Von A wie Ashkenaz bis zu Z wie Zionismus:
Ein Besuch im deutsch-jüdischen Antiquariat Eric Chaim Klines
in Los Angeles
Von Benjamin Rosendahl
Von außen kann man nicht viel erkennen, wenn man das
Antiquariat von Eric Chaim Kline besucht: Es befindet sich im zweiten Stock
des "Swap meet" (eine Art Indoor-Flohmarkt). Kein Zeichen, kein Schild
deutet auf den Buchladen hin. "Früher, als mein Antiquariat sich in Santa
Monica befand, war das anders", erinnert sich Kline in fast akzentfreiem
Deutsch, "der Laden war klar und deutlich für jeden zu sehen." Leider
bereitete ein Erdbeben erheblichen Schaden. Die stets steigenden Mieten
taten das Übliche. Letztendlich war der Umzug für Kline unvermeidlich.
Seitdem ist er Untermieter des Swap meets, und als solcher kann er Kunden
nur per Termin empfangen.
Nachdem man einen Termin ausgemacht hat, empfängt Hr.
Kline einen mit festem Händedruck und freundlichem Lächeln beim
Seiteneingang des Swap meets. Es folgt ein Gang durch ein enges Treppenhaus,
wo es langsam nach oben, zum zweiten Stock, geht. Hr. Kline öffnet die Tür –
und auf mehr als 1500 Quadratmetern tut sich vor einem eine lang verschollen
geglaubte Welt auf: Bücherregal über Bücherregal ist voll mit seltenen,
alten und wunderschön verzierten Ausgaben von Bibel, Talmud, Gebetsbüchern,
Büchern zum Religionsunterricht, halachischen Büchern (Bücher zum
Religionsgesetz) und vieles mehr – und alles auf Deutsch. "Das deutsche
Judentum war schon immer sehr dynamisch – und meine Sammlung spiegelt das
natürlich wieder", meint Kline, nicht ohne einen Funken Stolz.
Eric Chaim Klines in seiner Buchhandlung
Und tatsächlich sind hier alle Ausrichtungen
deutsch-jüdischen Denkens versammelt, von der Reformbewegung Geigers bis zur
Orthodoxie von Samson Raphael Hirsch und Salomon Breuer (und deren Kinder
und Enkel), über den humanistischen Gedanken Martin Bubers und das jüdische
Geschichtsbewusstseins Graetzs ("Geschichte der Juden") und Dubnows
("Weltgeschichte des Judentums") bis zum Zionismus Theodor Herzls und Achad
HaAms. Viele der Bücher sind Erstausgaben, einige davon recht selten. Neben
Büchern hat Eric Chaim Kline auch eine große Auswahl an Pessach-Haggadas und
an Zeitschriften, von "Nachlath Zwi" über der "Monatsschrift zur Geschichte
und Wissenschaft des Judentums" bis zum "Jahrbuch der jüdisch-literarischen
Gesellschaft".
"Ich habe hier die Welt meiner Kindheit wiedergefunden",
sagt Alex, 83 Jahre alt. Alex ist einer von vier jüdischen Pensionären, die
jeden Freitag Morgen zu Eric Chaim Klines Buchladen kommen, um ihm zu
helfen, die jiddischen, polnischen und deutschen Bücher zu ordnen. Es fing
vor ein paar Jahren damit an, dass Eric Chaim Kline Hilfe benötigte, um eine
Sammlung von Büchern zum Holocaust, die er gerade erworben hatte, zu ordnen
(heute umfasst seine Holocaust-Sektion über 10.000 Bücher). Die Sammlung
besteht aus Büchern in englisch, polnisch, deutsch und jiddisch.
Der "Freitagsclub"
"Es gibt nur noch wenige Menschen, die alle diese Sprachen
beherrschen, insbesonders hier in Los Angeles", meint Alex, der 1941 von
Warschau flüchtete. "Dank des deutschen Kindermädchens, das wir hatten,
komme ich hier auch mit den deutschen Büchern sehr gut zurecht." Mit der
Zeit erweiterte sich das Interesse des "Freitagsclubs", wie Eric Chaim Kline
ihn liebevoll nennt, auch zu religiösen jüdischen Büchern. "Während die
Holocaust-Sammlung mich immer an den Verlust meiner Angehörigen erinnerte,
hat mich die Judaica-Sammlung ihnen wieder näher gebracht", meint Alex.
"Wenn ich dasselbe Siddur (Gebetbuch), das auch meine Eltern benutzten, in
Händen halte, fühle ich mich, als ob sie mir über die Schulter sehen."
Neben der Judaica erfreut sich der "Freitagsclub" auch
immer an der jiddischen Literatur von Shalom Alejchem, J.L. Peretz und
Bashewis Singer, die es hier zu genüge –auch in Erstauflagen deutscher
Übersetzung- gibt. Und natürlich sitzt man zwischendrin bei Kaffee und
Kuchen um den runden Tisch, der zentral im Buchladen steht und redet über
G"tt und die Welt. Während Harold, ein weiteres Mitglied des "Freitagclubs",
in der Stereoanlage den klassischen Musiksender einstellt (es wird ein
Konzert zu Ehren Mozarts 250. Geburtstage übertragen), holt Eric Chaim Kline
einen Pinot-Noir-Wein sehr guten Jahrgangs und Gläser. Heute gibt es nämlich
einen Grund zu feiern: Dank Alexs Einsatz wird nächste Woche eine
Ausstellung zum Warschauer Ghetto eröffnet. Nach dem L'Chaim, der heute den
Kaffee ersetzt, diskutiert der "Freitagclub" noch längere Zeit jiddische
Literatur, deutsches Judentum und talmudische Konzepte. Eric Chaim Kline
muss sich leider vorzeitig verabschieden: Er wird für eine Wertschätzung als
Experte gebraucht. "90% unserer Anrufe betreffen Privatsammlungen älterer
Leute, die aufgelöst werden. "Das ist einer dieser Fälle."
Ein paar Stunden später: Der "Freitagclub" macht sich
schon auf den Heimweg, als Eric Chaim Klines Auto auf dem Parkplatz zum
Vorschein kommt. Hr. Kline steigt aus und öffnet den Kofferraum, der voll
mit mit Büchern gefüllten Kisten ist. Neben einer alten Ausgabe von "shir-ha
shirim" (dem Hohelied Salomons) befindet sich auch eine alte Torahrolle.
"Diese Torahrolle ist etwas ganz Besonderes", erklärt Kline. "Sie ist im 17.
Jahrhundert von einer kabbalistischen Gruppe in Ashkenaz (Deutschland)
geschrieben worden." Er deutet auf einige Buchstaben in der Mitte von
Wörtern auf, die groß geschrieben sind. "So etwas findet sich in fast keiner
Torahrolle. Es deutet wohl auf Gematria, Buchstaben- und Zahlenmystik, hin."
Mit der Hilfe einiger seiner Mitarbeiter werden die wertvollen Stücke über
die Treppen hochgetragen. "Einige der Bücher werde ich nächste Woche zur
Buchmesse mitnehmen", meint Kline. Er freut sich schon darauf, Freunde aus
Deutschland, England, Holland und Australien zu treffen, wenn die
kalifornische Antiquariatsbuchmesse – eine der größten ihrer Art- nächste
Woche stattfindet.
Außer Büchern wird Hr. Kline dort auch seine Kunstsammlung
ausstellen, die sich auf Avantgarde, insbesondere Photographie
spezialisiert. "Für mich hängt Kunst und Judentum eng zusammen.", meint
Kline "Und schließlich sind einige meiner schönsten Kunstwerke Stiche
jüdischer Fest oder Verzierungen von Werken wie "Shir ha-shirim. Diese
Verbindung werde ich auch auf der Buchmesse zeigen." Da kann man nur
"behatzluche we bruche" ("viel Erfolg" auf jiddisch) wünschen – oder
eingedeutscht: "Hals- und Beinbruch"…
Wer mehr über Eric Chaim Klines' Buchhandlung erfahren
will, kann ihm gerne eine Email schreiben:
ecklinebookseller@att.net
hagalil.com 28-04-2006 |