Ultimatum für Hamas abgelaufen:
Machtkampf in den Palästinensergebieten
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Entsprechend meiner Befugnis, die höchsten
Interessen des palästinensischen Volkes zu bewahren, verfüge ich die
Ausrichtung einer Volksbefragung in vierzig Tagen." Mit diesen Worten wollte
Präsident Mahmoud Abbas eine neue Phase auf dem Weg zu einem Bürgerkrieg
einleiten. In der Nacht zum Dienstag war ein Ultimatum an die Hamas
abgelaufen, einen "Friedensplan" prominenter Palästinenser in israelischen
Gefängnissen zu akzeptieren. Doch Entscheidungen werden vertagt.
Der "Friedensplan" fordert einen Abzug der israelischen Besatzer hinter die
Grenzen von 1967 und enthält so eine implizite Anerkennung des Staates
Israel. Deshalb lehnt es die Hamas ab, ohne ein klares "Nein" ausgesprochen
zu haben. Aber sie hat das Ultimatum verstreichen lassen. Während Abbas am
Dienstag von "gescheiterten Gesprächen" redete, will Hamas mit weiteren
"Verhandlungen" Zeit gewinnen.
Das Dokument der Gefangenen wird von der Fatah als "Friedensplan" gefeiert.
Doch George Baskin, ein bekannter israelischer Friedensaktivist mit viel
beachtetem Newsletter, veröffentlichte scharfe Kritik an dem Dokument in
palästinensischen Zeitungen und sogar im "Daily Star" im Libanon. "Das ist
ein non-Starter", schrieb er. Kein Israeli könne die Rückkehr von Millionen
palästinensischer Flüchtlinge nach Israel akzeptieren. Das Ergebnis wäre
keine Zwei-Staaten-Lösung, sondern die Entstehung von zwei palästinensischen
Staaten. Auch dem Aufruf, in den besetzten Gebieten den "Widerstandskampf"
fortzusetzen, "kann kein Israeli zustimmen."
Während sich die israelische Regierung zu den "internen Auseinandersetzungen
der Palästinenser" ausschweigt, sehen auch israelische Experten keinen
echten Hoffnungsstrahl in dem "Gefangenen-Papier". Der Forscher Guy Bechor
sagt: "Das ist kein Friedensplan. Der direkt gewählte Fatah-Präsident will
mit einer Volksabstimmung die Parlamentswahlen, aus denen die Hamas
siegreich hervorgegangen ist, überstimmen und dann rückgängig zu machen."
Niemand will einen Bürgerkrieg. Aber die Verfassungskrise zwischen dem
gewählten Präsidenten der einen Partei und die gewählte Regierung der
anderen Partei, führt unweigerlich in einen unlösbaren Konflikt. Die
Anerkennung Israels oder Akzeptanz bisheriger Abkommen ist nur ein
nebensächlicher Aspekt. Viel entscheidender ist die interne Aufteilung der
Macht und die Frage, wer letztlich die Politik bestimmt. So halten
zehntausende Soldaten der Sicherheitskräfte zu Abbas und liefern sich im
Gazastreifen blutige Schlachten mit der schwerbewaffneten Miliz der Hamas.
Die von Staatspräsident Abbas für "illegal" erklärte Hamas-Miliz rückt vor,
wenn uniformierte Polizisten das Parlamentsgebäude oder Banken stürmen, weil
sie seit März keine Gehälter mehr gesehen haben. Für den Geldmangel wiederum
macht Fatah die Hamas verantwortlich, weil sie stur die drei Bedingungen der
Weltgemeinschaft verweigert: Anerkennung Israels, Gewaltverzicht und
Akzeptanz bestehender Abkommen.
In Jenin im Westjordanland wiederum errichtete die Fatah vorsorglich eine
eigene Miliz, um der Hamas "die es hier gar nicht gibt" - so einer der
vermummten Befehlshaber - die Stirn zu bieten. Und während sie in schwarzen
Uniformen mit umgehängten Schnellfeuergewehren auf der Hauptstraße ihre
Macht vor den Kameras eines israelischen TV-Teams demonstrieren, beschließen
sie spontan eine "echte Übung". Ein zufällig vorbeikommender weißer Peugeot
wird mit Schüssen gestoppt. Der Beifahrer wird aus dem Wagen gerissen. Dem
ahnungslosen Fahrer muss mit Schüssen nachgeholfen werden, bis er sich vom
Sicherheitsgurt befreien kann. Mit einem Gewehrlauf im Nacken kniet er auf
den Boden. Seine Hände werden ihm hinter dem Rücken gefesselt. Ihm steht
Angst im Gesicht. "Das war eine naturnahe echte Übung", lacht der Kommandeur
durch den schwarzen Strumpf über dem Gesicht, mit nur zwei Löchern für die
Augen. Niemanden kümmert es, nicht einmal Menschenrechtsorganisationen, dass
da zufällige Passanten ahnungslos einer Hinrichtungsübung ausgesetzt werden.
Die Krise in den Palästinensergebieten ist echt. Täglich fließt Blut, vor
allem im Gazastreifen. Dennoch kann niemand vorhersehen, wie dieser seit
Jahrzehnten andauernde Machtkampf zwischen der weltlichen PLO und den
islamistischen Moslembrüdern, heute Hamas, ausgehen wird. Abbas zeigt
plötzlich politischen Willen, gegen die Hamas vorzugehen, was er trotz
Vorgaben in der Roadmap und ausdrücklichen Forderungen Israels wie der USA
vermieden hatte, als die Fatah noch allein regierte. Die Hamas wiederum will
ihre gerade durch Wahlen gewonnene Macht nicht so schnell wieder aufgeben,
nur weil Abbas mit einer "illegalen" Volksabstimmung die Parlamentswahlen
wieder rückgängig machen will. |