
Rassismus kleinreden:
Völlig vernebelt
Die Methode, mit welcher der rassistische
Angriff auf Ermyas M. zerredet wird, ist nicht neu, aber wirkungsvoll.
Von Jörg Kronauer
Jungle World
18 v. 03.05.2006
Klare Verhältnisse herrschen derzeit nur in Bayern. Worum
handelt es sich, wenn drei weiße Deutsche zwei Männer mit dunkler Haut
angreifen? Wenn sie rufen: "Verpiss dich, Scheiß-Neger" und auf dem Kopf des
einen eine Bierflasche zertrümmern? Wenn danach in ihren Wohnungen CDs mit
Neonazi-Musik sichergestellt werden? Die Münchner Polizei, die am
vergangenen Donnerstag um 0.30 Uhr am Hauptbahnhof mit diesem Fall
konfrontiert wurde, hat ihre Vokabeln gelernt. Ein fremdenfeindlicher
Vorfall sei es gewesen, teilte sie dem Bayerischen Rundfunk und der
Öffentlichkeit mit. Das Wort "rassistisch" gebraucht man zwar auch dort
nicht so gern, aber immerhin.
Weiter im Norden, in Potsdam, ist man nicht so simpel gestrickt. Worum
handelt es sich, wenn zwei Deutsche einen Mann mit dunkler Haut ins Koma
prügeln? Wenn sie rufen: "Scheiß-Nigger" und der eine die Frage des anderen
("Soll’n wir dich wegpusten?") unmissverständlich mit den Worten
beantwortet: "Ich denke schon"? Wenn danach im Auto eines der beiden CDs mit
rechter Musik gefunden werden? Eine Antwort auf diese Frage, das weiß man im
aufgeklärten Norden, ist nicht so einfach und hängt von vielen Faktoren ab.
War das Opfer vielleicht betrunken? Wird einer der Täter vielleicht "Führer"
oder wenigstens "Adolf" genannt? Letztlich wird man auch prüfen müssen, ob
Ermyas M. nicht nur simuliert. Denn wer will schon seine Hand dafür ins
Feuer legen, dass die Faustschläge ihn wirklich trafen und die Verletzungen
nicht nur geschickt vorgetäuscht waren?
Für das Resultat des Zerredens eines offensichtlich rassistischen Angriffs
zu einem unlösbaren Rätsel hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung das
treffendste Wort gefunden. "Gerüchtenebel" hänge über dem Potsdamer Fall,
schrieb das Blatt in der vergangenen Woche. Tatsächlich trübten stets neue,
nicht belegte Behauptungen die zunächst recht klare öffentliche Wahrnehmung
der Fakten, bis die Presse titeln konnte: "Fall Potsdam immer dubioser".
Intellektuelle Qualitäten waren bei der Nebelwerferei nicht gefragt. So
ließen anonyme Ermittler verlauten, einer der Täter gehöre doch nicht der
rechtsextremen Szene an, als ob das der Beschimpfung "Scheiß-Nigger" ihren
rassistischen Charakter nähme. Schließlich hieß es, Ermyas M. habe die Täter
"provoziert". Bei allen begründeten Zweifeln an dieser Behauptung – selbst
von Potsdam mit seiner militaristischen Tradition war bisher nicht bekannt,
dass unter der dortigen männlichen Bevölkerung jede Provokation damit
geahndet wird, dass auf den, der sie äußert, eingeschlagen wird.
Die Verblödungsstrategie, welche die deutsche Journaille skrupellos
mitmacht, ist erprobt. Exemplarisch ging sie nach dem Brandanschlag auf die
Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße auf, bei dem am 18. Januar
1996 zehn Menschen ums Leben kamen. Vier Rechtsextreme, die in der
Brandnacht mit versengten Haaren und Augenbrauen in der Nähe des Hauses in
eine Polizeikontrolle gerieten, galten als dringend tatverdächtig – bis die
Ermittlungsbehörden nach wenigen Tagen den angeblichen Brandstifter
präsentierten: Safwan Eid, einen der 38 Hausbewohner, die bei dem Anschlag
verletzt worden waren. Bis zu seinem zweiten Freispruch vor Gericht im
November 1999, länger als dreieinhalb Jahre, stand er unter Verdacht, der
Täter zu sein. Der "Gerüchtenebel", der damals die Anklage ermöglichte,
setzte sich von Anfang an aus widersinnigen Behauptungen zusammen. Er führte
jedoch letztlich dazu, dass die Mörder von damals bis heute frei
herumlaufen.
Diesmal waren es zwei altbekannte Hardliner, welche die Vernebelung der
klaren Fakten einleiteten: der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm
und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (Jungle World, 17/06). Zu dumm,
dass die SPD und die Grünen ausgerechnet die Potsdamer Gewalttat umgehend
genutzt hatten, um wieder einen kleinen "Aufstand der Anständigen" zu
proben. Besonders ärgerlich war aber, dass der Generalbundesanwalt die
Ermittlungen an sich zog, somit ein ideologisches Motiv für den Angriff nahe
legte und dessen überregionale Bedeutung unterstrich. So drängte sich
zwischenzeitlich der Eindruck auf, es stünden sich unterschiedliche
Strategien im Wege, mit denen wenige Wochen vor der Fußballweltmeisterschaft
der Ruf der Republik gerettet werden sollte.
In der Union regte sich jedenfalls nur schwacher Protest gegen Schäubles
Inschutznahme der rechten Szene ("Es werden auch blonde, blauäugige
Menschen Opfer von Gewalttaten"). Der Innenminister erhielt Unterstützung
von prominenten Christdemokraten und von der CDU-Fraktion im Potsdamer
Stadtrat. Sie verweigerte die Unterschrift unter einen Brief, in dem die
Parlamentsfraktionen der Familie von Ermyas M. ihr Mitgefühl aussprachen.
Die Begründung dafür lautete: In dem Schreiben sei von Rassismus die Rede,
der aber nicht belegt sei.
Die praktizierte Vernebelungsstrategie ist umso empörender, als die Gefahr
für Menschen mit dunkler Haut in Deutschland kontinuierlich wächst. Sogar
nach einer Statistik des Bundeskriminalamts nahm die Anzahl gewaltbereiter
rechter Skinheads sowie anderer unorganisierter gewaltbereiter
Rechtsextremer im vergangenen Jahr um vier Prozent auf 10.400 zu.
Doch wer will schon wissen, ob Rassismus eine Rolle spielt, wenn ein
Schwarzer zu Schaden kommt? Schließlich ist auch ein gewaltbereiter Rechter
manchmal einfach nur schlecht gelaunt und schlägt los, wenn man ihn stört.
So wie in Wismar in der vergangenen Woche. Dort fragte ein dunkelhäutiger
Mann drei Deutsche nach dem Weg zum Bahnhof. Womöglich hatte er einfach nur
ihr Ruhebedürfnis gestört? Wie auch immer – sie prügelten ihn
krankenhausreif. Als Rechtsextreme seien sie nicht bekannt, konnte der
Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Gottfried Timm (SPD), schon bald die
Medien beruhigen. Er wusste auch, dass das Opfer hingegen bereits mit der
Polizei in Konflikt geraten war. Vielleicht wird sich noch herausstellen,
dass die Täter Dunkelhäutige lieben und nur in Notwehr handelten. So
schnelle Schlüsse wie in München zieht man im Norden eben nicht.
hagalil.com 11-05-2006 |