Dialog im Krieg:
Mit dem Knüppel in der Hand
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 11.07.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Es ist kaum zwei Wochen her, seit der israelische Soldat
Gilad Schalit von Palästinensern entführt wurde und die israelische Armee
die Operation "Sommerregen" im Gazastreifen gestartet hat, und schon wird
die öffentliche Meinung in Israel etwas unruhig. Wie kommt es, dass die
Hamas noch nicht zur Strecke gebracht wurde? Wie kommt es, dass der Soldat
noch nicht befreit wurde? Gemäß einem Artikel in der israelischen
Tageszeitung Ma'ariv hat sich sogar Premierminister Ehud Olmert während
eines Privatgesprächs bei Knessetmitglied Benny Elon darüber beschwert, dass
die israelische Armee nicht schnell genug brillante Ideen und kreative
Lösungen aus dem Ärmel schüttelt.
Während des Zweiten Weltkrieges setzte Churchill eine Reihe von berühmten
Generälen an die Luft bevor er schließlich den richtigen Kommandeur für die
kritische Schlacht bei El Alamein fand, nämlich den legendären Feldmarschall
Bernard Montgomery. Churchill war Churchill. Er verkörperte Führungs- und
Sicherheitskompetenz. Ariel Scharon war genauso. Er befahl dem früheren
Generalstabschef Moshe Ya'alon, seine Sachen zu packen und zu gehen und
setzte stattdessen Dan Halutz ein, um die Abkopplung vom Gazastreifen
auszuführen. Nun steht Halutz selbst dem ultimativen Test gegenüber.
Ehud Olmert tat gut daran mit dem Klagen aufzuhören, sich selbst in den
Griff zu bekommen und Unterstützung und Rückhalt für die Operation
"Sommerregen" zu geben. "Sommerregen" ist eine "rollende Operation" ohne
festes Datum für ein Ende, stattdessen mit zwei klar definierten Zielen: den
Kassamangriffen auf Städte und Gemeinden in Israel ein Ende zu setzen und
die Befreiung von Korporal Schalit herbeizuführen. Amir Peretz tat gut
daran, der israelischen Öffentlichkeit zu sagen, sie solle sich beruhigen.
"Wir befinden uns nun in einer 'Wartezeit' wie vor dem Sechstage-Krieg",
sagte er. "Jeder möchte sofort 'Action' sehen. Jeder möchte auf der Stelle
Antworten und Reaktionen haben. Doch manchmal ist es besser dazusitzen und
zu warten bis die andere Seite einen Fehler macht." Das sind wohl die ersten
guten Worte, die wir aus dem Mund des neuen Verteidigungsministers gehört
haben.
Sein Bezug zum Vorabend des Sechstagekrieges ist besonders interessant. Als
man Moshe Dayan im Juni 1967 zum Verteidigungsminister ernannt hatte, wurde
er mit der Frage, worauf er denn warte, bombardiert und bedrängt. Dayan, der
auf einer Mediensperre bestand, antwortete in aller Seelenruhe: Warum die
Eile? Wurde irgendwer in Tel Aviv getötet? Und eines Morgens war dann die
ägyptische Luftwaffe völlig unerwartet ausgeschaltet worden noch bevor sie
vom Boden abheben konnte, und der Krieg war fast vorüber noch bevor er
richtig begonnen hatte.
Es ist falsch, mit einer Stoppuhr in der Hand über der Armee zu wachen
solange eine Operation, die gleichzeitig mehreren Aufgaben nachkommt, im
Gang ist. Komplexe Operationen wie "Sommerregen", bei der alle militärischen
Zweige zusammenarbeiten –hineingehen, angreifen, zurückziehen und dann
wieder von vorne beginnen, um nicht, wie im Libanon, zur leichten Beute zu
werden-, sind nicht nach einer Nacht zu Ende. Es muss der Armee erlaubt
sein, gemäß ihrem eigenen Tempo und mit den ihr passend erscheinenden
Strategien zu arbeiten, ohne in Panik zu geraten. Olmert und Avi Dichter
taten am Sonntag auch gut daran, zusammenzustehen und eine gemeinsame
Position zu vertreten: Man wird sich Erpressungen nicht beugen;
palästinensische Gefangene werden für die Freilassung Schalits nicht aus dem
Gefängnis entlassen; und die militärische Aktion wird nicht enden bevor
nicht der Beschuss durch Kassamraketen aufhört.
Je stärker die Angriffe auf die Raketenabschussrampen und ihre Betreiber im
Gazastreifen, desto mehr wird der entführte Soldat von einem Gewinn zu einer
Belastung für die Hamas. Es ist kein Zufall, dass Ismail Haniyeh eine
Feuerpause vorschlug und die Freilassung Schalits im Austausch für die
Entlassung von tausenden von palästinensischen Gefangenen in Israel anbot.
Olmert handelte richtig, als er dieses Angebot ausschlug. Israel sollte
diesen mörderischen Terrororganisationen keine Anerkennung und keine
Legitimität gewähren.
Erstens weil es unmöglich ist, einer Organisation zu vertrauen, die so viele
Abteilungen hat, von denen jede tut, was immer sie will. Zweitens können wir
nicht mit einem Premierminister verhandeln, der nicht bereit ist, Israels
Existenz anzuerkennen. Drittens können wir nicht die Hamas auf Kosten von
Abbas stärken. Selbst wenn er schwach ist, so ist Abbas doch der einzige
vernünftige Partner, den wir haben. Und am wichtigsten: Es kann der Hamas
nicht gestattet werden, auf eine Art und Weise aus der Operation
"Sommerregen" hervorzugehen, die sie als strategischen Sieg darstellen
könnte.
Israel kann Verhandlungen um die Freilassung des entführten Soldaten nicht
verweigern, doch es kann keine offiziellen Gespräche mit Regierungen geben,
die die Hamas anerkennen. Diejenigen, die Tag für Tag Raketen auf zivile
Bevölkerungszentren in Israel abfeuern verdienen es zusehen zu müssen, wie
ihre Häuser in Rauch aufgehen und ihre Unterstützer bluten. Das Ziel von
Israels Militäraktion ist es, die Palästinenser zu zwingen, den
Raketenbeschuss einzustellen und den entführten Soldaten freizulassen.
Wenn Haniyeh sagt, er sei zu einer Hudna ("Feuerpause") und Verhandlungen
bereit, kann man nur annehmen, dass "Sommerregen" beginnt, Druck auf ihn
auszuüben. Gleichzeitig sollte sich Israel nicht von denen abwenden, die wie
Hosni Mubarak ihren guten Willen zeigen und tun, was sie können, um heimlich
über Schalits Freilassung und das Ende der Kassamangriffe zu verhandeln.
Im Krieg ist auch der Dialog eine Möglichkeit – vorausgesetzt, wir halten
den Knüppel in der Hand fest.
hagalil.com 11-07-2006 |