Erlebnisse beim Viertelfinale:
Milmanns Deutschland
Yair Lapid, Talkmaster und Sohn des Politikers Tommy Lapid (Schinuj)
und der erfolgreichen Kriminalschriftstellerin Shulamit Lapid, bei der
Mundial in Deutschland, Wochenendbeilage von Jedioth achronoth
Ich fuhr zum Viertelfinale. Es war nicht einfach, das zu arrangieren,
aber ich erklärte meinen Redakteuren, dass diese WM auch politische Aspekte
aufweist- das neue Deutschland unter der konservativen Führung Angela
Merkels entdeckt wieder Nationalstolz und trägt in seinem Banner eine
besonders wichtige Botschaft: Dafür zu sorgen, dass ich auf Geschäftskosten
reise.
Nachdem die Finanzierung geklärt war, überließ man mich meinem Schicksal.
In anderen Worten, sie hatten genug von meinem Generve und schickten mich
aus, allein die Karten zu besorgen. Nach langem Suchen fand ich Milmann, der
schon seit Jahren in Deutschland lebt und sich seinen Lebensunterhalt damit
verdient, sich nicht zu rasieren. Zunächst war ich skeptisch, aber
gemeinsame Freunde erklärten mir, dass man mit Milmann nicht falsch liegen
kann, da er sich völlig in die deutsche Kultur integriert habe. "Wir treffen
uns zwei Stunden vor dem Spiel", wies er mich energisch an. "Du wirst
staunen, was du für gute Plätze kriegst - gleich neben Beckenbauer."
Also flog Lapid wohlgemut nach Deutschland und freute sich auf Beckenbauer.
"Das Stangenberger stellte sich als charmantes Hotel mit einer
superfeinen Lobby heraus, in dem mindestens 50 Israelis herumrasten, die
alle aufgeregt fragten ,Habt ihr Milmann gesehen?'" ...Dieser tauchte zwar
nicht auf, dafür aber sein "Assistent", ein kleiner Türke mit einem
Schnurrbart und drei Handys am Hals, der sagte, "Milmann no come, accident",
jedoch zum Glück noch einen Packen Karten bei sich hatte, die er für eine
symbolische Summe, die ungefähr dem Defizit im chilenischen Staatshaushalt
entsprach, zu verkaufen bereit war. "Wir haben schon in Israel bezahlt",
protestierten wir. "Yes", antwortete er. "Milmann no come, accident".
Noch fünfzehn Minuten zum Anpfiff. Wir zahlten.
Ich erreichte das Stadion genau fünf Minuten vor dem Spiel. Ich gab dem
Ordner meine Karte, und sofort kam die Polizei und verhaftete mich. Meine
Karte - der geneigte Leser hat das vielleicht schon erraten - war gefälscht.
Das war, um es milde zu sagen, sehr, sehr unangenehm. Vor den Augen der Welt
führten mich zwei Polizisten zu einem kleinen Zimmer, wo sie mich mit
Schlagstöcken verprügelten und brüllten Juden raus.
-- Nein, so war es natürlich nicht. Im Gegenteil, sie waren sehr freundlich
und höflich, und nachdem ich ihnen meinen zionistischen Pass vorlegte, trat
das deutsche Schuldgefühl in Aktion, und sie ließen mich sofort gehen, wobei
sie mir wärmsten empfohlen, in Zukunft keine Karten mehr bei kleinwüchsigen
Türken zu kaufen. So stand ich also vor dem Stadion und konnte an der
Geräuschkulisse erraten, was für ein schönes Spiel ich verpasse.
Kein Taxi weit und breit, die Würstchenbuden begannen zu schließen und ich
verfluchte Milmann mit allen Flüchen dieser Welt. Während ich allmählich in
tiefste Depression verfiel, sah ich plötzlich eine kleine Gruppe von
Menschen auf mich zukommen. Zuerst ignorierte ich sie, aber dann stellte ich
fest, dass mir der kleine Mann in der Mitte bekannt vorkommt. Ich stand wie
versteinert da als ich erkannte, dass Diego Maradona an mir vorbeiläuft.
Am nächsten Tag las ich in der Zeitung, dass er mit der FIFA gestritten hat,
weil ein Freund von ihm nicht zu dem Spiel kommen konnte und deshalb nach
Hause ging. Aber dort, vor dem Stadion, erkannte ich die Wahrheit. Ich
schnappte mir ein Taxi, sah mir auf dem Mini-Fernsehen im Hotel an, wie
Argentinien gegen Deutschland verliert und grinste breit vor mich hin.
Denn ich wusste etwas, das keiner der restlichen drei Milliarden
WM-Zuschauer wusste: Sogar Maradona hat seine Karte bei Milmann gekauft.
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