Die Melodie ist dieselbe:
Deutschlands Hymne als Alptraum
Noach Klieger stellt in Jedioth achronoth die sehr berechtigte Frage:
"Warum hat sich das demokratische, neue, andere Deutschland, das im
Orchester der freien Volker die erste Geige spielen will, keine neue Hymne
ausgewählt?
Das war's. Mein Alptraum namens WM ist vorbei. Ein Alptraum nicht,
Gott behüte, wegen des Fußballs, denn ich liebe Sport, vor allem Fußball,
und aus dieser Sicht hatte ich kein Problem mit den langen Wochen der Spiele
in Deutschland.
Obwohl ich zugeben muss, dass mich der Super-Patriotismus, die grenzenlose
Begeisterung und das Gebrüll von Millionen Deutschen, die Nationalfahnen
schwenkten, hin und wieder an vergangene Zeiten erinnerte. Sehr schwarze
Tage, in denen die Deutschen auch Super-Patriotismus und grenzenlose
Begeisterung demonstriert hatten. Nicht für Fußball, sondern für ihren
Führer, der sie und die ganze Welt in ein Blutbad stürzte, das 50 Millionen
Opfer forderte.
Aber nicht das ist mein Problem, obwohl es doch irgendwie damit
zusammenhängt. Mein Alptraum ist die deutsche Hymne, die jedes Mal gespielt
wurde, wenn die deutsche Mannschaft antrat. Ich kann nichts dafür. Jedes
Mal, wenn ich das „Deutschlandlied" höre, eine Melodie, die von Haydn
komponiert wurde, mit einem Text von Hoffmann von Fallersleben, zittere ich
am ganzen Korper. Diese Melodie assoziiere ich, und sicherlich viele
Millionen Europäer, mit der dunklen Zeit zwischen 1933 und 1945. Die
Deutschen singen zwar nicht mehr die erste Strophe des von dem nicht
besonders geschätzten Dichter geschriebenen Texts, die mit dem Satz begann
„Deutschland über alles", sondern die zweite (sie!) Strophe „Einigkeit und
Recht und Freiheit". Aber die Melodie ist dieselbe.
Diese Melodie wurde bei allen Zeremonien, allen Versammlungen, allen
Märschen und allen Besatzungen in diesen blutigen 12 Jahren gespielt. Jahre
eines grausamen Regimes, das ganze Völker erniedrigte, Jahre des geplanten
Völkermords. Des Mords am jüdischen Volk. Das ist die Melodie, die bei den
Reichsparteitagen in Nürnberg gespielt wurde, als Hunderttausende dem
österreichischen Unteroffizier die Treue gelobten, der nicht einmal ein
gutes Deutsch sprach. Das ist auch die Melodie, die uns auf dem Weg ins
Vernichtungslager begleitete.
Es ist also kein Wunder, dass ich jedes Mal, wenn ich die Melodie höre,
erschauere. Ich frage mich immer, warum sich das demokratische, neue, andere
Deutschland, das im Orchester der freien Volker die erste Geige spielen
will, keine neue Hymne ausgewählt hat? Warum besteht es auf diese bei so
vielen Menschen in Europa verhasste Melodie, die Haydn, übrigens ein
Österreicher, ja sowieso nicht als Nationalhymne komponiert hat? Die ganze
Welt, auch Deutschland, wurde es begrüßen, wenn diese Hymne, die im
Bewusstsein so stark mit dem Naziregime in Zusammenhang gebracht wird,
ausgewechselt wurde. Die WM hat uns daran erinnert, dass es dazu noch nicht
zu spät ist.
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