"Der Hass hat uns geeint":
Junge Rechtsextreme und ihr Ausstieg aus der
Szene
Birgit
Rommelspacher
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In den letzten Jahren sind rechtsextreme
Jugendliche immer wieder Thema der Berichterstattung in den Medien und
Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Zumeist geht es dabei um die
Frage, warum sich Jugendliche rechtsextremen Gruppen und Organisationen
zuwenden. Mit der Frage, warum diese Jugendlichen nach einigen Jahren zum
Teil wieder aussteigen und wie dieser Ausstieg erfolgt, hat sich bislang
kaum jemand beschäftigt.
In diesem Buch geht es genau darum - um die
Erfahrungen der Aussteiger aus der rechten Szene. Sie zeigen nicht nur, was
den Rechtsextremismus für viele so attraktiv macht, sondern auch, was die
Bedingungen seines Scheiterns sind beziehungsweise sein können. Die
Biografien und Erzählungen von Aussteigern sind eine Chance, das "Innenleben
" rechter Gruppen genauer zu betrachten. Es wird dabei deutlich, wie groß
die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in diesen Gruppen oft ist und
wie schnell die anfängliche Begeisterung in Ernüchterung, Enttäuschung, ja
in ein Gefühl des Verrats münden kann.
Um zu verstehen, was diese Enttäuschungen ausmacht, bedarf es der Klärung,
warum sich die Einzelnen der rechten Szene anschließen und was sie von ihr
erwarten. Dabei zeigt sich, dass beim Einstieg meist mehrere Faktoren eine
Rolle spielen. Gerade bei jungen Menschen, um die es in dieser Untersuchung
geht, spielen psychische, soziale und ideologische Motive eng zusammen,
befinden sie sich doch in einer Phase, in der sie sich zum einen von ihrer
Familie lösen und zum anderen einen eigenständigen Platz in der Gesellschaft
suchen müssen. Oft sind es rechte Gruppierungen, die das jugendliche
Bedürfnis nach Abenteuer, Selbstbehauptung und Protest aufgreifen. Durch die
enge Einbindung in die Gruppenaktivitäten übernehmen die Jugendlichen
zunehmend die Ideologie, und ihre zunächst vagen Vorstellungen von der
Gesellschaft formen sie zu einem Weltbild, in dem sie sich selbst als Elite
imaginieren und als Retter der Nation begreifen. Viele wachsen allmählich in
die Szene hinein, während andere sich wiederum eine eigene Ideologie
zusammenbasteln und selbst eine neue Gruppe gründen.
Wie unterschiedlich auch immer der Zugang zur rechten Szene sein mag, in
jedem Fall ist zu fragen, warum es gerade eine rechte Gruppierung ist und
nicht ein andere, denn Action und Thrill oder Zugehörigkeit und Orientierung
bieten auch andere Jugendkulturen an. Deshalb wird zunächst näher auf die
Frage eingegangen, was unter Rechtsextremismus zu verstehen ist. Tatsächlich
ist hier keinesfalls von einer einheitlichen Position auszugehen, ja die
Szene ist so vielfältig und zersplittert, dass man sich zuweilen fragt, was
diese verschiedenen Gruppierungen überhaupt gemeinsam haben. Die breite
Palette unterschiedlicher Positionen und Politikformen ist wiederum Basis
zahlreicher Spannungen innerhalb der Szene, die auch die Aussteiger in ihren
Erzählungen anschaulich schildern.
Anschließend wird der Bezug des Rechtsextremismus zur "Mitte" der
Gesellschaft untersucht, behaupten die Rechtsextremen doch, im Auftrag der
Gesellschaft zu handeln und nur das in die Tat umzusetzen, was die meisten
Menschen "wirklich" denken. In dem Zusammenhang fragt sich, was "Ausstieg"
eigentlich bedeutet und inwiefern mit diesem Begriff nicht ein Gegensatz
zwischen der "Mitte" und dem "Rand" der Gesellschaft unterstellt wird, der
so gar nicht existiert.
Oft erleben die Rechtsextremen Zustimmung oder gar Anerkennung von Seiten
ihrer Familien, Freunde und Bekannten - zugleich jedoch auch harsche
Zurückweisung, Ausgrenzung und Stigmatisierung. Das ist Ausdruck eines
ambivalenten Verhältnisses der Gesellschaft gegenüber den Rechtsextremen.
Einerseits (s. Kap. 4) sind in vielerlei Hinsicht inhaltliche
Übereinstimmungen mit dem Rechtsextremismus sowohl innerhalb der Bevölkerung
als auch bei den verschiedenen politischen Strömungen und Parteien zu
finden. Auf der anderen Seite wird er jedoch von der "Mitte" entschieden
abgelehnt, insbesondere seine gewalttätige Form. In Bezug auf die Inhalte
sind die Grenzen fließend und die Bekämpfung des Rechtsextremismus
konzentriert sich vor allem auf das Verbot rechter Organisationen oder auf
seine Bearbeitung als ein psychologisches und soziales Problem. Dabei wird
der Rechtsextremismus auf bestimmte Problemgruppen in der Gesellschaft
projiziert und entpolitisiert.
Demgegenüber wird (5. Kap.) ein Konzept vorgestellt, das den
Rechtsextremismus als eine radikalisierte und politisierte Form der in der
Gesellschaft abgewehrten Dominanzansprüche versteht. Die Dominanzansprüche
müssen abgewehrt werden, weil sich diese Gesellschaft als egalitär und
demokratisch versteht. Das steht jedoch im Widerspruch zu den existierenden
hierarchischen Strukturen - etwa in Bezug auf ethnische Herkunft,
Geschlecht, Leistungsfähigkeit oder sexuelle Orientierung -, die in allen
gesellschaftlichen Bereichen reproduziert werden. Der Rechtsextremismus wird
als eine politische Ideologie verstanden, die diese Spannung zwischen
Dominanzansprüchen und Egalitätskonzepten einseitig in Richtung
Hierarchisierung zu "lösen" versucht. Das bedeutet, dass der
Rechtsextremismus zwar in der Mitte der Gesellschaft verankert ist, aber
auch im Widerspruch zum Selbstverständnis dieser Gesellschaft steht.
Die Erfahrungen der Rechtsextremen zeigen auf vielfältige Weise, welche
Spannungen und Konflikte aufgrund ihrer widersprüchlichen Beziehung zur
Gesellschaft wie auch aufgrund der zahlreichen internen Widersprüche
entstehen. So herrschen etwa bei aller beschworenen Treue und
"Kameradschaft" in Wirklichkeit vielfach Konkurrenz, Misstrauen und Gewalt
innerhalb der Szene. Differenzen sind hier nicht vorgesehen. Sie müssen also
im Kampf gegeneinander beseitigt oder durch unermüdliche Inszenierungen der
"Blutsgemeinschaft" abgewehrt werden. Die Kluft zwischen Anspruch und
Wirklichkeit wird dabei immer größer. Die Parolen werden unglaubwürdig, die
Phrasen hohl und die Gesten leer.
Enttäuschungen und Konflikte führen jedoch keineswegs notwendig zum
Ausstieg. Dazu bedarf es spezifischer Konstellationen. Es müssen Erfahrungen
gemacht werden, die nicht nur die Widersprüche innerhalb der Szene immer
deutlicher zu Tage treten lassen, sondern die nachhaltig zu irritieren
vermögen. So etwa wenn die Rechtsextremen Menschen begegnen, die eigentlich
ihre "Feinde" sind, die ihnen jedoch mit Interesse und Respekt begegnen;
oder wenn die eigene "Überlegenheit" konkret auf den Prüfstand gestellt und
gefragt wird, worin sie denn bestehe bzw. wer eigentlich zu den
"Übermenschen" gehöre und wer nicht. Die Konfrontation mit den Konsequenzen
der eigenen Ideologie - und zwar sowohl auf der persönlichen wie auf der
politischen Ebene - lässt manche an ihrem bisher eingeschlagenen Weg
zweifeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Konfrontation mit einer
persönlichen Krise einhergeht.
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