Fußball-Hooligans:
Krakaus heilige Krieger
"Hunde" gegen "Juden",
Baseballschläger gegen Messer: Nach einem Jahr verhältnismäßiger
Ruhe droht in Polen ein neuerliches Aufflammen der
Auseinandersetzungen zwischen Fußball-Hooligans.
Aus Krakau Gabriele Lesser
Dann beteten sie wieder, die Hooligans von Krakau.
Wie hunderttausende andere Polen sind sie auf den Straßen, zünden
Kerzen an und gehen in sich. Es ist der Todestag Papst Johannes Paul
II. und mit ihm jährt sich auch die Hoffnung zum ersten Mal, die
Hoffnung auf ein Wunder. Vor Jahresfrist glaubten viele Katholiken
in Polen, durch das Mitleiden mit dem kranken Papst und die Trauer
nach seinem Tod eine moralische Läuterung durchlebt zu haben. Auch
die Hooligans von Krakau.
Das war vor einem Jahr, Anfang April, da hatten sie sich versöhnt.
Im berüchtigten Fußballstadion Cracovia zündeten 25.000 so genannte
Ultras Kerzen für den sterbenden Papst in Rom an, schwenkten die
Schals ihrer Vereine und erklärten den "heiligen Krieg" für beendet.
Keine Schlägereien, keine Morde, keine Beleidigungen mehr. Friede
sollte künftig herrschen - in Krakau, aber auch in den Stadien von
Warschau, Posen, Lódz und Stettin. Als Johannes Paul II. noch Karol
Wojtyla hieß und im Bischofspalast von Krakau wohnte, feuerte er die
Spieler von Cracovia an. Tatsächlich - mit oder ohne Hilfe des
Papstes - schafften sie dann auch den Aufstieg in die Erste Liga.
Nach der Versöhnung der seit Jahrzehnten verfeindeten Fans der
Krakauer Traditionsvereine Wisla und "Cracovia" sprach Polens
Fußballpräsident Michal Listkiewicz von einem "Wunder". Ganz
offiziell wurde danach das Cracovia-Stadion umbenannt in
Papst-Johannes-II.-Stadion.
Doch der Krakauer Frieden hielt nicht lange. Schon beim nächsten
Lokalderby im Mai 2005 flammte der "heilige Krieg" erneut auf.
Seither kämpfen die Wisla-"Hunde" wieder gegen die "Juden" von
Cracovia. Die "Hunde" hauen mit Baseballschlägern zu, die "Juden"
zücken Messer und zielen auf Oberschenkel, Hintern und Schultern des
Gegners. Sterben soll keiner, aber Blut soll fließen - das verlangt
der Ehrenkodex der Krakauer Hooligans. Was zählt, sind die im Kampf
eroberten Schals des Gegners und die selbst erlittenen Verletzungen.
Je mehr Schals und genähte Fleischwunden, desto höher steht ein Fan
in der Hooliganhierarchie. Nur der antifaschistische Verein "Nigdy
Wiecej" ("Nie wieder!") kritisiert Hooliganschreie wie "Juden ins
Gas!" oder Transparente, auf denen "Arbeit macht frei" zu lesen ist,
als antisemitisch. In der Öffentlichkeit ist das kein Thema, nennt
sich doch eine Krakauer Bande sogar "Juden-Gang" und ist stolz
darauf, als besonders brutal zu gelten.
Marcin K. war ein Wisla-Fan. Er hatte keine Chance. Als der
21-Jährige mit seinem Bruder und ein paar Freunden an einem Sonntag
im März aus der Kneipe kam, in der sie das Lokalderby Wisla gegen
Cracovia gesehen hatten, bog ein roter Mercedes um die Ecke. Das
Auto fuhr langsam. Drinnen saßen vier Cracovia-Männer auf der Jagd.
Marcin trug den gesuchten Schal des Gegners. Die Türen flogen auf.
Piotr B., einer der Cracovia Hooligans, zückte das Messer, wie immer
bei den Schlachten des "heiligen Krieges" in Krakau. Doch diesmal
wurden nicht nur Hemd und Haut des Opfers verletzt. Piotr stieß mit
voller Kraft zu. Er durchschnitt die linke Lunge, die Bauchaorta und
die linke Niere des Wisla-Fans. Das Blut schoss nur so aus den
Wunden. Die Täter flüchteten in Panik. Die eigentliche Trophäe, den
Schal, ließen sie zurück. Marcin K. starb im Krankenhaus. Laut
Statistik das sechste Opfer des "heiligen Krieges" in Krakau.
Doch ob die Statistik stimmt, weiß niemand. Die Polizei jedenfalls
hat kein Interesse daran, eine hohe Kriminalitätsrate für Krakau zu
veröffentlichen. So werden Hooligan-Straftaten nur dann verfolgt,
wenn es gar nicht anders geht. Und die Fußballfanatiker, die ihr
Leben für einen Schal aufs Spiel setzen, gehen zwar nach den
blutigen Schlachten ins Krankenhaus, um sich den zerschnittenen
Hintern bandagieren oder das zerschlagene Schienbein eingipsen zu
lassen, doch Anzeige erstattet niemand. Auch das gehört zum
Ehrenkodex der polnischen Hooligans.
Ein Jahr nach dem Tod Papst Johannes Paul II. zünden sie wie die
meisten Gläubigen Kerzen an und beten. Das polnische Fernsehen zeigt
Bilder von damals - trauernde Menschenmassen, den freundlichen
Händedruck ehemals verfeindeter Politiker, das Versöhnungswunder der
Hooligans im Cracovia-Stadion - und überblendet sie mit den Bildern
von heute: Menschen, die auf die Wiederkehr des polnischen Papstes
als Heiligen warten, Politiker, die sich gegenseitig aufs Übelste
beleidigen und die große Blutlache in Krakau, über die sich ein
Polizist beugt. "Wir dürfen von den Polen nicht zu viel erwarten",
erklärt eine Psychologin und lächelt freundlich in die Kamera:
"Engel sind wir jedenfalls keine geworden."
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11-04-2006 |