Kassam-Beschuss auf Sderot:
Verpflichtende Reaktionen
Kommentar von Yoel Marcus, Ha’aretz, 23.06.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Für einen Politiker, der die meiste Zeit seines Lebens in
einem gepanzerten Wagen gefahren ist und der von vorne bis hinten von
Leibwächtern beschützt wird, ist es leicht zu sagen, dass die Bürger von
Sderot nicht in Panik geraten sollen. Ich bin nicht sicher, ob
Vizepremierminister Shimon Peres seinen dummen Ausdruck "Kassams –
Schmassams" –ein Ausdruck, der die Situation auf spöttische Art
bagatellisiert- auch gebracht hätte, wenn Kassam-Raketen jeden Tag und jede
Nacht über Savyon, Ramat Aviv und Herzliya Pituach niedergehen würden.
Peres, der für seine ständige Beschäftigung mit Angelegenheiten der
Verteidigung bekannt ist, hat niemals ein Kriegsgefecht erlebt. Während
seiner ganzen Karriere war er niemals unter Granaten- oder Raketenbeschuss.
Er lebt in einer Seifenblase wie ein Nobelpreisgewinner, der eine
mathematische Formel entwickelt hat, die kein Mensch versteht. – Das Prinzip
dieser Menschen lautet, dass man nicht hysterisch zu werden braucht sondern
unerschütterlich bleiben soll. Theoretisch stimmt jeder mit diesem Prinzip
überein und jeder bewundert die Weisheit von Peres. Insbesondere tut man
dies in Paris und in anderen Welthauptstädten. Doch wenn Peres verlangt,
dass die Bürger von Sderot nicht in Panik geraten sollen, beweist er damit,
wie weit entfernt er vom Volk ist. Man darf natürlich predigen, dass
Menschen nicht in Panik geraten oder hysterisch werden sollen. Doch die
Frage ist: Warum sollte Sderot die Rolle eines zweiten Massada spielen
müssen? Ist diese Stadt ein Militärposten oder etwas dergleichen? Ist sie
ein illegaler Siedlungsvorposten? Befindet sie sich auf besetztem Gebiet?
In dem Moment, da die israelische Armee den Gazastreifen und dessen jüdische
Siedlungen, in denen Siedler der dritten Generation lebten, evakuiert und
das Gebiet an die Palästinenser übergeben hat, hätte das Abfeuern der
Kassamraketen aufhören müssen, wenn auch nur, um Israel zu ermutigen, mit
dem Rückzug fortzufahren. Die Erwartungen, dass die Palästinenser in den
evakuierten Gebieten so schnell wie möglich mehrstöckige Gebäude zur
Unterbringung von Flüchtlingen errichten und eine Atmosphäre des
Fortschritts schaffen würden, wurden enttäuscht. Stattdessen wurden die
befreiten Gebiete zu einer Abschussbasis. Die angestiegene Bombardierung
israelischen Gebietes ist das letzte, was israelische Friedenssucher in
Folge des Anfangs vom Ende der Besatzung und des Traums von einem
Groß-Israel erwartet haben.
Das Abfeuern von Hunderten von Kassamraketen auf Israel ist nicht nur
ärgerlich, sondern es ist auch unklug. Zum einen dient es den Palästinensern
nicht, zum anderen stärkt es diejenigen Israelis, die gegen eine Evakuierung
der meisten Gebiete sind. Das Abschießen der Kassamraketen, die das Leben
der Bürger von Sderot zur Hölle machen, mag von Rivalitäten unter den
Terrororganisationen stammen oder von dem Wunsch, den Vorsitzenden der
palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas loszuwerden. Wenn dem so
ist, brauchen sie unsere Mediatorendienste nicht. Hinter dem Kassamfeuer
steht keine politische Logik. Es hat nur ein einziges Ziel: israelische
Zivilisten zu töten, weil sie Israelis sind. Bisher haben nur Wunder und
technische Fehler verhindert, dass Massaker in Sderot ausblieben. Doch die
eigentliche Tatsache, dass eine Stadt auf souveränem israelischem Gebiet Tag
für Tag in Angst leben muss, ist nicht zu tolerieren.
Die vernichtenden Motive des Zermürbungskrieges, den die Palästinenser uns
erklärt haben –sei es nun ein Wettkampf zwischen Hamas und Islamischem
Dschihad oder unter anderen Organisationen- sollten uns nicht interessieren.
Es ist die Verpflichtung der Regierung, ihre Bürger zu schützen. Mit der
Zeit werden zunehmend harte Reaktionen vorgeschlagen, zum Beispiel auch
diejenige, Beit Hanun dem Erdboden gleichzumachen. Amram Mitzna, der sowohl
eine politische Taube wie ein Generalmajor ist, forderte, dass wir nach
jeder Rakete "mit aller Macht auf sie niedergehen müssen".
Die Reaktion, die Israel bisher gewählt hat, ist gezielte Abschreckung.
Artilleriefeuer aus der Luft, vom Land und vom Meer auf jede Stelle, von der
Kassamraketen abgefeuert werden. Nun wurden noch gezielte Tötungen
hinzugefügt. Bei dieser Methode werden versehentlich auch Zivilisten, Frauen
und Kinder getötet, zum großen Teil dadurch, weil Terrororganisationen
absichtlich in dicht besiedeltem palästinensischem Gebiet operieren und
somit ihre eigenen Leute gefährden. Und Wunder über Wunder: Die
Palästinenser, die ausschließlich auf zivile israelische Ziele feuern,
entrüsten sich lauthals während wir uns entschuldigen. Die Sensiblen unter
uns sind sogar über das Töten unschuldiger und untadeliger palästinensischer
Zivilisten aufgebracht. Doch sind die Bürger von Sderot nicht auch
unschuldig und untadelig? Die Palästinenser feuern bewusst und absichtlich
und willkürlich auf zivile Bevölkerungszentren, während wir nach denen
suchen, die die Raketen abschießen und unser Bedauern über das
versehentliche Töten von palästinensischen Zivilisten ausdrücken.
Eine Kassamrakete, die in ein Bevölkerungszentrum geschossen wird, ist
selbst dann, wenn sie keinen Menschen tötet, gleichbedeutend mit einer, die
trifft und Zivilisten umbringt, und sie fordert eine scharfe Antwort. Die
Palästinenser sollten wissen, dass durch die Fortdauer der willkürlichen
Beschießung unserer Zivilisten auch ihre Zivilisten Gefahr laufen, zum Ziel
zu werden. Nicht auf die Peres-Schmeres-Art sondern im Verlauf
verpflichtender Reaktionen.
hagalil.com 23-06-2006 |