Radikalisierung der Wissenschaft:
Im Dienste des NS-Regimes
Forschungsgruppe zur Geschichte der DFG 1920 bis 1970 präsentiert erste
Ergebnisse
„Ich muss gestehen, dass ich es als bitter und beklemmend
empfinde, dass wir in der DFG kaum eine Spur von Gegenwehr finden, kein Wort
gegen die Ausgrenzung jüdischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und
ihre Entfernung von den Hochschulen, kein Wort gegen die Dienstbarmachung
der Agrar- und Geisteswissenschaften für die verbrecherischen Ziele der
Vertreibung im Osten Europas, keine Nachfrage zur Durchführung und zu den
Zielen medizinischer Versuche. Stattdessen wurde die Radikalisierung der
Wissenschaft im Dienste des Regimes offenbar fraglos mitvollzogen.“
Mit diesen Worten charakterisierte der Präsident der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Professor Ernst-Ludwig Winnacker, in
seiner Ansprache bei der Tagung der Forschungsgruppe zur Geschichte der DFG
1920 bis 1970 vergangene Woche im Berliner Harnack-Haus die Verquickung von
Wissenschaft und Politik in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes.
Im Jahr 2000 hatte Winnacker die Historiker Ulrich Herbert (Freiburg) und
Rüdiger vom Bruch (Berlin) darum gebeten, die Geschichte der DFG in der
NS-Zeit aufzuarbeiten. Konzeptionelle Überlegungen der Forschungsgruppe
führten dazu, den Zeitraum auf die Jahre von 1920 bis 1970 auszuweiten, um
die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 schärfer zu konturieren. Die
Forschungsgruppe präsentierte jetzt unter dem Titel „Erste Ergebnisse“ die
Arbeit aus insgesamt 18 Projekten in fünf Jahren. Im Einzelnen behandelten
die Vorträge der Tagung exemplarisch die Rolle der Institution DFG im Gefüge
der deutschen Wissenschaftslandschaft zwischen 1920 und 1970 und den
Übergang in den nationalsozialistischen Reichsforschungsrat, die Förderung
medizinischer Themen, speziell der Krebsforschung, sowie die Bedeutung der
Geistes- und Sozialwissenschaften mit einem Fokus auf den
Agrarwissenschaften.
Ein Ergebnis: Die Zeit des Dritten Reichs stellt keine abgelöste Episode der
Wissenschaftsgeschichte dar, sondern ist im Kontext mit der vorherigen und
nachfolgenden Zeit zu sehen. „Es dauert weit mehr als ein Jahrzehnt, um mit
althergebrachten Traditionen zu brechen“, stellte Herbert für die Zeit nach
1945 fest. Und der Berliner Historiker Reinhard Rürup, Vorsitzender der
Präsidentenkommission zur Aufarbeitung der Geschichte der heutigen
Max-Planck-Gesellschaft, betonte, dass die Beschäftigung mit der Geschichte
der DFG die Chance biete, sich auf neue Weise der Geschichte einzelner
wissenschaftlicher Disziplinen oder Disziplingruppen zu nähern. Die
überlieferten Gutachten und Protokolle der DFG-Gremien ermöglichten
einzigartige Innenansichten auf die Fächer. Sie spiegelten die jeweils
herrschenden Denk- und Wissenschaftsstile und ließen die Tendenzen der
Beharrung und des Wandels in den jeweiligen Fächern deutlich erkennen. „Das
wirklich Erschreckende“, so Rürup weiter, „sind nicht die Extremfälle,
sondern ist der Alltag der Forschung unter den Vorzeichen von Rüstung und
Krieg, von Rassendoktrin und Expansion, von nationaler Überheblichkeit und
politischer Indienstnahme“.
Ulrich Herbert und Rüdiger vom Bruch dankten der DFG und ihrem Präsidenten
dafür, dass die Erforschung der DFG-Geschichte ohne Einflussnahme und vollem
Zugang zu den Quellen möglich ist.
Auf der Konferenz wurden als Teil der Ergebnisse auch die ersten beiden von
24 geplanten Bänden zur DFG-Geschichte vorgestellt. Es handelt sich dabei um
„Wissenschaft – Planung – Vertreibung. Neuordnungskonzepte und
Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert“, herausgegeben von Isabel Heinemann
und Patrick Wagner, und „Man, Medicine and the State. The Human Body as an
Object of Government Sponsored Medical Research in the 20th Century”,
herausgegeben von Wolfgang U. Eckart, beide Franz Steiner Verlag, Stuttgart. |