"Die Hamas sitzt in einer Falle":
Israel sitzt wieder im Sand von Gaza
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Es ist doch klar, dass es dem Soldaten gut geht", sagt Rasi Hamadi,
Sprecher der Hamas, in einem Radio-Interview auf Hebräisch. "Sie wissen
also, wo er steckt?" fragt die Moderatorin Ajala Hasson. "Nein, das weiß ich
natürlich nicht. Ich habe ihn auch nicht gesehen. Aber es entspricht unserem
Glauben, dass es einem Gefangenen gut geht. Deshalb braucht Ihr kein
Lebenszeichen von ihm. Es geht ihm gut", erwidert Hamadi. Hasson besteht
darauf, dass palästinensische Mütter wüssten, wo ihre Söhne in israelischen
Gefängnissen stecken, dass sie leben und regelmäßig vom Roten Kreuz besucht
würden. Hamadi antwortet: "Das ist im Falle des Soldaten völlig überflüssig.
Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass wir gute Moslems sind."
Vor elf Tagen wurde der Gefreite Gilad Schalit von Kämpfern der Hamas und
zwei anderen Organisationen gefangen genommen und in den Gazastreifen
verschleppt. Er wird seitdem an unbekanntem Ort, angeblich in einem tiefen
Erdloch, festgehalten. Noch gibt es kein direktes Lebenszeichen von ihm. Ein
namentlich nicht genannter Arzt besuchte ihn wohl und desinfizierte seine
drei Schusswunden. Ägypter und Franzosen vermittelten, bislang erfolglos.
"Die Hamas sitzt in einer Falle", sagt der israelische Experte Guy Bechor.
Die Hamas könne den Soldaten nicht freilassen, weil sie dann rechtfertigen
müsste, wieso sie ihn entführte und die Bevölkerung unter israelischen
Bombardements, Stromausfall und einem Stopp der Warenlieferungen leiden
ließ. Die Hamas könne ihn aber auch nicht töten - wie im Falle eines am
gleichen Tag entführten Siedlers - weil sie sonst vor der ganzen Welt als
"barbarisch" dastehen würde, nachdem sich Washington und Moskau, Paris und
Kairo öffentlich für dessen Freilassung ausgesprochen hätten. Völlig
irritiert sei die Hamas wegen der strikten Weigerung Israels, über einen
Gefangenenaustausch zu verhandeln. "So versucht die Hamas, ihn verschwinden
zu lassen."
Politisch hat sich die Hamas in eine zusätzliche Zwickmühle manövriert,
indem sie sich hinter die Forderungen der Entführer stellte, in deren Namen
spricht und gleichzeitig behauptet, mit ihnen keinen Kontakt zu haben.
"Premierminister Ismail Hanija weiß nicht, wo die Geisel steckt und kann
deshalb nicht Verhandlungspartner sein", meint Bechor. Die palästinensische
Gesellschaft löse sich in Einzelteile auf. Niemand habe Durchsetzungskraft.
Jeder handle nur noch gemäß partikularistischer Interessen. Der
palästinensische Nationalismus habe sich in Luft aufgelöst und an seine
Stelle sei ein universaler Islamismus ohne einheitliche Linie getreten.
Derweil bekannte sich die Hamas zu dem Abschuss von Kassamraketen mit
verbesserter Reichweite. Getroffen wurden ein Schulhof in Aschkelon und ein
Wohnviertel. Etwa 200.000 Israelis müssen jetzt mit willkürlichem
Raketeneinschlag rechnen. Israels Einmarsch in die zerstörten ehemaligen
Siedlungen im Norden des Gazastreifens wird wegen der geringen Entfernungen
in der Region keine Abhilfe schaffen. Im Gegensatz zu früheren
palästinensischen Regierungen, die sich vom "Terror" unkontrollierter
"bewaffneter Banden" distanzierten, bedeutet die Beteiligung der
Hamas-Regierung an dem Beschuss Israels eine neue politische Qualität in dem
Konflikt. Diese offene Kriegserklärung der Hamas und die damit einhergehende
Verhaftung von Hamas-Ministern durch Israel schafft zusätzliche
Komplikationen.
"Erst versuchten wir, die Palästinenser zu verdauen. Dann wollten wir sie
auskotzen. Nichts funktioniert und jetzt saugen sie uns schon wieder in den
Gazastreifen hinein", klagt Bechor. |