antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

No-go-Areas:
Zonen-Nazi im Glück

Heyes Reisewarnung hat für Empörung gesorgt. Doch die amtlichen Statistiken und die Erfahrungen antirassistischer Vereine belegen, dass der Osten nach wie vor eine gefährliche Zone ist.

Von Andreas Speit
Jungle World 21 v. 24.05.2006

Wie wäre es mit Kanu fahren auf den Uckermärkischen Seen? Mit dem Rad entlang der Oder? Vielleicht Klettern in der Sächsischen Schweiz oder doch lieber Baden auf Rügen? Ebenfalls reizvoll: ein kulturgeschichtlich interessanter Ausflug nach Berlin-Marzahn? Doch wer eine zu dunkle Hautfarbe hat, eine auffallende Behinderung aufweist oder allzu sehr "links" oder "schwul" aussieht, sollte sich gründlich überlegen, ob es nicht sicherere Reisealternativen gibt.

Wer indes im Osten lebt und aus welchen Gründen auch immer nicht wegziehen kann, weiß sehr gut, zu welcher Tages- und Nachtzeit er welche Orte meiden sollte. Die Gefahr, zum Opfer rassistischer oder neonazistischer Gewalt zu werden, ist seit Jahren in den neuen Bundesländern größer als in den alten.

Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, heute Vorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen – Aktion weltoffenes Deutschland", tat also nichts weiter, als eine sattsam bekannte deutsche Realität zu beschreiben. "Es gibt kleinere und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo", sagte er im Deutschlandradio, "wo ich keinem raten würde, der eine andere Hautfarbe hat, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht wieder verlassen." So etwas hören die meisten Verantwortlichen nicht gerne, erst recht nicht so kurz vor der Fußballweltmeisterschaft.

Jedenfalls schien Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) die Wörter "anderswo" und "möglicherweise" überhört zu haben, als er Heye vorwarf, "eine ganze Region zu verunglimpfen". Die Existenz von No-go-Areas sei "durch nichts belegt", ergänzte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU).

Einen der etlichen Beweise lieferten am Wochenende zwei Männer im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg. Am Freitagabend schlugen sie einen Berliner Abgeordneten der Linkspartei, Giyasettin Sayan, nieder, er musste mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht werden. Zuvor hatten sie ihn als "Scheißausländer" und "Scheißtürken" beschimpft.

Mittlerweile sagt Platzeck, dass ihm nur die "Schwarz-Weiß-Debatte" Sorge bereite, er aber nichts "abwiegeln oder verniedlichen" wolle. Verspätet scheint ihm aufgefallen zu sein, dass Heye durchaus von antirassistischen Aktivitäten in Brandenburg gesprochen hatte. Vielleicht mag Platzeck sich nicht zu denjenigen Politikern zählen lassen, denen Heye vorwirft, diese Dinge "klein zu reden" und "am Ende den Opfern auch noch die Schuld zu geben". Schönbohm hingegen spricht weiterhin von "nebulösen Vorwürfen". Wenn Heye neue Erkenntnisse habe, solle er sie bitteschön mitteilen.

Dabei muss der Minister nicht auf Heyes Antwort warten, um zu erfahren, wie es auf brandenburgischen Bahnhofsvorplätzen, in Diskotheken, Jugendclubs und an Tankstellen aussieht. Selbst ein Blick in den Verfassungsschutzbericht könnte ihm weiterhelfen. "Subkulturell geprägte rechtsextremistische Jugendcliquen gibt es in vielen Städten und Gemeinden des Landes Brandenburg", heißt es darin, es folgt eine, wie die Verfassungsschützer anmerken, keineswegs vollständige Liste von 17 Städten und Gemeinden.

Noch vor wenigen Wochen wusste es Schönbohm noch besser. Es gebe in Brandenburg "Gegenden, wo man sich nachts lieber nicht alleine aufhalten soll", sagte er in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 21. April und wusste sogar von eigenen Erfahrungen zu erzählen: "Ich ging vor einiger Zeit abends im Dunkeln allein durch eine fast menschenleere märkische Stadt, da kamen mir vier Kahlgeschorene in Bomberjacken und Springerstiefeln entgegen. Ich bin auf die andere Straßenseite gewechselt."

Auch die behördlichen Statistiken sprechen gegen die Gedächtnistrübung des Innenministers, die ihn plötzlich befallen hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz registriert, dass in Ostdeutschland mit durchschnittlich 2,07 Gewalttaten pro 100.000 Einwohner mehr als dreimal so viele wie im Westen verübt werden. Brandenburg führt diese Liste mit einem Wert von 4,09 an, gefolgt von Sachsen-Anhalt (2,81), Berlin (1,65) und Sachsen (1,46).

Auch die Recherchen der Opferberatungsstellen offenbaren die Ausmaße der rechtsextremen Gewalt. In den Jahren von 2003 bis 2005 registrierten sie in Brandenburg 380 und in Sachsen 441 rechtsextreme tätliche Angriffe. Allerdings leben in Brandenburg nur etwa halb so viele Menschen wie in Sachsen. Die Gefahr, von Rechtsextremisten angegriffen zu werden, ist in Brandenburg zehnmal größer als im Bundesdurchschnitt, berichtete unlängst der Verein Opferperspektive.

Über das Ausmaß der Einschüchterung sagen die Zahlen wenig. Den Begriff "No-go-Areas" hält Dominique John, ein Mitarbeiter des Vereins, dennoch für unglücklich. Stattdessen schlägt er vor, von "Angsträumen" zu sprechen, von Orten also, "an denen sich Ausländer, Fremde oder Flüchtlinge vor rechtsextremen Attacken fürchten".

Es sei ihm nicht darum gegangen, Brandenburg zu stigmatisieren, vielmehr habe er auf das Bagatellisieren in der Politik hinweisen wollen, sagt Heye. Pro Jahr durchschnittlich 17 Todesopfer von rechtsextremer Gewalt hat der Verein "Gesicht zeigen" seit der Wende gezählt. Der amtlichen Zählung zufolge gab es im vergangenen Jahr bundesweit 15.914 rechtsextreme Straftaten, 3.358 mehr als im Vorjahr. Dennoch spricht der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) lieber von einer allgemein gewachsenen politischen Kriminalität, hebt den Anstieg rechtsextremer und "linksradikaler" Gewalttaten hervor und betont, dass "fremdenfeindliche Straftaten" weniger geworden seien.

Zu der überwiegenden Zahl der Gewalttaten, das belegen Untersuchungen, kommt es spontan. Und es bedarf keines Parteibuches, um rechtsextreme Straftaten zu begehen. "Rassistische Vorstellungen genügen, um zuzuschlagen", sagte Olga Schell von der "Opferperspektive" der Jungle World.

Einen weiteren Aspekt gibt es, von dem alle Opferberatungsstellen übereinstimmend berichten, nämlich eine zunehmende Enthemmung bei den Angriffen. Nicht nur im Osten, ebenso im Westen schlagen die Täter brutaler zu. Vor allem auf dem Land, wissen Antifa-Initiativen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein, greifen Rechtsextremisten vermehrt Jugendliche an.

Die rassistischen Ressentiments in der "Mitte der Gesellschaft" begünstigen offensichtlich diese Entwicklung. Die Studie "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" des "Instituts für interdisziplinäre Konfliktforschung" zeigt, das 61,1 Prozent der 3.000 Befragten meinen, in Deutschland lebten "zu viele Ausländer". Die Täter fühlen sich in ihrem Glauben bestärkt, das in die Tat umzusetzen, was die Mehrheit denkt. Die hohe Zahl der Straftaten scheint in Brandenburg und Sachsen mit dem Ergebnis der Landtagswahlen zu korrespondieren. Bereits zum zweiten Mal sitzt hier die DVU im Landtag, dort die NPD.

Vereinzelt bekommt Heye Zuspruch. Seine Warnung war nötig, sagt etwa der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy (SPD). Es gehöre "zur Rolle eines guten Gastgebers bei der WM, auf diese Gefahr hinzuweisen". Seinen Fraktionsvorsitzenden Peter Struck muss er erst noch überzeugen. Der nämlich hält Heyes Äußerung für "überhaupt nicht hilfreich".

hagalil.com 25-05-2006

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved