Nach der rassistischen Gewalttat in Potsdam:
Der unanständige Aufstand der Reinwäscher
So schnell kann es gehen: Fast über Nacht wird aus einem
rassistischen Mordversuch eine „unpolitische Handgreiflichkeit“, werden aus
den rechten Tätern „Betrunkene“ und aus dem Opfer ein „Provokateur“.
Verharmlosen, Kleinreden, Reinwaschen – die deutschen Schutzmechanismen
funktionieren.
von Jörg Fischer
Ist ein rassistischer Schläger nur dann ein rassistischer
Schläger, wenn er und sein Opfer nüchtern sind und letzteres die
Umgangsformen sämtlicher Auflagen des Knigges in- und auswendig kann?
Scheinbar schon, zumindest wenn man einigen konservativ-bürgerlichen
Politikern und ihren medialen Apologeten glauben mag.
In den frühen Morgenstunden des Ostersonntags wurde ein 37-jähriger
Afrodeutscher von zwei Männern derartig körperlich angegriffen, das der
Angegriffene seither in Lebensgefahr schwebt und im Koma liegt. Laut
Mobilfunkaufnahme beschimpften die Angreifer ihr Opfer dabei als „dreckigen
Nigger“. Wer, wie Brandenburgs Innenminister Schönbohm, dann mit der
Sturheit einer tibetanischen Gebetsmühle behauptet, ein rechtsextremer und
rassistischer Hintergrund sei nicht zwingend gegeben, muss zu eben jenen
Zeitgenossen gehören, die der kruden „Logik“ anhängen, Rassisten mutieren zu
demokratischen Humanisten, wenn ihr Opfer betrunken ist.
Wobei natürlich festzuhalten bleibt, das die „Sensationsmeldung“, dass das
Opfer betrunken war, nun auch wieder nicht so wirklich überraschend ist.
Wenn man an einem Feiertag morgens um 4 Uhr an Bushaltestellen in der Nähe
von Diskotheken eine Erhebung über die Verfasstheit der dort anzutreffenden
Menschen macht, wird man sicherlich einen verhältnismäßig geringen Anteil an
stocknüchternen Passanten vorfinden.
Die Frage ist nur: Geht es wirklich darum?
Schon unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Tat beeilte
sich Bundesinnenminister Schäuble (CDU) zu postulieren, das auch
„blauäugige, blonde Menschen“ Opfer von Gewalttaten werden würden. Noch
deutlicher kann man sich nicht abmühen, rassistische Gewalt
herunterzuspielen. Und genau darum geht es. Herunterspielen, um einen
Imageschaden zu vermeiden. Denn immerhin ist ja bald Fußball-WM in
Deutschland und da soll ja bekanntlich die „Welt zu Gast sein - bei
Freunden“. Der bereits erwähnte brandenburgische Innenminister
Schönbohm formulierte es in seiner ganz eigenen Art recht unverblümt, was
ihn an tatsächlichen Motiven umtreibt. Die Internetpräsenz der
ARD-Nachrichtensendung Tagesschau berichtete am 24.4.2006: „Inzwischen
begründete Schönbohm seine Kritik an dem Generalbundesanwalt mit einem
möglichen Image-Schaden für das Land Brandenburg.“
Im Berliner „Tagesspiegel“ erklärte der Generalsekretär des Zentralrates der
Juden in Deutschland, Stephan Kramer, wenn Schönbohm nicht erkennt, daß es
sich um einen rassistisch motivierte Tat handele, „braucht er dringend
Nachhilfeunterricht“. Ob Nachhilfeunterricht bei Schönbohm allerdings
hilfreich wäre, darf bezweifelt werden – Voraussetzung hierzu wäre nämlich
die Lernwilligkeit.
Worüber die Schönbohms und Schäubles dieser Republik nicht
gerne reden: Rassistische Gewalt gehört schon lange zum bundesdeutschen
Alltag. Die offizielle Bundesstatistik zählte alleine für das Jahr 2005
täglich 28 rechtsextremistische Straftaten, davon zwei Gewalttaten. Täglich!
Und das sind nur die offiziellen Zahlen, ohne die Dunkelziffer. Auch nach
der rassistischen Gewalttat in Potsdam kam es in ganz Deutschland zu
weiteren Gewalttaten – in Ost und West. Aber natürlich sind das
„Einzelfälle“, die Täter „unpolitisch“ und die Opfer irgendwie doch „selber
schuld“.
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