das
Schicksal des Libanon zu bestimmen: "Die Hisbollah hält Libanon als Geisel
und stürzt das Land ins Unglück." Das offizielle Argument von Hisbollah-Chef
Nasrallah, der Hamas helfen zu wollen, palästinensische Gefangene in Israel
zu befreien, klingt angesichts dieser Umstände wie ein unglaubwürdiger
vorgeschobener Grund, denn auch die Hisbollah und ihre Arbeitgeber handeln
in erster Linie aus Eigeninteressen. |