Neonazis liegen sich wegen 1. Mai-Aktionen in den Haaren:
Streit im braunen Kindergarten
Vier regionale Neonazidemonstrationen
in Sachsen und Brandenburg sorgen für Unruhe in der Zivilgesellschaft vor
Ort ebenso wie innerhalb der bundesweiten Kameradschaftsszene. Die
Organisatoren werten ihre Aufmärsche als Erfolg. Der Neonazikader Christian
Worch dagegen nicht.
Von Ralf Fischer
Um die Durchführung einiger Spontandemonstrationen am
vergangenen 1. Mai ist auf unterschiedlichen neonazistischen Internetseiten
und Foren eine wüste Kommentarschlacht entbrannt.
Kader der thüringischen, sachsen-anhaltinischen und
sächsischen Kameradschaftsszene waren am 1. Mai aus Christian Worchs
Leipziger Wanderzirkus ausgeschert und folgten auch nicht dem Aufruf der NPD
zur bundesweiten Demonstration nach Rostock. Stattdessen demonstrierten sie
spontan in ihren Regionen auf und störten dabei unter anderem die
traditionelle 1.Mai-Veranstaltungen der lokalen Linkspartei.PDS.
Braune Kaffeefahrt durch die Provinz
Knapp ein Monat nachdem den braunen Kameraden verboten
wurde in Bautzen für den derzeit vor Gericht stehenden Revisionisten Ernst
Zündel aufzumarschieren, demonstrierten am 1. Mai über 150
Kameradschaftsaktivisten und Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten
unangemeldet in dem Zentrum der Oberlausitz auf. Pünktlich um 12 Uhr
startete in der ostsächsischen Stadt die von dem langjährige Neonazikader
Christian Worch aus Hamburg in einschlägigen Internetforen als "gemütliche
Kaffeefahrt ins Grüne" bezeichnete dreiteilige Demotour organisierter
Nationalisten in der Lausitz.
Die völlig überforderte Polizei vor Ort war nicht in der
Lage den Flugblätter verteilenden und Parolen grölenden Mob aufzuhalten.
Über eine halbe Stunde lang konnten die Neonazis ungestört durch Bautzen
demonstrieren bis endlich Polizeiverstärkung kam und die Organisatoren des
Aufmarsches wenigstens gezwungen waren die Demonstration anzumelden. Was
aber der Verteilung von Flugblättern und der Propagierung ihres beschränkten
Weltbildes natürlich keinen Abbruch bescherte.
Nächster Stopp der braunen Demotouristen war die
Kleinstadt Niesky. Dort trafen sie gegen 14 Uhr ein und führten das gleiche
Propagandaprogramm wie zuvor in Bautzen durch. Auch diesmal wieder völlig
ungestört. Nur am Ende der Tour durch Niesky kam die braune Kaffeefahrt
etwas ins Stocken. Die Polizei erwartete am Startpunkt der illegalen
Demonstration die Teilnehmer und führte eine Personalkontrolle durch. Doch
auch dieses staatliche Instrument lief ins Leere. Keine Stunde später
tauchten die ersten Neonazis im brandenburgischen Hoyerswerda auf um die
Demotour weiterzuführen.
Während der Bus zwar immer noch in der Polizeikontrolle
stand, störte der Rest der braunen Kameraden schon das landesweite 1.Maifest
der Linkspartei.PDS in Hoyerswerda. Mit Transparenten bewaffnet stürmten die
Neonazis vor die Bühne und riefen unentwegt die Parole
‚PDS-Arbeiterverräter’. Da die eingesetzte Polizei gänzlich überfordert auf
die massive Störung reagiert, bauten die Mitglieder der lokalen
Linkspartei.PDS das Fest lieber schnell ab.
Im sächsischen Freital traten ebenfalls 100 Neonazis am
1.Mai auf den Plan statt in Leipzig oder Rostock, doch lieber vor Ort zu
demonstrieren. Jenseits der Kaffeefahrt in Ostsachsen und Südbrandenburg
demonstrierten auch sie relativ ungestört durch die Kreisstadt im
Weißeritzkreis. Obwohl die Anmeldung der Neonazis zwei Tage vor dem ersten
Mai in der Presse bekannt wurde, traten nur rund 50 Antifaschisten auf den
Straßen von Freital den braunen Rattenfängern entgegen.
Rechte Reaktionen
Währenddessen die sächsischen Kameraden recht erfolgreich
durch die Provinz tourten, standen sich in Leipzig die braune Truppe um
Christian Worch und Steffen Hupka die Beine in den Bauch. Das
Völkerschlachtdenkmal welches es für die beiden Neonazikader und ihre
Anhänger zu erreichen galt, blieb auch an diesem Tag - dank der vielfältigen
zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Protestaktionen - weiterhin
unerreichbar.
Leipzig bleibt für die extreme Rechte ein heißes Pflaster.
Unter anderem auch, wegen der schwachen Beteiligung aus den Reihen der
Neonazis. Schon als Mitte April bekannt wurde, dass es eine weitere
Demonstrationsanmeldung aus dem Spektrum der so genannten Freien
Nationalisten gleich um die Ecke – nämlich in Magdeburg – gab, ärgerte es
Christian Worch über die Maßen. Dem Chef des braunen Wanderzirkus stieß es
besonders unangenehm auf, dass nur 100 Kilometer entfernt quasi eine
Konkurrenzveranstaltung aus dem militanten Kameradschaftsspektrum heraus
organisiert wurde, als deren Wortführer er sich immer in der Öffentlichkeit
darstellt.
Doch die meisten der Kameraden hatten einfach keine Lust
mehr auf den Kessel Braunes in Leipzig. Auch der neue Zweitanmelder der
Demonstration in der Messestadt, Steffen Hupka, ist kein großer Liebling der
Szene mehr. Seit einiger Zeit soll er Kameraden noch sehr viel Geld
schulden, welches er angeblich in ein politisches Hausprojekt in
Sachsen-Anhalt stecken wollte. Das Geld landete aber stattdessen in dem
Ausbau seines eigenen Hauses.
Spontan offensiv
So war es schon früh abzusehen, dass sich in diesem Jahr
wohl kaum die Masse der Neonazis nach Leipzig mobilisieren lassen würde. Zu
viele schlechte Erlebnisse in der Messestadt bisher und die allgemeine
Ablehnung am ‚Tag der Arbeit’ sich auf eine reine
Rechts-Links-Auseinadersetzung zu konzentrieren waren die häufigsten
Gegenargumente die schon im Vorfeld in rechtsextremen Internetforen
angeführt wurden.
Nicht in öffentlich zugänglichen Foren wurden dagegen die
Alternativen zu den zentralen Aufmärschen diskutiert. Nicht angemeldete oder
sehr kurzfristig angemeldete regionale Demonstrationen waren die Antwort
einiger lokaler Neonaziaktivisten aus Ostdeutschland in diesem Jahr auf die
aufkommende Demonstrationsmüdigkeit in den eigenen Reihen. Die Möglichkeit
unangemeldet zu demonstrieren versprach um vieles offensiver zu werden als
der Wanderkessel dem die zentralen Aufmärsche fast immer gleichen.
Und so war es dann auch. Derzeit prahlen die Aktivisten
aus Ostsachsen im Internet damit im Gegensatz zu Worch & Co. an den
politischen Gegner "bis auf Nasenlänge" herangekommen zu sein und ihre
Propaganda breit im Volk verteilt zu haben. Sie argumentieren damit, dass es
an jedem anderen Tage im Jahr möglich wäre in Leipzig zu demonstrieren, aber
am 1.Mai sollten die lokalen Möglichkeiten ausgenutzt werden, da zu dieser
Zeit "in der eigenen Region dutzende Veranstaltungen von PDS-DKP-MLPD usw.
stattfinden".
Dieser strategische Schwenk hin zu mehr lokalen Aktionen
am 1. Mai muss ernst genommen werden. Die diesjährigen Spontanaktionen
werden bei den beteiligten Neonazigruppierungen als großer Erfolg gefeiert.
Im Gegensatz zum Wanderzirkus von Worch verschaffen sie der Szene die
dringend benötigten Erfolgserlebnisse.
©
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - 10.5.2006
hagalil.com 10-05-2006 |