Halten Sie sich fern von Fahrstühlen:
"Stromkatastrophe" in Israel
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Bis zum Abend sollten Sie keine Fahrstühle benutzen."
Stundenlang beherrschte dieser in den Radionachrichten veröffentlichte
Hinweis das Leben im Großraum Tel Aviv, wo über zwei Millionen Menschen
leben. Seit Sonntag geht in Israel im Halbstundenrythmus das Licht aus.
Der Verkehr bricht zusammen, weil die Ampeln nicht mehr
funktionieren. In den Industriezentrum stehen die Maschinen still. Im
Supermarkt bilden sich endlose Schlangen vor den Kassen, weil ohne Strom
nichts läuft. Währenddessen heizen sich die Gemüter auf, weil auch die
stromfressenden Klimaanlagen ausfallen.
Am Sonntag musste die Feuerwehr allein in Tel Aviv über
hundert Mal anrücken um halb erstickte Menschen aus stecken gebliebenen
Fahrstühlen zu befreien. Und wenn der Strom dann plötzlich wieder in ganzen
Stadtvierteln die Kühlschränke brummen lässt, kann es teuer werden. Denn der
Strom kommt mit Wucht. So mancher Transformator in feinfühligen Computern
hält das nicht aus. So konnte auch dieser Bericht nicht schon am Sonntag
entstehen, weil zwei Computer dieses Korrespondenten mit ausgebranntem
Transformator zur Reparatur mussten. "Schicken Sie uns die Rechnung. Wir
werden prüfen, ob Ihnen Schadensersatz zusteht", erklärte ein Sprecher der
Stromgesellschaft. Insgesamt ist von Schäden in Millionenhöhe die Rede.
Sogar im fernen Eilat am Roten Meer fällt der Strom immer wieder aus,
während das Thermometer unerträgliche 42 Grad im nicht-vorhandenen Schatten
anzeigt. Grund für die Stromausfälle im ganzen Land ist eine Hitzewelle. Die
nationale Stromgesellschaft gab sich "völlig überrascht". Die ahnte nämlich
nicht, dass Anfang Juni im Nahen Osten, wie immer schon, sommerliche
Temperaturen herrschen und bedachte nicht, dass bei 30 Grad Hitze und 75
Prozent Luftfeuchtigkeit in der Gegend von Tel Aviv alle Klimaanlagen auf
Hochtouren laufen. In Jerusalem sind die 33 Grad eher auszuhalten, weil es
nicht so feucht ist.
Leichtsinnerweise hat die Stromgesellschaft die Reparatur einer großen
Turbine auf Anfang Juni gelegt. Zudem fällt das Kraftwerk Reading im Norden
von Tel Aviv mit einer Leistung von 450 Megawatt aus. Die Gesellschaft
musste das Kraftwerk stilllegen, weil sie nicht von Schweröl auf
umweltschonenden Gasbetrieb umgestiegen ist, wie es der Gesetzgeber
vorgeschrieben hatte.
Im Prinzip, wenn alle Turbinen laufen, könnten in Israel 10.000 Megawatt
Strom produziert werden. Wegen der Pannen standen am Sonntag aber nur 7.400
Megawatt zur Verfügungen, während der Strombedarf wegen der unerträglichen
Hitze auf 7.700 Megawatt anstieg. Während in Europa Stromreserven von 25
Prozent bereitstehen, sind es in Israel nur 8 Prozent.
Um Schäden am nationalen Stromnetz zu vermeiden, wird reihum in ganzen
Stadtvierteln der Strom ausgeschaltet. Das geschieht jeweils nur eine halbe
Stunde lang, denn solange es nur 30 Minuten sind, ist die Stromgesellschaft
nicht verpflichtet, den Stromausfall rechtzeitig anzukündigen. Angeblich
bestimmt ein Computer willkürlich, wo Finsternis angesagt ist.
Die Zeitungen titelten am Montag: "Stromkatastrophe". In Ofakim erstickte
fast ein Mann, weil seine häusliche Beatmungsmaschine ausgefallen war. Ein
dreizehnjähriges gelähmtes Mädchen saß in ihrem Rollstuhl in einem
feststeckenden Fahrstuhl gefangen. In Schönheitssalons musste die Schminke
im Dunklen aufgetragen werden.
Der für Infrastruktur zuständige Minister, Benjamin ben Eliezer, war auf dem
Höhepunkt des "Stromskandals" unerreichbar. Er war nach Baku in
Aserbaidschan geflogen, um eine internationale Gas- und Erdöl-Messe zu
besichtigen. |