Zentralrat der Juden in
Deutschland:
Einstimmig gewählt
Charlotte Knobloch ist
die neue Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die
73-Jährige warnt vor "Appeasement" gegenüber Teheran
Von Philipp Gessler
Eine sehr klare Wahl: Einstimmig - nur sie
selbst enthielt sich der Stimme - wurde Charlotte Knobloch in
Frankfurt am Main vom derzeit siebenköpfigen Präsidium des
Zentralrats der Juden in Deutschland zur neuen Präsidentin gewählt.
Die 73-jährige Münchnerin war als Favoritin ins Rennen um die
Nachfolge des im April verstorbenen Paul Spiegel gegangen.
Der als möglicher Konkurrent öfter genannte Frankfurter
Gemeindevorsitzende Salomon Korn, ein 62-jähriger Architekt, hat
darauf verzichtet, gegen die hoch geachtete Münchner Gemeindechefin
in eine Kampfabstimmung zu gehen. Knobloch und Korn waren bisher
Vizepräsidenten des Zentralrats, Korn bleibt es. Neuer Vize wird der
Frankfurter Finanzexperte Dieter Graumann, geboren 1950.
In einer ersten Reaktion dankte Knobloch den
Präsidiumsmitgliedern für ihr "großes Vertrauen". Die gebürtige
Münchnerin erklärte, dass die Integration der russischsprachigen
Juden aus den Ländern der früheren Sowjetunion zu ihren wesentlichen
Aufgaben gehören werde. Eines ihrer wichtigsten Ziele sei es, dass
die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder wieder den Stand erreiche,
den sie vor dem Holocaust hatte. Derzeit haben die 87 jüdischen
Gemeinden in Deutschland etwa 110.000 Mitglieder - allein in Berlin
waren es vor 1933 jedoch über 160.000. Immerhin gibt es in Knoblochs
Gemeinde mit etwa 9.000 Menschen fast wieder so viele Mitglieder wie
vor 1933.
Knobloch forderte die Bundesregierung dazu auf,
energischer gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus
vorzugehen. Sie erklärte zugleich, dass sie bei einem zu erwartenden
Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "klare Worte"
gegenüber dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad erwarte.
Das Staatsoberhaupt hatte des Öfteren den Holocaust geleugnet und
das Existenzrecht Israels bestritten. Jüngst erklärte er, nach
Deutschland kommen zu wollen, sollte die iranische Fußballmannschaft
bei der morgen beginnenden Weltmeisterschaft das Achtelfinale
erreichen.
Knobloch sagte mit Blick auf die Bemühungen der
Staatengemeinschaft, Teheran von der womöglich angestrebten
Konstruktion von Atomwaffen abzuhalten: "Die Appeasement-Politik,
die hier betrieben wird, ist etwas, was ich aus historischer
Erfahrung kenne." Als "Appeasement", also Beschwichtigung, wird die
gescheiterte Politik vor allem Großbritanniens gegenüber
Nazi-Deutschland Ende der 30er-Jahre bezeichnet. Dabei versuchte
London, durch Zugeständnisse an Hitler dessen Expansionskurs zu
stoppen. Korn fügte hinzu, der Zentralrat werde sich aktiv an
Protesten beteiligen, sollte Ahmadinedschad tatsächlich zur
Weltmeisterschaft in die Bundesrepublik einreisen wollen.
Knobloch gilt als die letzte Überlebende des
Holocaust, die an die Spitze des Judentums in Deutschland gewählt
werden kann. Sie war in der Zeit des Nationalsozialismus als
angeblich katholisches Mädchen bei einer fränkischen Bauernfamilie
versteckt worden.
Charlotte Knobloch im Portrait:
Eine hartnäckige
Deutsche
Die 73-jährige Münchnerin hat gute Chancen, morgen Präsidentin des
Zentralrats der Juden in Deutschland zu werden. Am Morgen will sich
das achtköpfige Präsidium der politische Vertretung der Juden in
einem Frankfurter Hotel treffen, gegen Mittag wird das Ergebnis
bekannt gegeben...
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08-06-2006 |