"Der Bint-Jbail-Krieg":
Was sie in Ramallah sagen werden
Kommentar von Avi Issacharoff, Ha'aretz,
27.07.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Die Israelis waren nicht die einzigen, die am
Mittwoch die Entwicklung in der südlibanesischen Stadt Bint Jbail
beobachteten. Auch ranghohe Fatah-Offizielle in den
Palästinensergebieten sahen sich im arabischen Fernsehen die
Berichte über die Kämpfe und das Zählen der toten israelischen
Soldaten an und waren sich dessen bewusst, dass die militärischen
Errungenschaften der Hisbollah die Unterstützung der Palästinenser
für die Hamas erhöhen würden.
Die Fatah befürchtet, dass Israel seinen Feldzug im Libanon beenden
könnte bevor bedeutende Erfolge über die Hisbollah errungen werden
konnten. "Stoppt das Kämpfen" zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde als
israelische Niederlage interpretiert werden, was die Ereignisse in
den Palästinensergebieten, insbesondere im Gazastreifen, sofort
beeinflussen würde, sagte ein Führer der Tanzim-Miliz. "Die
extremistischen Organisationen wie Islamischer Dschihad und Hamas
würden den Sieg der Hisbollah als ihren eigenen betrachten, und die
palästinensische Öffentlichkeit, die sich mit Hisbollah und Hamas
identifiziert, würde dies auch tun. Das moderate palästinensische
Lager wird dem Kollaps gegenüber stehen, sollte die Hisbollah die
Oberhand behalten, nachdem der Krieg vorüber ist. Was wird Abu Mazen
(der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud
Abbas) seinem Volk angesichts der Errungenschaften von
(Hisbollahführer Hassan) Nasrallah oder Hamas sagen können?" fragte
der Tanzim-Offizielle rhetorisch.
Während der letzten zwei Wochen war die Hamasführung in den
Palästinensergebieten und im Ausland besorgt über die Auswirkungen,
die der Krieg im Libanon auf die Zukunft der Hamas-Organisation
haben könnte. Einige Leute in Gaza hatten nach einem umfassenden
Friedensabkommen mit Israel gerufen, das im Austausch für Garantien
einer zukünftigen Freilassung palästinensischer Gefangener die
Rückgabe des entführten Soldaten Gilad Shalit mit einbeziehen würde.
Die Bilder vom Schiitenquartier in Beirut und von anderen Orten
haben den Palästinensern und der Hamas eine Botschaft dessen
übermittelt, was in der Westbank und im Gazastreifen geschehen
könnte, sollte Israel Aktionen gegen die palästinensische
Hamas-Organisation unternehmen.
Ranghohe Hamas-Offizielle glaubten, Israel plane, sich mit der Hamas
zu beschäftigen sobald der Kampf gegen die Hisbollah vorüber wäre.
Doch das Gefecht in Bint Jbail am Mittwoch änderte ihre Haltung
gegenüber Israel und der israelischen Armee (IDF). "Der
Bint-Jbail-Krieg", wie er überall in den arabischen Zeitungen
betitelt wurde, zeigte, dass die israelische Armee verwundbar ist
und dass es die Hisbollah mit nur einigen tausend Kämpfern mit der
IDF aufnehmen kann.
Die Palästinenser waren am Mittwoch sehr stolz auf ihren neuen
Führer Hassan Nasrallah, der ihnen die Art von Wiedergutmachung
verspricht, die Saddam Hussein einst zugesagt hatte. Innerhalb von
zwei Wochen wurde Nasrallah zur meist bewunderten Person im
Gazastreifen und in der Westbank. Seine Fotos wurden bei
Kundgebungen für die Hisbollah in Nablus, Dschenin und Ramallah
hochgehalten, und dies nicht nur von Unterstützern der islamischen
Aktivisten sondern auch von Anhängern säkularer Bewegungen.
Doch sollte Israel seine Operation auf eine Art und Weise beenden,
die Nasrallah als Sieger darstellt, wären die großen Gewinner Hamas
und Islamischer Dschihad, die mit der Hisbollah identifiziert
werden. Gerade diejenigen, die sich einen Friedensprozess mit den
Palästinensern wünschen, sollten verstehen, dass ein Beenden des
IDF-Feldzuges zum jetzigen Zeitpunkt dem Friedensprozess auf lange
Sicht schaden könnte. Abbas, der einzige Dialogpartner unter den
Palästinensern, würde wahrscheinlich gezwungen werden, seinen Posten
bei der nächsten Wahl an einen Hamas-Kandidaten abzutreten.
Israelis, die nach einem schnellen Ende der Operation rufen, um mehr
IDF-Opfer zu verhindern, müssen die möglichen Auswirkungen auf die
Zukunft des Nahen Ostens, die eine solche Entscheidung mit sich
bringen würden, in Betracht ziehen. Zusätzlich zu dem
wahrscheinlichen Aufschwung für das radikale palästinensische Lager,
würde auch das islamische Lager in arabischen Staaten gestärkt
werden – und die Führer dieser Staaten sind sich dessen bewusst.
Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien wissen, dass die Hisbollah
inzwischen viel stärkeren Zulauf unter den arabischen Massen hat als
noch vor zwei Wochen. Die Bilder vom Mittwoch sahen zumindest danach
aus.
Ein Sieg oder ein großer Erfolg für die Schiiten-Organisation wird
wahrscheinlich auch die Beliebtheit der sunnitischen Bewegungen in
Ägypten und Jordanien, wie z. B. der Moslembruderschaft, steigern.
Nasrallah war bei Demonstrationen der Moslembruderschaft bereits der
gekrönte Führer der islamischen Nation. Eine Beendigung des
IDF-Feldzuges im Libanon zum jetzigen Zeitpunkt würde einen anderen
"neuen Nahen Osten" schaffen als denjenigen, den sich die
US-Außenministerin Condoleezza Rice vorstellt, und sein Weg würde
vom Iran und von Syrien bestimmt werden.
Der Rückzug unter Beschuss aus dem Libanon im Jahr 2000 war einer
der Hauptgründe für das Aufkommen der Al-Aksa-Intifada. Ein zweiter
Rückzug in Folge des Gefechts in Bint Jbail wird
höchstwahrscheinlich die Anzahl von Entführungen, den Preis, den
Israel für die Rückgabe entführter Soldaten zahlen muss, und die
Angriffe islamischer Organisationen auf israelische Ziele erhöhen.
Israel wird leider auch gezwungen sein, einen Preis für die
Fortführung der Operation im Libanon zu zahlen. Doch ein Rückzug zum
jetzigen Zeitpunkt würde einen noch höheren Preis in der Zukunft
fordern.
hagalil.com 28-07-2006 |