SWG:
Ehrenwerte Herrschaften
In der Staats- und Wirtschaftspolitischen
Gesellschaft will man neuerdings nachrechnen, wie viele Menschen durch den
Holocaust ums Leben gekommen sind.
Von Andreas Speit
Jungle World 24 v.
14.06.2006
Ihr Image pflegt die Staats- und Wirtschaftspolitische
Gesellschaft (SWG) mit Verve. In der Öffentlichkeit möchte die Gesellschaft
um Reinhard Uhle-Wettler nichts mit rechtsextremen Ressentiments zu tun
haben. Seit fast 45 Jahren leistet sie, die rund 5000 Förderer haben soll,
nach eigenem Verständnis "staatsbürgerliche Bildungsarbeit". Im
"vorpolitischen Raum" setzt sich der in Hamburg als gemeinnützig anerkannte
Verein für Volk, Vaterland und Familie ein.
Ende Mai allerdings fühlte sich der Brigadegeneral a. D. Uhle-Wettler
genötigt, die "Mitglieder und Gäste der SWG-Region Hannover" anzuschreiben.
Eilig wollte er einen Schaden am Image der Gesellschaft abwehren. In dem
einen Schreiben vom 20. Mai erklärte er: "Die Ihnen mit der Einladung vom
10. Mai 2005 irrtümlich übersandte Anlage eines Abdruckes aus den Basler
Nachrichten von 13. Juni 1946 (…) gehört nicht zum Vorgang." Und er
forderte: "Sie ist bitte zu entnehmen, zu vernichten und als nicht übersandt
zu betrachten. Keinesfalls darf sie weitergegeben und mit der SWG in
Zusammenhang gebracht werden." Der Grund seiner Sorge war folgender: In dem
besagten Text spekulierte der Hannoveraner Regionalleiter der SWG, Frank
Binnewies, über die "wahren Verluste des jüdischen Volkes in Europa während
der Nazi-Herrschaft".
Mit der Einladung zu zwei Veranstaltungen der Staats- und
Wirtschaftspolitischen Gesellschaft verschickte Binnewies den "Abdruck eines
Auszuges aus der Original-Ausgabe" der Basler Nachrichten aus dem Jahr 1946.
Unter dem Titel "Wie hoch ist die Zahl der jüdischen Opfer?" rechnete für
das Blatt damals ein "Korrespondent" aus Amerika nach. Fast alle Staaten,
schrieb er, hätten "inzwischen die offiziellen Ziffern ihrer Kriegsverluste
bekannt gegeben", umso verwunderlicher sei es, dass das "jüdische Volk
bisher keinerlei offizielle Ziffern", sondern nur "offiziöse Schätzungen"
veröffentlicht habe, die sich "wohl nach einer zentralen Propagandaziffer
zwischen fünf und sechs Millionen" bewege. Aber ein "summarischer Überblick
macht erkennbar, dass diese Zahl der jüdischen Opfer nicht stimmen" könne.
In Europa hätten "fünf Millionen Juden" gelebt, "die überhaupt in den
Machtbereich Hitlers geraten konnten". Der Autor kam auf "höchstens drei
Millionen", die sich "tatsächlich in dem Machtbereich Hitlers" aufgehalten
hätten. "Leider umfasst der Mangel an genauen Zahlen auch die Zahl der
überlebenden Juden", meinte er.
Er rechnete aus, dass "alles in allem weniger als 1,5 Millionen Juden
vorläufig als tot oder vermißt bezeichnet werden müssen". Angesichts der
"gewaltigen Bedeutung, die gerade die ›Ausrottung der Juden‹ in der
Weltmeinung" habe, forderte er, dass ein Untersuchungsausschuss der
Vereinten Nationen feststelle, "wie hoch wirklich die Todesopfer des
jüdischen Volkes gewesen" seien. "Eines ist schon heute sicher", hob er
hervor, "dass diese Zahl fünf bis sechs Millionen beträgt", sei "unwahr".
Diese Meinung teilt offensichtlich auch Binnewies. In seinen Anmerkungen zu
dem Artikel weist der Diplomfinanzwirt darauf hin, dass es bisher keinen
Untersuchungsausschuss gegeben habe. Er betont zudem, niemand würde "bisher
Interesse am Herausfinden der wahren Verluste" zeigen. "Grundlage für die
Nürnberger Prozesse war die Zahl 6.000.000 Tote – woher sie auch immer
stammen mag."
Eine solche Relativierung des Holocaust missfällt dem Vorsitzenden der
vermeintlich ehrenwerten Gesellschaft dann doch. Uhle-Wettler formuliert es
lieber anders. Im Deutschland-Journal, das die SWG jährlich herausgibt,
erklärte der Vorsitzende im Jahr 2005: "Nur eines ist gewiss: die
barbarische Ausrottung der Juden durch Hitler wurde übertroffen durch die
Ausrottung der Deutschen von der Hand der ›demokratischen, friedliebenden‹
Mächte der Vereinten Nationen."
Uhle-Wettler ist seit über zehn Jahren Vorsitzender der Staats- und
Wirtschaftspolitischen Gesellschaft. Im Jahr 1995 übernahm er die Leitung
von Hugo Wellems, der einst Pressereferent im "Ministerium für
Volksaufklärung und Propaganda" von Joseph Goebbels war. Seit der Gründung
kämpft die SWG gegen die "alliierte Umerziehung" und die "68er
Wertezersetzung". Regelmäßig klagt Uhle-Wettler über das "US-amerikanische
Umerziehungsprogramm für die besiegten Deutschen". Er verfasste eine
Festschrift für den englischen Auschwitz-Leugner David Irving und trat bei
der rechtsextremistischen Kulturvereinigung "Gesellschaft für freie
Publizistik" auf.
Über 60 Gäste folgten im Mai dieses Jahres einer Einladung der Gesellschaft
in das Internationale Maritime Museum Hamburg. Während der Führung durch die
umstrittene Privatsammlung Peter Tamms musste aber niemand wegen einer
"unangemessenen Bußkultur" einschreiten. In der Sammlung wird die deutsche
Maritimgeschichte noch frei von "zerstörerischer Selbstbezichtigung"
dargestellt, die die SWG sonst immer in der "deutschen Erinnerungskultur"
ausmacht.
Wie der ehrenamtliche Museumsführer meinte auch der Hamburger Vorsitzende
der SWG, Manfred Backerra, dass die Rede von "Weltmachtplänen Hitlers
völliger Unsinn" sei. Er schimpfte über Peter Longerichs Buch "Davon haben
wir nichts gewusst". Backerra, der Dozent für Militärisches Nachrichtenwesen
an der Führungsakademie der Bundeswehr war, ist verärgert über Longerichs
Darstellung, derzufolge die Deutschen Mitwisser der Vernichtung der Juden
gewesen seien. "Unglaublich", stimmte ein älterer Herr ein, und ein junger
Mann meinte: "Juden bezeugen das doch nur." Eine betagte Dame meinte: "Immer
diese Juden".
In Kiel hielten sich die Mitglieder der SWG auf einer Abendveranstaltung mit
Martin Hohmann im Oktober auch nicht gerade zurück. Vor über 100 Besuchern
trug der ehemalige Bundestagsabgeordnete der CDU seine Ansichten vor. Konrad
Adenauer habe nur einer "einmaligen Entschädigungszahlung an Israel"
zugestimmt, meinte er. "Diese gierigen Juden", raunte es damals im Saal. Und
Hohmann führte aus, Adenauer habe das Rückgrat gehabt, in Israel zu betonen:
"Die Nazis haben nicht weniger Deutsche als Juden ermordet." So etwas kommt
offenbar gut an bei Leuten, die "staatsbürgerliche Bildungsarbeit" leisten.
hagalil.com
26-06-2006 |