"Nationale Stunde der Wahrheit":
Militärs und Zivilisten an Israels Spitze
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Kein israelischer Politiker war so verhasst wie der
"Hardliner" Ariel Scharon, auch "General" genannt und "Kriegsverbrecher".
Ihm ebenbürtig war nur noch der polnische Gentleman Menachem Begin. Vor der
Staatsgründung sprengte er als "Terrorist" das King David Hotel in
Jerusalem. Der höchstdekorierte General Israels, Ehud Barak, trug wie
Jitzhak Rabin kurz vor seinem Amtsantritt noch Uniform. Dann gab es an der
Spitze Israels "gemäßigte" Zivilisten wie Friedensnobelpreisträger Schimon
Peres, und der "graue", in Militärangelegenheiten "völlig unerfahrene" Ehud
Olmert, mit dem populistischen Gewerkschaftsführer Amir Peretz als
Verteidigungsminister an der Seite.
Klischees über den "militaristischen" Staat Israel besagen, dass "Generale"
diesen Staat aggressiv in den Krieg treiben und Frieden mit den
friedfertigen Palästinenser verhindern. Mit normalen Zivilisten am Ruder
würde sich der jüdische Staat zivilisierter verhalten.
Ein Blick zurück beweist, dass die Generale "gemäßigter" waren als die
friedfertigen Zivilisten. Jitzhak Rabin war Generalstabschef im
Sechstagekrieg 1967 und wollte den Palästinensern nach Ausbruch der ersten
Intifada 1987 "die Knochen brechen". Doch er erhielt den Friedensnobelpreis,
weil er die Terrororganisation PLO anerkannte und den Erzterroristen Jassir
Arafat mitsamt seinen Freischärlern einließ. Von ihm 1967 erobertes Land gab
er an die Palästinenser ab, darunter biblische Städte wie Sichem und
Bethlehem. Selbst Anhänger der israelischen Friedensbewegung halten seit
Ausbruch der zweiten Intifada die Nachgiebigkeit Rabins für einen fatalen
Fehler.
Dem ermordeten Rabin folgte der Zivilist Schimon Peres, eine Taube allemal
und treibende Kraft hinter Zugeständnissen an die Palästinenser. Dieser Tage
erhielt die "Operation Früchte des Zorns" vor zehn Jahren erneute
Aktualität. Nach einem Beschuss von Kirjat Schmone durch die Hisbollah 1996
befahl der friedfertige Peres einen grausamen Feldzug mit dem Ziel, die
Bevölkerung des Südlibanon zu vertreiben. Die Aktion endete mit 300 toten
libanesischen Flüchtlingen bei Kana.
Ehud Barak, 1999 gewählt, versprach in der Wahlnacht einen Rückzug aus
Südlibanon. Im Mai 2000 löste er das Versprechen ein, ohne Gegenleistung der
anderen Seite. Der hochgelobte General machte Arafat in Camp David die
weitreichendsten territorialen Konzessionen aller Zeiten. Sogar den
Tempelberg und die halbe Altstadt Jerusalems wollte er für Frieden
eintauschen. Für diese Nachgiebigkeit erntete er die zweite Intifada, ein
fünfjähriger Krieg mit tausenden Toten. Palästinenser wie Israelis glaubten,
dass Ariel Scharon mit eiserner Faust den Aufstand der Palästinenser
niederschlagen würde.
Doch im Gegensatz zu Barak, der konzeptlos Hauptquartier, Gefängnisse und
Polizeizentralen zerbombte, verkündete Scharon zunächst eine einseitige
Waffenruhe. Die Zahl der toten Palästinenser ging drastisch zurück. Scharons
Waffenruhe wurde sogar nach besonders verlustreichen Selbstmordattentaten
eingehalten. Erst im März 2002 mit 122 israelischen Toten innerhalb eines
Monats befahl er einen Feldzug gegen die Palästinensergebiete. Doch in die
Geschichte wird "General" Scharon wegen dem Ende der Siedlungspolitik und
der Räumung des Gazastreifens und Nordens des Westjordanlandes eingehen. Als
der "hardliner" von der Bühne trat, achtete die Welt ihn als mutigen und
gemäßigten Politiker, der den richtigen Weg zu Frieden eingeschlagen habe.
Doch das Prinzip "Land für Frieden" funktionierte nicht. Statt Frieden
erntete Israel Kasamraketen aus Gaza auf Sderot und Aschdod.
Als der gemäßigte Ehud Olmert zum Ministerpräsidenten gewählt war, kam es
zur Entführung eines Soldaten durch die Hamas nach Gaza. Der Zivilist Olmert
beschloss, dem Raketenbeschuss und der Terrorherrschaft im Gazastreifen ein
drastisches Ende zu setzen. Kurz darauf kam es zu einem fast identischen
Zwischenfall an der Grenze zum Libanon. Unter Barak hatte es schon eine
Entführung von drei Soldaten durch die Hisbollah gegeben. Unter Scharon gab
es immer wieder Beschuss von Katjuscharaketen aus Libanon auf Israel. Wie
reagierte Israel? Mäßig: Die Generale Barak und Scharon ließen
Hisbollahstellungen beschießen und genehmigten einen Gefangenenaustausch.
Und was tut der Zivilist Olmert, dessen Verteidigungsminister einst
Gefreiter war und ansonsten Gewerkschaftsführer? Er befiehlt die Operation
"Gebührender Lohn", zertrümmert die gesamte Infrastruktur des Libanon,
Flughäfen, Brücken, Tankstellen und vieles mehr, mit dem Ziel, die
Terrororganisation Hisbollah zu "zermalmen". Kritische Israelis fordern
inzwischen eine Untersuchungskommission wegen der "Versäumnisse" unter Barak
und Scharon. Sie hätten die Erstarkung der Hisbollah zugelassen, die jetzt
mit iranischen und syrischen Raketen die Menschen im Norden Israels und
sogar in Tel Aviv in Angst und Schrecken versetzt. Nicht die "Hardliner",
Militärs und Generale hätten Israels Sicherheit vorausschauend garantiert.
Ausgerechnet der Zivilist Olmert führe den längst hinfälligen Feldzug zum
Ausmerzen der Hisbollah.
Eine "nationale Stunde der Wahrheit" und die daraus resultierende
Notwenigkeit, Krieg zu führen, können in Israel zivile Politiker wohl eher
erspüren als Generale, die vor Krieg zurückschrecken, aber so dem Land durch
gemäßigte Zurückhaltung Gefahren für die Zukunft aufbürden. |