Verharmlosung des Nationalsozialismus:
Denn er wusste, was er tat…
Brandenburgs Innenminister Jörg
Schönbohm sorgt für Eklat bei der Befreiungsfeier des KZ Sachsenhausens
Von Ralf Fischer
Bei der zentralen Gedenkfeier für die Überlebenden des
Konzentrationslagers Sachsenhausen erinnerte der Innenminister von
Brandenburg, Jörg Schönbohm, auch an die Menschen die nach 1945 im
sowjetischen Internierungslager "ebenso rechtlos" eingesperrt waren. Die
anwesenden ehemaligen KZ-Häftlinge protestierten gegen diese Form der
Verharmlosung des Nationalsozialismus. Zu Recht.
Der Anlass des Gedenkens war eigentlich allen Teilnehmern zur Genüge
bekannt: am 23. April 2006 ging es im Konzentrationslager Sachsenhausen bei
Oranienburg nicht um das Gedenken an die Opfer des Totalitarismus im 20.
Jahrhundert, sondern um den 61. Jahrestag der Befreiung des KZ durch
sowjetische und polnische Soldaten. Schwarz auf weiß war dies im Vorfeld für
jeden Besucher den Einladungen zu entnehmen.
Dafür, dass es trotzdem ein prominenter Redner schaffte, diese Tatsache zu
verdrängen, gibt es keine Entschuldigung. Auch nicht jene, die in diesen
Tagen gerne in der Presse kolportiert wird, dass womöglich der eigene Vater
oder andere Familienangehörige im sowjetischen Internierungslager unschuldig
ums Leben kamen. Des Weiteren kann auch beim besten Willen, kein guter Wille
darin gesehen werden, dass mehrere Tage nach dem gezielten Tabubruch in der
Öffentlichkeit von dem Redner selbstkritisch eingeräumt wird, dass „im Sinne
der Opfer“ ein Fehler begangen wurde. Ein strategisch motiviertes
Ablenkungsmanöver und zu spät. Jedenfalls als ernstzunehmender Versuch die
Wellen der Empörung zu glätten kann die Aussage nicht angesehen werden.
Als Jörg Schönbohm, der Vertreter der brandenburgischen Landesregierung, in
seiner Rede am 23. April in Sachsenhausen ansetzte zu seinem Ritt durch den
Täter- und Opferwald, da wollte er die einzelnen Bäume vor lauter Wald nicht
mehr unterscheiden. In der Rede vor über 80 Überlebenden des KZ und ihrer
Angehörigen verschwammen die Opfer des Nationalsozialismus in einer breiigen
Masse mit jenen die als Nazis zu Recht nach 1945 in Internierungslagern
verbracht wurden und denjenigen die unschuldig in die Fänge der Stalinisten
gerieten. Im Meer der Opfer des 20. Jahrhunderts gingen für Schönbohm die
Unterschiede komplett baden.
Den Schock der Überlebenden des KZs auf die den Nationalsozialismus und
seine Verbrechen relativierende Wald- und Wieserede brachte sofort im
Anschluss an die Rede des Innenministers ein Vertreter des Internationale
Sachsenhausen Komitees (ISK) zur Sprache. Er wies die Behauptungen
Schönbohms mit aller Schärfe zurück und verwies darauf, dass 80% derer die
nach 1945 im Internierungslager eingesperrt waren, entweder KZ-Wärter oder
NS-Systemträger waren. Oder sogar beides.
Die, mit dem Versuch die Gefangenen des sowjetischen Internierungslagers auf
eine Stufe mit den Opfern des nationalsozialistischen Lagersystems zu
stellen, einhergehende Relativierung des NS, wollte der Generalsekretär des
ISK nicht hinnehmen. Und auch die Zivilgesellschaft tut gut daran dies nicht
hinzunehmen, egal ob derjenige der gerade den Versuch dazu unternimmt, nun
ein wichtiger Minister oder ein einfacher Türsteher ist.
©
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - 27.4.2006
[FORUM]
hagalil.com 27-04-2006 |