Besuch in Washington:
Olmerts ProblemeVon Ulrich W.
Sahm, Jerusalem
"Kühne Ideen" nannte US Präsident Bush die
Konvergenzpläne des israelischen Premierministers Ehud Olmert. Gleichzeitig
hält Bush an Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern für den
"besten Dienst" zu einem Frieden.
Der Konvergenzplan, eine neue Wortschöpfung, steht für einen geplanten
Rückzug aus dem besetzten Westjordanland, einer einseitigen Grenzziehung mit
Sperrwall und dem Aussperren der Palästinenser. Die Einzelheiten sind noch
nicht ausdiskutiert. Doch Israel will wohl die meisten Siedlungen im
Westjordanland aufgeben und gleichzeitig die Siedlungsblöcke entlang der
alten Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Jordanien annektieren.
Widersprüchlich sind Aussagen über die Jordansenke. Einerseits hat Israel
schon Grenzterminals errichtet, die eine Abgabe des Gebiets festbetoniert
haben. Palästinenser jedoch argwöhnen, dass mit dem Verbleib der Jordansenke
bei Israel ihnen fast die Hälfte des Westjordanlandes verloren ginge.
Andererseits will König Abdullah von Jordanien keine direkte Grenze zu den
Palästinensern ohne israelische Kontrollen dazwischen. Denn das würde sein
Beduinen-Königshaus gefährden. Deshalb warnte er vor "einseitigen Schritten"
Israels.
Obgleich der Plan Olmerts eine Räumung der meisten Siedlungen bedeutet, die
den Palästinensern das Leben so schwer machen, weil sie separate
Siedlerstraßen, Absperrungen und erniedrigende Kontrollen an vielen
Straßenkreuzungen bedeuten, äußern Palästinenser den lautesten Widerstand
gegen die Konvergenz. Sie befürchten zurecht, dass Israel ihnen nicht alles
beanspruchte Land geben wolle und mit einer eigenwilligen Grenzziehung
Fakten schafft, die kaum oder gar nicht mehr durch Verhandlungen verändert
werden könnten. Gleichwohl kann der Sperrwall, der zu über 90 Prozent aus
einem Zaun mit Patrouillenstraße besteht, sehr wohl verlegt werden kann,
wenn israelische Gerichte das verlangen oder politischer Druck das
erfordert. Das Dorf Baka wurde per Zaun zunächst komplett auf die
israelische Seite geschlagen. Nach internationalem Druck war Israel bereit,
den ehemals jordanischen Osten des Dorfes mit einer Mauer vom israelischen
Westen abzutrennen. So wurden erneut Familienbande zerrissen. 19 Jahre lang
war das Dorf geteilt und ist seit 40 Jahren wieder zusammengewachsen.
Nachdem Israel dem "internationalen Recht" entsprochen hatte, verstummten
die Proteste.
Die Verwirklichung der Pläne Olmerts scheitert schon an der Finanzierung.
Niemand weiß, woher die Milliardensummen für eine Kompensierung von
mindestens 70.000 Siedlern kommen soll. Die meisten dürften freiwillig
gehen, sowie die Regierung ihnen Entschädigung anbietet. Der Umgang mit den
7000 Gaza-Siedlern nach dem Rückzug vom August 2005 lieferte einen denkbar
schlechten Präzedenzfall. Viele sitzen heute noch in Hotels oder
provisorischen Unterkünften. Viele blieben arbeitslos.
Die nächste Hürde ist der harte Kern ideologischer Siedler. Einige sind so
gewaltbereit, dass Olmert Blutvergießen und Schlimmeres befürchten muss. Das
ist der Grund, weshalb nicht einmal die "illegalen Vorposten" geräumt worden
sind, während der Intifada ohne Genehmigung errichtete Siedlungen.
In Israel gibt es einen breiten Konsens für die Rückzugspolitik, wie sie
Ariel Scharon entworfen und im Gazastreifen verwirklicht hat. Doch die
Hoffnung, dass nach dem Abzug Ruhe und Sicherheit herrschen würden, hat sich
mit täglichem Raketen-Beschuss zerschlagen. Ein Ende israelischer
militärischer Kontrolle im Westjordanland könnte gefährlich werden, da der
internationale Flughafen und Ballungsgebiete bei Tel Aviv dann in Reichweite
palästinensischer Kurzstreckenraketen lägen.
Vor allem aber muss Olmert mit internationalem Widerstand der Amerikaner,
Europäer und sogar der Araber rechnen. Alle bestehen auf
Friedensverhandlungen und einer vereinbarten Grenzziehung, obgleich die
herrschende Hamas nicht einmal Israels Existenzrecht und ausgehandelte
Verträge anerkennen will. Auch Olmert weiß, dass "einseitige Schritte"
keinen Frieden bringen. Doch könnten sie die zerstörerische Besatzung, die
moralisch zersetzende Herrschaft über ein anderes Volk beenden und dem Staat
Israel eine klare Grenze sowie vielleicht Ruhe bieten. In großen Teilen des
Westjordanlandes könnten die Palästinenser zudem ihren Staat gründen, auch
ohne "endgültige Grenze". Als Gegenargument wird nicht nur die Grenzfrage
angebracht.
Vor Allem die Palästinenser wollen nicht, dass Israel sich seiner
Verantwortung entzieht und sie einem ungewissen Schicksal überläßt. Die
Palästinenser dürften dann auch kaum mehr weltweite Unterstützung finden,
wenn es nur noch um Grenzkorrekturen geht. Deshalb müssen sie an der
Besatzung und an der "alles oder nichts" Position festhalten und sich gegen
die "einseitigen Schritte" Israels stemmen. |