Libanon:
Hoffnung auf Diplomatievon Ulrich W. Sahm,
Jerusalem, 17. Juli 2006
Zehntausende Ausländer fliehen auf allen kaum mehr
verfügbaren Wegen aus dem Libanon, sogar auf westlichen Kriegsschiffen. Ihr
Anlegen in Beirut wurde mit israelischen Militärs abgesprochen (so das
israelische Außenministerium). Gleichzeitig reisen Delegationen der UNO und
der EU in den Libanon. Der europäische Chefdiplomat Javier Solana traf sich
mit Libanons Ministerpräsident Fouad Siniora und eine UNO-Delegation unter
Vijay Nambiar begab sich im Auftrag von Generalsekretär Kofi Anan nach
Beirut. Auch Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin will
persönlich vermitteln.
Die Vertreter der Vereinten Nationen mussten sich nicht einmal eine neue
Intiative für einen Waffenstillstand ausdenken. Sie kamen, um Siniora an die
von Libanon noch nicht umgesetzte UNO-Resolution 1559 zu erinnern. Bei der
5028ten Sitzung des Sicherheitsrats wurden im Jahr 2004 sieben Punkte
beschlossen. Israel und Syrien haben mit dem Rückzug ihrer jeweiligen
Truppen die Resolution erfüllt. Doch Libanon hat bis heute nicht seine
Souveränität wahrgenommen, weil es seine Armee nicht bis an die Grenze
vorgerückt hat. Die Weigerung oder Unfähigkeit der libanesischen Regierung,
Punkt vier der Resolution zu erfüllen, ist der Hauptgrund für den jetzigen
Krieg. Libanon war aufgefordert, alle "libanesischen und nicht-libanesischen
Milizen aufzulösen und zu entwaffnen". Wäre das geschehen, gäbe es heute
weder die Hisbollah noch bewaffnete palästinensische Gruppen, die auf eigene
Faust und ohne Zustimmung der Regierung in Beirut immer wieder Israel
angreifen. Diese Gruppen mit Kämpfern und Waffenarsenalen bedeuten einen
Verzicht des Libanon auf Souveränität.
Die Hisbollah kann kein offizieller Ansprechpartner der UNO oder anderer
ausländischer Mächte sein, weil das ein Ausschalten der gewählten legitimen
Regierung des Libanon bedeutet. Deshalb ist die von Tony Blair und Kofi Anan
in St. Petersburg aufgebrachte Idee der Entsendung einer internationalen
Friedenstruppe fragwürdig. Anan scheint vergessen zu haben, dass es im
Südlibanon entlang der Grenze zu Israel längst eine Friedenstruppe gibt: die
UNIFIL. Sie wurde 1978 infolge einer israelischen Invasion geschaffen, mit
der Absicht, die israelischen Truppen zu ersetzen und die Souveränität des
Libanon wieder herzustellen. Damals kontrollierte die PLO den Süden des
Libanon. Sie wurde nach dem Rauswurf der PLO aus Libanon 1982 von der
Hisbollah-Miliz ausgelöst. Und die setzt ähnlich wie die PLO den
"Befreiungskampf" gegen Israel fort.
Die UNIFIL soll darauf achten, dass die Grenze von beiden Seiten respektiert
werde. Sie hat aber kein Mandat zu kämpfen. Grenzverletzungen können deshalb
lediglich beobachtet und nach New York gemeldet werden. Auf den Golanhöhen
oder im Sinai entlang der Grenzen Israels zu Syrien und Ägypten, machen die
internationalen Truppen nur Sinn, weil sich die Streitparteien an die
Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträge halten. Die Friedenstruppen
helfen, Missverständnisse auszuräumen und zwischen den Seiten eine indirekte
Kommunikation herzustellen.
Im Libanon würde eine Friedenstruppe mit leichter Bewaffnung und ohne
Kampfmandat keinen Sinn machen, solange Scheich Hassan Nasrallah verkündet,
dass der Krieg gegen Israel gerade erst begonnen habe. Israel war noch nie
in seiner Geschichte bereit, auf Selbstverteidigung zu verzichten und sich
auf fremde Truppen zu verlassen. Giora Eiland und andere hochrangige Berater
der israelischen Regierung haben schon gesagt: "Eine internationale Truppe
wird Israel keinesfalls akzeptieren."
Die Aufrufe der G8 Staaten zur Waffenruhe, und dass "die terroristischen
Kräfte kein Chaos anrichten dürften", wie sie beim Gipfeltreffen in St.
Petersburg formuliert wurden, entsprechen Forderungen Israels, wie sie der
italienische Premierminister Romano Prodi (in Israel "Parodie"
ausgesprochen) an den Libanon weitergegeben hat.
Ein Rückzug und die Entwaffnung der Hisbollah würde freilich ein
Kapitulieren der Miliz voraussetzen. Die geforderte bedingungslose
Freilassung der beiden entführten israelischen Soldaten ohne Austausch mit
Gefangenen in Israel würde die Hisbollah bei ihren Gefolgsleuten und bei der
Bevölkerung des Libanon lächerlich machen. Denn schließlich hat Nasrallah
als Kriegsgrund angegeben, die Gelegenheit zur Befreiung libanesischer
Gefangenen in Israel nutzen zu wollen.
Aber Hisbollah-Chef Scheich Nasrallah dürfte sich völlig verrechnet haben.
So scheint er nicht das Ausmaß und die Heftigkeit der israelischen Reaktion
vorhergesehen haben, meint Ex-Mossadchef Efraim Halevy. Nasrallahs Glaube,
dass Israel im Falle von Entführten sofort verhandeln würde, erwies sich als
Trugschluss. In der arabischen Welt ist die Hisbollah weitgehend isoliert.
Nur Syrien, Palästina und Sudan stehen zur Hisbollah und ihrem Feldzug.
Noch scheint die teilweise schon ausgebombte Führungsspitze der Hisbollah
nicht zur Selbstaufgabe bereit zu sein. Iran äußerte Widerspruch zu einer
Entwaffnung der Hisbollah. Und Syrien dürfte ebenfalls kein Interesse an
einem Ende der Hisbollah haben, um nicht seinen Einfluss im Libanon zu
verlieren. Der Erfolg der diplomatischen Bemühungen ist deshalb noch nicht
garantiert, obgleich weder Libanon noch Israel diesen gegenseitigen
Zerstörungskrieg auf Dauer durchhalten können. |