Militäraktion im südlichen Gazastreifen:
Humanitärer Sommerregen
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem "Das ist
eine rein humanitäre Operation" sagte Benjamin ben Eliezer, heute
Infrastrukturminister der Arbeitspartei und früher General. "Sommerregen",
was es im Nahen Osten fast nie gibt, nannte der Militärcomputer willkürlich
die Militäraktion im südlichen Gazastreifen mit mindestens drei
Panzerdivisionen und viel Luftwaffe. "Wir haben keine Absicht, die
Bevölkerung zu bestrafen", sagte Ben Eliezer, nachdem die Luftwaffe in der
Nacht das einzige Kraftwerk und dessen Benzintanks mit Volltreffern außer
Kraft setzte und so in Teilen des Gazastreifens der Strom ausging.
Panzer drangen zum Dorf Schuka vor. Die israelischen Soldaten
erteilten den palästinensischen Sicherheitskräften die Weisung, zu
verschwinden. "Der Befehl galt nicht der Bevölkerung", sagt ein
Militärsprecher, doch tausende Frauen, Kinder und Greise machten sich mit
Hausschuhen und in Schlafröcken mit jedem verfügbaren Transportmittel - vom
Lastwagen bis zum Eselskarren - auf die Flucht in Richtung Westen, zum
Strand. "Die Operation kann jederzeit abgebrochen werden, sowie der Soldat
Gilad Schalit freigelassen ist", sagte Ami Ayalon, Israels neuer Botschafter
in Washington, ehemaliger Geheimdienstchef und Friedensaktivist.
"Ohne den Beschuss von Sderot und anderen Ortschaften rund um
den Gazastreifen mit palästinensischen Kasamraketen effektiv zu beenden,
wäre mit der Operation nichts erreicht", sagte der ehemalige Befehlshaber im
Gazastreifen, Jom Tov Samia, im Rundfunk. Israel habe nichts im Gazastreifen
zu suchen gehabt, sagt der ehemalige General und begrüßte im Nachhinein den
von Ariel Scharon beschlossenen Rückzug aus dem Gazastreifen. "Wir haben ein
volles Recht auf einseitige Schritte, ohne die Genehmigung Anderer
abzuwarten. Auch die Errichtung des Staates Israel war ein einseitiger
Schritt. Hätten wir auf die Erlaubnis der Palästinenser gewartet, wäre der
Staat niemals zustande gekommen", sagte Samia.
Israel habe den gesamten Gazastreifen geräumt, "bis auf den letzten
Zentimeter" und entgegen Ratschlägen der Militärs auch den Grenzstreifen
zwischen Gaza und Ägypten freigeräumt. Doch verpasste Israel die
Gelegenheit, den Palästinenser klarzumachen, dass sich "jetzt die
Spielregeln gewandelt haben". Schon beim ersten Raketenangriff hätte Israel
exemplarisch Beth Hanoun besetzen, die Bevölkerung vertreiben, eine hohe
Mauer errichten und die Grenze neu ziehen müssen, um die Palästinenser zu
lehren, welche Konsequenzen Angriffe auf Israel haben.
Auf der palästinensischen Seite waren nach der Zerstörung des
einzigen palästinensischen Kraftwerks im Gazastreifen und der Bombardierung
von Brücken, um den Süden vom Norden zu isolieren, ähnliche Sprüche zu
hören. "Wir werden die zionistischen Besatzer nicht mit Blumen empfangen",
drohte ein vermummter Kämpfer, während er einen Sprengsatz an einem
Butangasballon am Straßenrand montierte. Planierraupen schütteten
Erdhäufchen auf die Straße, in der Hoffnung, dass israelische Panzersoldaten
diese als Hindernisse überhaupt wahrnehmen. Sprecher der Hamas warnen Israel
vor einer "Dummheit" und prophezeien der israelischen Armee "viele schwere
Verluste". An der Lage sei doch "allein Israel schuld", meinte ein bärtiger
Hamas-Vertreter bei CNN. "Kein Mensch redet mehr über die Frauen und Kinder,
die in der vergangenen Woche bei israelischen Angriffen ums Leben gekommen
sind. Es kann doch nicht sein, dass da jetzt ein einzelner Soldat wichtiger
ist", beklagte er sich. Schimon Peres, 84, Veteran
nahöstlicher Politik und Friedensnobelpreisträger, brachte ein ganz anderes
Argument in die Krise um den Gazastreifen ein. Für ihn sitzt der wahre
Übeltäter in Damaskus. Chaled Maschal, der Chef der Exil-Hamas, sei ein
"echter Kriegsverbrecher" und habe persönlich den Befehl für die Attacke auf
die Militärstellung auf israelischem Territorium und für die Entführung des
Soldaten gegeben. Ob und wie aber nun Israel gegen die syrischen Gastgeber
dieses "Verbrechers" vorgehen sollte und gegen Maschal selber, ließ Peres
offen. Derweil wurde Maschal, der 1996 in Jordanien
einen missglückten Mordanschlag israelischer Geheimdienstagenten überlebt
hat, nach Kairo "zitiert", um dort Rechenschaft über seine Machenschaften
abzulegen. Kairo sieht offenbar in Maschal den Schlüssel für eine umgehende
Freilassung des entführten Soldaten und so auch für ein Ende der Offensive.
Maschal, so die Einschätzung in Israel, habe mit der Aktion durchaus der
gewählten Hamasregierung unter Ismail Hanija in den Rücken fallen wollen,
unter Anderem auch, weil Hanija sich auf Kompromisslösungen zu den
innerpalästinensischen Machtkämpfen mit Präsident Mahmoud Abbas eingelassen
habe. |