Die Ambivalenzen des Fan-Seins:
Behind the Goal
Oi-Punks, Fußballfans, Skinheads,
Neonazis: Über die Verbindung von Gewalt und Hooliganismus.
Von Jan Buschbom
Jungle World 22 v.
31.05.2006
Saturday's a'coming, the tension starts to build / Rival
teams are playing, the football fields are filled / Keeper's pretty worried
about the kids behind the goal / Got to keep on diving from the things that
they're gonna throw / All that pent-up anger that goes pouring through your
head / Streetfight in the city, someone's gonna end up dead", sangen
Skrewdriver in dem Stück "Streetfight '77".
Kein Song beschreibt die Ambivalenzen des Fan-Seins so
präzise: die Spannung vor dem Spiel und den Adrenalinschub beim Einlauf der
Mannschaften. Der unter der Woche angestaute Frust macht sich in
Aggressionen Luft, der Zivilisationsbruch der Dritten Halbzeit endet fatal:
Someone's gonna end up dead.
Als die britische Oi-Punk-Band Skrewdriver 1977 den Song "Streetfight '77"
aufnahm, konnte noch niemand ahnen, dass die Band fünf Jahre, eine Auflösung
und Neuformation später zu den Vätern und ersten echten Popstars des
internationalen Rechtsrock werden sollte.
"Oi" war roher als die erste Generation des Punk, die Konzerte dieses
Musikstils galten als besonders aggressiv. Szenezugehörigkeiten spielten
damals keine ausgeprägte Rolle, "Oi" wurde von Punks gehört, von Skinheads,
von Hooligans. Gemeinsam war seinen Hörern der Hass auf die trendy wankers
der Mittelschicht (The Business: Suburban Rebels, 1983), auf ihre als links
wahrgenommenen Medien, denen vorgeworfen wurde, Punk zu vereinnahmen und zu
instrumentalisieren. Gemeinsam war ihnen der Bezug auf Mode und Ideale der
Arbeiterklasse.
Gewalt am Rande von Fußballspielen ist so alt wie das Spiel selbst. Bis
Studenten der Cambridge University sich im Jahr 1848 zusammensetzten und
Regeln notierten, war Fußball eine Volksbelustigung, die sich als
gewalttätiges Spektakel für Groß und Klein inszenierte. Die Gründung der
Football Association 1863 verdrängte die Gewalt endgültig vom Spielfeld auf
die Ränge und vor das Stadion.
Fußball blieb dennoch das Freizeitvergnügen des "kleinen Mannes", der
Arbeiter und kleinen Angestellten. Die intime Verbindung von Hooligan und
Skinhead erklärt sich auch aus dem gemeinsamen Herkunftsmilieu. Hooligans
bezogen ihr Selbstbild aus der gewalttätigen Auseinandersetzung mit
gegnerischen Fans. Skinheads hingegen inszenierten sich als eigenständige
Subkultur, deren Bestandteil immer auch Hooligans waren. Entsprechend
unscharf ist die Trennlinie zwischen beiden jugendkulturellen Einstellungen
und Verhaltensmustern.
Anfang der achtziger Jahre warb die faschistische Sammelbewegung National
Front (NF) mit einigem Erfolg unter britischen Fußballfans und Skinheads.
Die erste Single der reformierten, nun offen neonazistisch agitierenden Band
Skrewdriver, "Back With A Bang" ("Zurück mit einem Paukenschlag"), erschien
1982 auf White Noise Records, einem Label, das von der NF betrieben wurde.
Im Song beklagt Ian Stuart Donaldson, der Sänger und Kopf der Band, den
fehlenden Patriotismus und die angebliche Verfolgung von Patrioten durch
Staat und Gesellschaft. Auf der nächsten Single, "White Power" (1983),
beschwört er den bevorstehenden "Weltuntergang", hervorgerufen durch die
"multi-rassische Gesellschaft", die er eine "Sudelei" nennt. Später gründete
Ian Stuart das internationale Skinhead-Netzwerk "Blood & Honour"
("Blut & Ehre" – ein Slogan der Hitler-Jugend), dessen deutsche Sektion im
Jahr 2000 vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily verboten wurde.
Aus Punk war "Rechtsrock" geworden, eine Bezeichnung, die nicht den
Musikstil meint, sondern seine neonazistischen Inhalte. Auch in der
Bundesrepublik entstand diese Musik im Umfeld der Fußballstadien. Prominent
wurden die Böhsen Onkelz aus dem Hooligan-Milieu der Frankfurter Eintracht.
Die "Onkelz", wie sie von den Fans genannt werden, hatten rassistische Songs
im Repertoire, Gewaltphantasien, Fußballlieder, sie brüllten "Doitschland
den Doitschen" ins Mikrofon im gleichnamigen Song aus dem Jahr 1983.
Anlässlich der Europameisterschaft 1984 sangen sie: "Deutschland,
Deutschland ist die Macht! / Ja, wir sehen uns in jedem Fall / Im Sommer 84
beim Frankreich-Überfall!" Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften erkannte 1986 in ihrem Indizierungsbericht
"nationalsozialistisches Gedankengut" auf der LP "Der nette Mann".
Aber der Standpunkt der Band blieb stets ambivalent. In Statements
distanzierten sich die Frankfurter bald vom organisierten Neonazismus,
freilich nicht ohne einzuräumen, dass "Neonazis (…) vielleicht in der
Beziehung mit Ausländern meiner Meinung" seien. Im gleichen Interview mit
dem Sozialwissenschaftler Thomas Schneider sagte Sänger Stephan Weidner
1982, dass sich "Neonazis bei uns einschleichen". Diese Überzeugung ist in
vielen Szenen weit verbreitet: Nicht die eigenen Meinungen seien das
Problem, vielmehr werde "die Szene" von "den Nazis" unterwandert und
missbraucht.
Organisierte Neonazis aus dem Umfeld der "Aktionsfront Nationaler
Sozialisten" von Michael Kühnen unternahmen vereinzelte Versuche, unter
Hooligans und Skinheads für ihre Sache zu werben, die allerdings meist
scheiterten. Zu unvereinbar waren die Ideale vom "Führerprinzip", wie Kühnen
sie in seinem Buch "Die Zweite Revolution" dargelegt hatte, mit dem
Anarchismus jugendkultureller Milieus. Manchem erschienen die Neonazis zu
sektiererisch, manchem zu "realitätsfremd", zu wenig "konsequent" und
"kämpferisch".
Das sollte sich mit dem Fall der Mauer ändern: Der Markt für Rechtsrock
wurde rasch größer, der Neonazismus setzte fortan verstärkt auf
subkulturelle Agitationsformen. Anfang der neunziger Jahre wurde
Blood & Honour in Deutschland aktiv. Man profitierte von den Erfahrungen der
britischen "Kameraden", die seit jeher ihren aggressiven Neonazismus mit
jugendkulturellen Aktivitäten verbunden hatten und als Musikverleger,
Konzertveranstalter, Betreiber von Fanzines usw. tätig waren.
Fußball blieb die häufigste Freizeitbeschäftigung neonazistischer junger
Männer. Es gibt kaum eine Rechtsrockband, die auf ein Fußballlied
verzichtet. Die Neonazi-Band Spreegeschwader etwa dichtete den Schlachtruf
von Fans des 1. FC Union Berlin um. Der Titelsong der CD "Eisern Berlin"
zeichnet ein düsteres Bild von der "Berliner Republik". Diese befinde sich
in einer Schlacht gegen eine "dunkle Übermacht", in der Stadt regierten
"Schwachsinn und Multikultiwahn", "Dreck und Pöbel".
Andere wie die Bremer Band Kategorie C, benannt nach der polizeilichen
Bezeichnung für gewaltbereite Fußballfans, geben sich mit einer Mischung aus
Sauf-, Fußball- und Gewaltliedern betont unpolitisch. Dabei musizieren
mindestens zwei Bandmitglieder in neonazistischen Rechtsrock-Projekten. Etwa
der Sänger, der für die Blood-&-Honour-Band Nahkampf am Mikrofon steht.
Befragungen von Hooligans liefern stets die gleichen Argumente: Die Szene
sei per se unpolitisch, es herrsche Toleranz. Dennoch täte man Fußballfans
im Allgemeinen und Hooligans im Besonderen Unrecht, wenn man sie allesamt
für neonazistisch hielte.
Von Wolfgang Neuss, der selbst ein glühender Fan der Berliner Tennis
Borussia war, ist der Satz überliefert, Aufgabe des Fußballs sei es,
Nationalismus in Folklore zu verwandeln. Dass der viel beschworene
Verhaltenskodex der Hooligans kaum mehr als der Beruhigung des Gewissens
dient, zeigt bereits die erste popkulturelle Bearbeitung des Themas:
Someone's gonna end up dead.
So freilich kann die "Folklorisierung" von Nationalismus nicht
funktionieren.
Jan Buschbom ist Mitarbeiter des Berliner Violence
Prevention Network, einem Zusammenschluss von Politologen, Pädagogen und
Sportwissenschaftlern, die in der Rechtsextremismus- und Gewaltprävention
tätig sind.
hagalil.com
26-02-2006 |