Strategische Fehler:
Wie sind wir nur so weit gekommen
Die Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten im
"Rechten Lager" kommt Israel immer teurer zu stehen
Ein Leitartikel in Jedioth Achronoth, Israels größter
Tageszeitung, meint am 03-07-06, dass die erste strategisch fehlerhafte
Entscheidung, aus der die tragische Verwicklung entstanden ist, in die
Israel heute verstrickt ist, nicht etwa die Räumung von Ortschaften in Gaza
war, sondern die Tatsache, dass dieser Rückzug einseitig durchzuführen sei,
ohne Gegenleistung, und ohne Dialog mit der damaligen palästinensischen
Führung.
Die Einseitigkeit kam vor allem von dem Wunsch, die
Unterstützung der öffentlichen Meinung der "Falken" für den Vorgang der
Loslösung zu erobern. In einer etwas merkwürdigen Weise meinten die Berater
von Premierminister Sharon, dass wenn die einseitige Loslösung als eine Art
Strafe für die Palästinenser dargestellt würde, man dafür eine Mehrheit
unter den Likud Parteimitgliedern finden würde. Denn in dem nahöstlichen
Spiel, in dem die Summe immer null beträgt, ist das, was für die
Palästinenser schlecht ist, automatisch gut für Israel, und umgekehrt.
In der Seifenblase der Aufklärungsarbeit der Regierung, hat die Loslösung so
gut wie gänzlich im fernen All stattgefunden, und nicht in den Gebieten, die
sich neben Israel befinden und von Palästinensern bevölkert sind. Sie waren
dort keine Seite, die an der Sache beteiligt ist, und sie wurden von
vornhinein von jeglicher Verpflichtung zu einer politischen Gegenleistung
für den größten Ruckzug, den Israel seit der Räumung der Halbinsel Sinai
durchgeführt hat, befreit.
"Nehmt Gaza und erstickt daran", hat die Regierung Sharon eigentlich der
Fatah im September 2005 gesagt. Und sie haben Gaza genommen, und sie sind
daran erstickt. Die Leitung des Gazastreifens hat sich als ein fast
unmögliches Vorhaben erwiesen. Es sind Monate vergangen, bevor die
palästinensische Regierung es geschafft hat, ein Mindestmaß an öffentlicher
Ordnung herzustellen. Die wirtschaftliche Lage hat sich verschlechtert,
unter anderem wegen dem Verlust von Arbeitsplätzen in den Ortschaften, die
geräumt wurden, aber auch, weil kein zufrieden stellendes
sicherheitspolitisches Abkommen über die Betreibung der Übergange getroffen
wurde. Die internationale Unterstützung ließ auf sich warten.
Und so kam es, dass der Weg des israelischen Rückzugs, der als Hebel für die
Stärkung des Einflusses der gemäßigten Abteilung der PLO hätte dienen
können, an dessen Spitze Präsident Abu-Mazen steht, verfehlt wurde. Die
Hamas, die als Ergebnis der Loslösung hätte abgeschwächt werden sollen,
wurde nur noch stärker und hob ihren Kopf hoch: Die Einseitigkeit des
israelischen Rückzugs spiegelte sich in der palästinensischen öffentlichen
Meinung nicht als Strafe für Terror wieder sondern - Überraschung!
Überraschung! - als Preis für den Terror. Aus dieser Sicht zumindest hatte
Benjamin Netanjahu Recht, der damalige scheidende Finanzminister und heutige
Vorsitzende des Likud, mit den Warnungen, die er in einem Interview mit
Jedioth Achronoth am Vorabend des Rückzugs verlauten ließ.
Doch der Rückzug selbst war kaum abgeschlossen, und schon hatte es die
israelische Regierung eilig, ihre Zustimmung zur Teilnahme der Hamas - einer
extremen moslemischen Terrororganisation, die selbst die Existenz Israels
nicht anerkennt - an den Wahlen in der Palästinensischen Autonomiebehörde zu
geben. Das war der zweite strategische Fehler, mit dem ersten verwoben und
aus ihm resultierend.
Abu-Mazen hat in diesen Tagen von Januar 2006 Israel regelrecht darum
angefleht, ihren Einfluss einzusetzen und die Abhaltung der Wahlen nach
super-demokratischer Vorlage zu verhindern. Umsonst. Abu-Mazen bat um eine
Auszeit, in der, so hoffte er, sich die wirtschaftliche und soziale Lage in
den Gebieten bessern würde, die palästinensische Öffentlichkeit darin eine
Errungenschaft der amtierenden Regierung sehen würde, und dadurch die Fatah
sich die Früchte des Rückzugs zuschreiben könnte, trotz seiner
Einseitigkeit.
Aber die israelische Regierung galoppierte weiterhin auf der Bahn der
"nahöstlichen Demokratisierung", die von der Regierung Bush vorgegeben
wurde, und lehnte es, nach der Tradition der Einseitigkeit, ab, sich in die
Abwicklung und den gewählten Zeitpunkt der Wahlen in der Autonomiebehörde
einzumischen.
Die Fortsetzung ist bekannt. Die Hamas gewann, getragen von der Welle der
Loslösung, die sie erfolgreich als israelische Niederlage und Ergebung vor
dem Terror vermarktete. Es wurde eine Hamas-Regierung unter Haniya
gegründet, von der Israel nicht wusste, wie sie zu genießen ist. Fatah ist
eigentlich verschwunden, hat aufgehört zu existieren. Präsident Abu-Mazen
ließ von Zeit zu Zeit die Töne eines Oppositionsführers verlauten, um danach
sofort einen Rückzieher zu machen. Der Kassam-Beschuss wurde stärker, ohne
richtige israelische Antwort, die abschreckend und entscheidend hatte sein
können. Und als es letztendlich zuviel des Guten wurde, mit der Entführung
von Unteroffizier Gilad Shalit, hat die israelische Regierung ihre Fassung
und Glaubwürdigkeit vollends verloren.
Und was nun?
So wie die Dinge nun aussehen, krönt Israel - durch seine widersprüchlichen
Reaktionen, durch mündliche Drohungen, Bombardierungen der leer stehenden
Immobilien in Gaza und der Verhaftung der Hamas-Minister, die gestern noch
als "gemäßigt" galten - den neuen Nationalhelden der Palästinenser, wen
sonst, als den halb vergifteten Hamasnik Haled Mashal, der nun wie der
Phoenix aufersteht, mit unserer großzügigen Hilfe.
hagalil.com 05-07-2006 |