Zyed Krichen:
"Die Juden sind unsere Brüder, aber die Zionisten sind unsere
Feinde" Von Ulrike Letzien
Am 25.5. ist in der tunesischen Wochenzeitung Réalités
Magazine ein Artikel mit dem viel versprechenden Titel "Nous et les Juifs"
(Wir und die Juden) erschienen. Eine Bestandsaufnahme des Verhältnisses
zwischen Juden und Muslimen in Tunesien, geschrieben vom Chefredakteur des
Magazins persönlich, Zyed Krichen. Die Zeitschrift und ihre Redaktion gelten
als fortschrittlich innerhalb der zensurgeprägten tunesischen
Medienlandschaft, ihr Anspruch ist klar demokratisch und säkular.
Nur von wenigen arabischen Medien könnte man eine ähnlich
differenzierte Herangehensweise an das Thema "Juden und Muslime" erwarten.
Hinzu kommt, dass in Tunesien ein besseres Verhältnis zwischen Juden und
Arabern herrscht als in anderen arabischen Ländern. So konnten 3500 Pilger,
die die Synagoge von La Ghriba auf Djerba besuchten, einen "warmherzigen
Empfang" genießen, schreibt Krichen. "Alle Tunesier, deren Erinnerung noch
vor die Gründung des Staates Israel und den Sechs Tage Krieg zurückreicht,
denken vor allem an die echte Verbundenheit zwischen jüdischen und
muslimischen Familien in Tunesien."
Doch diese Erinnerungen verschwinden. Nach der Gründung Israels ist auch ein
Großteil der tunesischen Juden dorthin ausgewandert, möglicherweise, weil
das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen in Tunesien doch nicht immer so
gut war, wie Krichen es glauben möchte. Die Probleme, die daraus entstehen,
gleichen sich in den arabischen Staaten, die vor der Gründung Israels eine
große jüdische Bevölkerung hatten und von der heute nur ein kleiner Teil im
jeweiligen Land geblieben ist. "Die heutige junge Generation kennt die Juden
nur noch durch das Prisma Israel und im Zusammenhang mit der Ungerechtigkeit
gegen die Palästinenser." Damit, so
Krichen, geht die Unterscheidung zwischen den Begriffen "Jude", "Israeli"
und "Zionist" völlig verloren. Die schlechte Meinung über Zionisten wird von
jungen Tunesiern unterschiedslos auf alle Juden übertragen. Die Ablehnung
einer Ideologie wird zur Ablehnung gegen ein ganzes Volk - und damit
zum Rassismus. Zyed Krichen richtet einen bemerkenswerten Appell an die
junge Generation von Muslimen: "Die Juden sind unsere Brüder, aber die
Zionisten sind unsere Feinde." Und: "Ein Mensch kann nicht wegen seiner
Religion oder seiner Kultur abgeurteilt werden (das ist Rassismus), aber
eine politische Anschauung oder Ideologie kann sehr wohl abscheulich sein."
Letztere Erkenntnis ist für säkular und demokratisch erzogene
Europäer natürlich nicht neu. Aus unserer Sicht stellt sich sofort die
Frage, warum Krichen nicht versucht, den Hintergrund des Zionismus
verständlich zu machen. Denn obwohl er den Schluss zieht, dass "nur ein
Jude, der sein Volk verleugnet und Israel als illegitim ansieht" vor dem
neuen Antisemitismus unter jungen Muslimen bestehen könnte, verteidigt auch
er letztendlich ein Judentum ohne Zionismus und somit ohne Israel.
Allerdings wird Israel nicht verschwinden. Die Spannung zwischen Juden und
Muslimen wird sich also nicht lösen lassen, indem man den Zionismus
ignoriert. Letztlich wird nur das gegenseitige Verständnis zu einer Lösung
des Konflikts führen können. Zumindest
scheinen in Tunesien "die einfachen Leute glücklicherweise nicht so anfällig
für den Hass" zu sein. Link zum
Artikel
"Nous et les Juifs"
hagalil.com 14-06-2006 |