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Reden und Taten:
Die deutsch-jüdische Frage 2006

Ein Essay von Daniel Haw

Es heißt, worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen. Über die Schoah, den so genannten Holocaust, kann das überwiegend christlich geprägte Deutschland nicht reden, tut es jedoch oft und beflissen.

Sollen sich deutsche Juden, die nach 1945 in Deutschland geboren wurden, für diese endlosen Reden interessieren? Interessieren sie nicht eher Taten, die ihnen folgen sollten, - könnten, - müssten?

Das christlich geprägte Deutschland glaubt aber, die Rede sei der Tat genug. So ist es gar nicht erstaunlich, eine neue Divergenz zwischen deutschen Juden und der Gesellschaft, in der sie leben, beobachten zu können.

Den verfolgten, beraubten, gedemütigten, missbrauchten und ermordeten Juden wird in - zum Teil - absonderlicher Weise gedacht: Da verlegt man "Gedenk-Stolpersteine" auf den Trottoirs, da hält man Feierstunden ab und peinigt Schüler der allgemeinen und weiterführenden Schulen immer noch nach alter Väter Sitte mit dem statistischen Leid der europäischen Judenheit während der Schoah. In allen Medien wird in seriöser Betroffenheit das Credo "So-etwas-darf-sich-niemals-wiederholen!" wiederholt, als hegten seine Apologeten den heimlichen Wunsch, durch seinen inflationären Gebrauch den Wert zu schmälern und somit die Notwendigkeit, dem Wertlosen Taten folgen zu lassen. Aber der Gedanke dieses Vorsatzes ist wohl zu boshaft.

Die Heuchelei korrumpiert

Andererseits, so lehrt die Geschichte, hinterlassen Gebetsformeln einen nachhaltigen Eindruck in Volkes Seele. Der Mensch ist so kompliziert wie er simpel ist. Er glaubt dem gedruckten Wort, auch wenn er um dessen Fragwürdigkeit weiß, ebenso vertraut er dem wiedergekäuten Credo.

Es liegt wohl an der Sehnsucht nach Sicherheit, die ihn korrumpierbar macht, sobald man ihm die auflagenstarke Lüge präsentiert. Der Mensch soll glauben und er glaubt gern, besonders der Deutsche.

Und was haben die Juden davon?
Nichts!

Ein hochrangiger Politiker äußert betroffen: "So etwas darf sich niemals wiederholen!", eine christlich-jüdische Interessengemeinschaft verlegt einen bedenklichen "Stolperstein", ein ambitionierter Fernsehschauspieler liest Brecht zum Gedenken an die Bücherverbrennung, der Kantor singt ein Lied dazu und irgendwo wird eine Gedenktafel an eine uninteressante Fassade geschraubt.

Und dann? - Dann herrscht Ruhe und alle sind zufrieden - außer den Juden. Etliche unter ihnen fragen sich, woran es liegen mag, dass sich die Deutschen christlicher Prägung scheinbar so sehr für ihre ermordeten Eltern und Großeltern interessieren, jedoch nicht für deren Kinder und Enkelkinder, für die Träger jüdischen Lebens, jüdischer Kultur.

Und je länger sie über diese Frage nachsinnen, desto stärker drängt sich ihnen ein Verdacht auf: Wer angeblich das Leid von schätzungsweise 6 Millionen ermordeten Menschen beklagt, müsste notwendigerweise am Schicksal ihrer Nachkommenschaft interessiert sein!
- Notwendigerweise!
- Müsste!

Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Die übelsten und dümmsten Nazis von 1933 wussten zum Teil mehr von Tradition, Religion und Kultur der Judenheit, als deutsche Studenten, Hochschullehrer und engagierte Christen des Jahres 2006, da den dummen Bösewichtern von einst Begriffe wie Brachah, Tachles, Schabath, Goi, Schickse und Mazal nicht nur bekannt, sondern auch sprachbewusst waren.
Was nützt deutschen Juden nun ein gut geöltes Credo "So-etwas-darf-nie-wieder-geschehen!", wenn die Deutschen nicht einmal wissen, wem es nicht wieder geschehen darf. Davon abgesehen ist den meisten von ihnen auch nicht bekannt, was da eigentlich exakt geschehen ist. Das Insistieren auf Detailwissen wird überdrüssig abgelehnt: das sei doch bei dem übergroßen Gesamtschrecken des Holocausts nicht notwendig, ja geradezu geschmacklos!

Die Geschmacklosigkeit beweist sich allerdings in der Ignoranz des Detailwissens; das furchtbare Ganze setzt sich schließlich aus Einzelheiten zusammen, und nur mit dem detailliertem Grauen kann sich der menschliche Geist auseinandersetzen, um es zu begreifen und sich darüber auszutauschen. Der Horror als Ganzes ist ein bequemes Grausen, das die nötige persönliche Distanz schafft, um treuherzig seufzen zu können: "Ja, ja, so etwas darf sich nie wiederholen!"

Symbolisierende Entrückung in Ferne und Vergangenheit verhindert respektvolles Interesse in der Gegenwart

"So etwas" wiederholt sich nur dann nicht, wenn die Kinder und Kindeskinder des Tätervolkes bemüht sind, sich zumindest ein morphologisches Bild vom Judentum zu verschaffen. Hierzu müssten sich die Deutschen christlicher Prägung allerdings die Mühe machen, sich deutschen Juden zu nähern, sich über ihre Religion und Kultur zu informieren. Es reicht bei weitem nicht aus, den Klappentext eines Multi-Kulti-Taschenbuchs zu überfliegen. Selbst das Fernsehen hilft hier kein Deut weiter. Selbst die eilige Stippvisite im Internet kann nur ein Anfang sein.

Tatsächlich leben zur Zeit ungefähr 100.000 Juden in Deutschland, von denen die überwiegende Zahl willens oder sogar begierig wäre, Deutsche christlicher Prägung über das Judentum aufzuklären, sobald man sie darum bäte. Was liegt ihnen daran? Hoffen sie etwa, dass ein Verständnis der jüdischen Kultur Deutsche davon abhielte, die Schoah zu wiederholen?

Doch abgesehen vom möglichen Nutzen für die Juden dieser Gesellschaft, könnten die Deutschen von einem neuen Wissen und einem neuen Bewusstsein profitieren?
Sie könnten in der Tat: Fragten sie nach der jüdischen Tradition, nach Geistesgeschichte und Ethik, bekämen sie Antworten, die sie bei der (wenn auch zweifelhaften) Suche nach ihrer Identität weiterbrächten.

"Wir können dem deutschen Volk nicht verzeihen; das könnten nur die Toten." Dieser jüdischen Replik auf das deutsche Selbstmitleid, dessen naiver Drang anscheinend erst gestillt wird, wenn sich die jüdischen Lippen zum Bruderkuss gespitzt haben, ist nichts hinzuzufügen. (So ein Kuss lässt sich übrigens rasch wieder abwischen.)

Weshalb müht sich das offizielle Deutschland so um eine Holocaust-Gedenkkultur?
Etwa, um den Juden zu beweisen, dass es ihre Toten nicht vergessen kann, dass es ihr Leben erleichtern will oder lediglich, um das eigene Gewissen zu beruhigen? Ist ein aufrichtiges Gewissen zu beruhigen? … Und wenn nicht, sind letztendlich die Juden daran schuld?

Was sagt die christliche Glaubenslehre dazu, die moralische Hüterin abendländischer Kultur?

Sollte es Deutschen christlicher Prägung besser gehen als seinen Juden? Es wäre doch nur recht und billig, Deutschland teilte die Schmerzen der Menschen, denen es die Familien mordete. Darum geht es doch wohl auch entscheidend in der christlichen Glaubenslehre - das Mittragen des Schmerzes?

Doch da befinde ich mich bereits in der nächsten Problematik: die christliche Glaubenslehre, die sich einem Juden kaum zu erschließen vermag: Nimmt der Christos oder Christus oder Sohn Gottes oder Jesus oder Messias nun die Schuld der Welt (hebr.: "haOlam") auf sich und entschuldet somit den Menschen (hebr.: "Adam") auf immer und ewig oder macht sich der Mensch immer wieder schuldig und muss die Schuld abtragen, die der Gekreuzigte bereits auf sich genommen hat? Weder Geistliche noch Theologen haben mir diese Frage beantworten können.

Der Tanach, der von den Christen in Selbstüberschätzung schlecht und falsch übersetzt, als "Altes Testament" etikettiert wurde, wiegt (als adäquates Vergleichsmittel in der Buber-Rosenzweig-Übersetzung) insgesamt 1750 Gramm; das Neue Testament hingegen nur 537 Gramm und dies bei gleicher Papierstärke.

In Anbetracht des Wahrhaftigkeitsanspruches der christlichen Religion, die mit dem "Neuen Testament" das alte zu überwinden, also abzulösen meint, verblüfft immer wieder ihre naive Arroganz, mit der sie das Fremde als das Eigene verkauft und zur Anfütterung des mageren Eigenen sich des wohlgenährten Fremden bedient. (Die Werke der Evolutionstheoretiker und -forscher füllen Bibliotheken; die Schrift der Zeugen Jehovas, mit denen diese einen Gegenbeweis antreten, ist so dünn wie ein Supermarkt-Prospekt.)

Manchmal bedaure ich meine materiell geprägte Skepsis, aber mich beeindrucken 1750 Gramm mehr als 537 Gramm.

Vielleicht fehlt aber der christlichen Religion gerade diese Skepsis? Vielleicht hätten ein paar ungläubige "Thomasse" in der Kirchengeschichte Wunder bewirkt und die Entwicklung des Christentums menschlicher und der Welt verträglicher gestaltet. Doch die ungläubigen "Thomasse" wurden stets zu Tode gefoltert, ertränkt, erschlagen, verbrannt. Blut klebt an den Händen der christlichen Kirchen bis ins 20. Jahrhundert hinein. Das ist der Menschheit bekannt.

In der Tat, ein Jude muss unweigerlich Probleme mit dem Christentum haben, denn er hat seit dessen Existenz die Intoleranz und Grausamkeit der Kirchen erleben und am eigenen Leibe erleiden müssen. Friedlich sind die Kirchen erst, seitdem sie ihre politische Macht verloren haben. Was also garantiert den Juden die Friedfertigkeit Iglesias?

Auch hier begegnen wir den Wort- und Schriftwiederholungen, die überzeugen sollen; und sie überzeugen - nur nicht die Juden. Die stehen naturgemäß außerhalb christlicher Wertigkeiten und denken mit Schrecken an die Menschenmassen, die dem flammenden Richtschwert der heiligen Mutter Kirche zum Opfer fallen mussten: Albigenser, die zahlreichen Völker des amerikanischen Kontinents, Hexen und Hexer und - Juden.

Angeblich sucht die Kirche den Dialog mit den Juden.
Weshalb? Was gibt es zu dialogisieren?

Will sie ihnen nachträglich die Notwendigkeit des Reichskonkordats begreiflich machen?
Will sie ihnen von der humanitären Verpflichtung dozieren, der gemäß sie auf der "Rattenlinie" NS-Mörder durch den Vatikan schleuste und mit frischen Pässen und einem fragwürdigen Segen versehen ins südamerikanische Paradies schickte?

Worüber sollten Juden mit Christen also reden?

Wir schreiben das christliche Jahr 2006. An 29 deutschen Gotteshäusern prangen immer noch sogenannte "Judensäue", steinerne Reliefs, die bildhaft darstellen, wie Juden an den Zitzen eines Schweins saugen und ihm den Anus küssen. Lediglich an der Stadtkirche von Wittenberg befindet sich eine Informationstafel, auf der sich die Kirche von dieser antisemitischen Geschmacklosigkeit distanziert, die der segensreiche Denkmalsschutz vor der Vernichtung schützt.

Welcher christlich-jüdische Dialog ist also eigentlich gemeint?

Anders gefragt: was wollen die christlichen Kirchen von den Juden? Absolution für die Mordhetze, die sie gegen sie betrieben haben? Und wonach begehren ihre deutschen Mitbürger? Nach Absolution für den staatlich angeordneten Massenmord? Fühlen sie sich nach einer Absolution ruhiger - beruhigter?

Wo war die Abscheu?

Weder das deutsche Tätervolk von 1945 noch seine nationalsozialistisch missbrauchte Jugend der HJ und des BDM wandten sich voll Abscheu gegen die toten oder gefangenen oder geflohenen Staatsverbrecher, um ihnen vor aller Welt entgegenzuschleudern:
"Verflucht sollt ihr sein in alle Ewigkeit, dass es euch gelingen mochte, unsere niedersten Instinkte zu wecken, dass wir zu Räubern und Mördern, Hehlern, Betrügern, Verrätern, Feiglingen, Denunzianten und Duckmäusern wurden! Verflucht sollt ihr sein in alle Ewigkeit, ihr, die ihr uns zum Aussatz dieser Welt machtet! Verflucht - ihr, die ihr den Schatten der Schuld auf unsere Kinder und Kindeskinder werft! Hitler, Himmler, Heydrich, Goebbels, Göhring, Hess, von Ribbentrop, Deutsche Bank, Raeder, von Schirach, Krupp, Sauckel, IG Farben…!"

Nein, niemals war dieser Fluch zu hören, der Aufschluss hätte geben können über die moralische Position des deutschen Volkes und die Ernsthaftigkeit des Credos: "So etwas darf sich niemals wiederholen!"
Ist dieser Fluch zu emotional und pathetisch für einen Deutschen, der vielleicht nur das Pathos des Bösen ernst zu nehmen vermag?

"So-etwas-darf-sich-niemals-wiederholen!"  Wie mag dieser Satz in eines Juden Ohren klingen?

60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und Deutschlands bedingungsloser Kapitulation überschütteten die deutschen TV-Medien ihre Zuschauer mit Dokumentarsendungen über das Leid der deutschen Zivilbevölkerung. Zeitzeugen berichteten über die "Stunde Null", diese herrliche deutsche Geschichtserfindung, die dem Volk suggerieren soll, mit dem Neuanfang sei die alte Schuld getilgt; als hätte die Geschichte selbst, als oberste ethische Instanz, eine Generalamnestie erlassen.
Diese Vorstellung besitzt schon religiöse Dimensionen: Das Alte Testament wird in Dresden, Hamburg und Köln überwunden. Die Stunde Null, das deutsche Golgatha, schafft ein Neues Testament, frei von Verpflichtung und Verantwortung.

So hatten es die Christen gern - so haben es die Deutschen gern.

Und was lernten die Deutschen durch ihr Golgatha: Die Aussagen der Zeitzeugen gleichen sich fast vollständig: Man sei erleichtert gewesen, vor den alliierten Bombern nicht mehr in den Keller flüchten zu müssen. Man sei über das Ende des Krieges erleichtert gewesen. Man sei froh gewesen, endlich der Verdunklungsverordnung nicht mehr Folge leisten zu müssen…

Nicht ein einziges Mal war zu vernehmen: "Wir waren froh, von der braunen Verbrecherbande befreit worden zu sein! Wir waren glücklich, endlich wieder unsere Meinung offen aussprechen zu dürfen! Wir waren außer uns vor Freude, nicht mehr von Nachbarn, Bekannten, Kollegen oder vom Blockwart bei der Gestapo denunziert werden zu können! Wir waren so erleichtert, wieder leben zu dürfen! Warum war dies nicht zu hören? Und vor allem: weshalb wunderte sich niemand, dass hiervon nichts zu hören war?

"Die Deutschen werden uns Auschwitz nie verzeihen!"
(Zwi Rix)

Die Deutschen werden den Juden erst verzeihen können, wenn sie sich selbst verziehen haben. Da sie es aber vorzogen, sich nicht anzuklagen, haben sie sich auch nichts zu verzeihen. Deshalb werden die Juden auch nie ihre Vergebung finden, außer sie begingen kollektiven Selbstmord oder ließen eine zweite, endgültige Schoah zu.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass nicht nur das "jüdische Volk", sondern ebenso das deutsche Volk durch die Schoah traumatisiert wurde. Doch im Gegensatz zu ersterem weigerte sich letzteres aus nachvollziehbaren Gründen, sein Trauma als ein solches anzuerkennen; wie ein Suchtkranker vermag es sich seine Sucht nicht einzugestehen.

Es wird oft von "Volkskrankheiten" gesprochen: "Volkskrankheit Nummer eins…" usw. Doch bisher haben weder Soziologen, noch Psychologen oder Historiker dem deutschen Volk offiziell ein Trauma attestiert. - Seltsam!

Versuchen wir eine möglichst nüchterne Darstellung der Problematik: Das Deutsche Volk hat in 12 Jahren Schrecken und Zerstörung über die Welt gebracht, die in der Geschichte einmalig sind und keine Entsprechung finden: Es trägt die Verantwortung für den Tod von schätzungsweise 60 Millionen Menschen, die weltweit in 5 Kriegsjahren ihr Leben lassen mussten. Es trägt die Verantwortung für den Mord an 6 Millionen jüdischen Menschen aus ganz Europa. Nach dem von ihm entfesselten Weltenbrand, der Katastrophe seines Scheiterns und seines Ausschlusses aus der Völkerfamilie (sic!), hätte es in letzter Konsequenz entweder Massenselbstmord begehen oder wahnsinnig werden müssen.

Anscheinend hat das Deutschland nach ’45 einen dritten schmerzfreien, aber fatalen Weg gesucht und gefunden: die viel zitierte Verdrängung; das heißt, den Weg in die Krankheit.

Ich muss an dieser Stelle (und zu meiner eigenen Überraschung) den Alliierten den Vorwurf machen, den Deutschen nötige therapeutische Hilfe vorenthalten zu haben.

Doch fehlte wohl einerseits das Mitleid, andererseits die Kenntnis der Problematik. Zudem benötigten die Siegermächte willige Söldner für den Kalten Krieg. So schenkten sie dem deutschen Volk nach ’45 als "Ersatzdroge" ein künstliches Selbstbewusstsein: Wirtschaftliche Infusionen ermöglichten einen Wiederaufbau, den die Deutschen in neuer Selbstüberschätzung glaubten, aus eigener Kraft bewältigt zu haben.

Die eigentliche Arztpflicht der Siegermächte lag in der Auflösung Deutschlands als Volkskörper und Nation. Die historisch-politischen und psychologischen Gründe hierfür waren zwingend: Die Auflösung des deutschen Volkes und seine Absorbierung durch andere Nationen (Frankreich, Polen, Dänemark etc.) hätte den ehemaligen Deutschen die Chance gegeben, die Unsinnigkeit ihres weltherrschaftlichen Anspruchs und die des Rassendünkels zu erkennen und zu überwinden. Ähnlich wie die Juden hätten sie erfahren, was es bedeutet (und wie groß der seelische Aufwand sein muss), sich, ohne garantierte Rechte, in Volksgemeinschaften zu integrieren, die sich aus ethnisch-moralischen Vorurteilen dieser Integrierung innerlich und bei jeder sich bietenden historischen Gelegenheit auch physisch widersetzen. Sie hätten gelernt, andere Kulturen zu respektieren und sich mit ihnen zu arrangieren. Hätte diese Therapie den ehemaligen Deutschen bei der Bewältigung ihres Traumas geholfen?
Ich glaube ja.

Der amerikanische "Morgenthau-Plan", die Auflösung Deutschlands in eine gigantische Agrarfläche, ging bereits in diese Richtung. Wie ich oben andeutete, hat Deutschlands Geschichte aus politischem Kalkül der Siegermächte (und nur aus diesem!) einen anderen Verlauf genommen. Die einst gefürchteten, nun verachteten Deutschen wurden vom kapitalistischen Westen sowie vom sozialistischen Osten als optionales "Kanonenfutter"  innerhalb einer militärischen Pufferzone funktionalisiert. Man darf hier auch ohne falsche Empörung das Verb "missbraucht" verwenden. Anstatt endlich die deutsche Sucht zum verantwortungslosen Gehorsam durch konsequenten "Entzug" zu eliminieren, verabreichten die Weltmächte den Deutschen eine weitere "Ersatzdroge": die unbedingte Wirtschafts- und militärische Bündnistreue. Dem jeweiligen System sklavisch ergeben, errangen die Deutschen einen Respekt, der sich durch ihren wirtschaftlichen Erfolg zu weltpolitischem Ansehen steigerte.

Dennoch: lieben tat man die Deutschen nicht.

Dieser Umstand störte den Verdrängungsmechanismus Deutschlands empfindlich. Es wollte in die Völkerfamilie zurück und geliebt werden (ohne einen adäquaten Preis dafür zahlen zu müssen) - ein verständliches Begehren. Was lag da näher, als den Gegenstand der eigenen Schande zu funktionalisieren, um sich wieder "vor Gott und den Menschen angenehm zu machen" (Lessing)? Indem Adenauer den jungen jüdischen Staat mit Geldmitteln und Material half und so rasch wie möglich diplomatische Beziehungen initiierte, sollte der Welt ein neues, menschenfreundliches Deutschland präsentiert werden. Die Rechnung ging auf und Deutschland gewann zum internationalen Ansehen tatsächlich internationales Wohlwollen.

Nun konnte es auf die Liebe der Völker verzichten.

Kuriert ist das Volk der Deutschen nicht. Es hat seine Krankheit auf seine Kinder und Kindeskinder übertragen. Der Antisemitismus und seine verkappte Erscheinungsform, der virulente Anti-Israelismus innerhalb der bundes-republikanischen Gesellschaft, beweisen die Existenz des unbewältigten Traumas, die uneingestandene Volkskrankheit.
Größere und kleinere Symptome sind unschwer wahrzunehmen:

Sobald ein peinlicher Ruck durch die deutsche Gesellschaft geht, weil ein Politiker sich wieder "unnötigerweise", also per Zu-Fall, im Ton vergriffen hat, indem er sich längst überwunden gewähnter antisemitischer Ressentiments bedient, wird sie schmerzlich an die verdrängte Krankheit erinnert. Dann geht ein Raunen durch die Republik: "Es muss doch einmal Schluss sein…!" - Mit der Krankheit? - Mit den Störenfrieden, die auf die Krankheit aufmerksam machen? - Mit den Juden? - Mit der Schuld kann nicht "Schluss sein".

Von Herzen?

Doch die Schuld ist so ungeheuerlich, dass die deutsche Gesellschaft sie bis heute nicht akzeptiert hat. Was würde aus ihr werden, wenn sie ehrliches Bedauern und echtes Mitleid zeigte?

Hat das deutsche Volk Angst davor, den Verstand zu verlieren, wenn es sich und der Welt eingesteht: "Ja, wir haben mehr als 6 Millionen Menschen in kalter Systematik ermordet, und nun lasst uns die Strafe antreten; und nun lasst uns bedauern; und nun lasst uns mitleiden!"

Die Alliierten haben die Deutschen nicht bestraft. Ebenso wenig haben die Deutschen zur heilsamen Selbstreinigung um ihre Strafe gebeten. Also ging ein ganzes Volk von Räubern, Mördern, Mitläufern und Schweigern straffrei aus. Doch ohne Strafe - keine Sühne. Und ohne Sühne - keine Gesundung des deutschen Volkes.

Wenn man die Deutschen betrachtet und das besondere Augenmerk auf die letzten 60 Jahre ihrer Geschichte lenkt, wird man feststellen, dass sie alles getan haben, um ihr Ansehen in der Welt zu fördern, ihren Charme allerdings nicht. Es fällt dem Deutschen schwer, liebenswert zu sein; das hört er nicht nur von Angehörigen fremder Nationen, er weiß es und wirft es sich selbst vor.

Dennoch folgt dieser scheinbaren Selbsterkenntnis nichts. Er kokettiert sogar mit diesem Mangel an Liebenswürdigkeit. Woher kommt aber diese Haltung? Ist das "Faustische", das dem Deutschen von jedem drittklassigen Fernsehmoderator angedichtet wird, nichts weiter als Selbstverachtung? Hören wir etwas genauer hin: Im Bundestag, in den Kneipen, in den Schulen oder am Arbeitsplatz ist immer wieder die Suggestivfrage zu vernehmen: "Weshalb dürfen wir nicht bekennen: Ich bin stolz ein Deutscher zu sein?"

Zwei Fragen drängen sich mir hierbei auf; erstens: Wer oder was verbietet Deutschen, ihren Nationalstolz zu verkünden (was sie ohnehin tun!); haben sie mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen oder verursachen ihnen derartige Äußerungen gesellschaftliche oder soziale Nachteile? - Nein.
Zweitens: Weshalb sehnen sich die Deutschen danach, und dies impliziert ja die klagende Frage, ihren Nationalstolz äußern zu dürfen anstelle ihres Patriotismus’?

Wären die Deutschen Patrioten, würden sie bekennen: "Ich liebe mein Deutschland!" Aber der Deutsche will sein Land nicht lieben, er will den Stolz bekunden, ein Deutscher zu sein.

Liebt der Deutsche, das was ihn geprägt hat, sein Kulturerbe, seine Tradition, das, was man das Deutsche nennen könnte? - Liebt der Deutsche das Deutsche?

Versuchen wir, so fair wie möglich zu analysieren:

Liebt der Deutsche seine Volksmusik? - Nein, er schämt sich ihrer - eine Haltung, die kein anderes mir bekanntes Volk teilt. "Der Mond ist aufgegangen.", "Dat du meen Levsteen bis", "Das Wandern ist des Müllers Lust" - fragt man Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, ja die Generation der Dreißigjährigen, ob ihnen diese Lieder bekannt sind, verneinen es die meisten von ihnen. Fragt man jene, denen das eine oder andere Volkslied vom Namen oder der Melodie her zumindest im Ansatz bekannt ist, ob sie sich diesem in irgendeiner Weise verbunden fühlen, erntet man blanken Hohn. Das Gros der Deutschen verachtet das deutsche Volkslied.

Der Deutsche singt es nicht, denn er verachtet es, obwohl er es nicht einmal kennt. Das ist bedenklich.

Nochmals muss ich auf die Ignoranz historischer Details innerhalb unserer Gesellschaft aufmerksam machen: Fragt man heute ein deutsches Schulkind, wo sich der deutsche Kaiserthron befindet, zuckt es mit den Schultern. Fragt man deutsche Erwachsene nach dem Aufbewahrungsplatz der kaiserlichen Reichsinsignien, bleiben einem die meisten von ihnen eine Antwort schuldig.

Fragt man deutsche Studenten nach mindestens drei Parteigrößen der NSDAP oder drei führenden Obergruppenleitern der SS oder drei bedeutenden Generalen der Deutschen Wehrmacht, beobachtet man dasselbe Phänomen. Das seien unwichtige Details, stupide Fakten, die nichts mit Geschichtsverständnis zu tun hätten, wird oft pariert. Dass sich jedoch aus den "unwichtigen Details", aus den "stupiden Fakten" die Politik gestaltet und die Geschichte nährt, wird als Gegenargument abgelehnt.
Erneut - welch gewaltige Selbstüberschätzung der deutschen Natur: Wir haben unser Geschichtswissen im Blut und bedürfen keiner Belehrung, schon gar nicht über den Holocaust!

Der Deutsche verfügt über zwei Aggregatzustände: die maßlose Selbstüberschätzung und die maßlose Selbstverachtung!

Er verachtet sogar seine eigene Sprache, überlagert sie bis zur Unkenntlichkeit mit Anglizismen.

Der Deutsche verfügt über eine der reichsten und flexibelsten Sprachen der Welt. Keine andere lässt sich so starke individuelle Eingriffe gefallen wie die deutsche! In keiner anderen lässt sich mit der Satzstellung so frei spielen und gestalten. Das reiche Vokabular ist wortmalerisch wie kein anderes: Leid, schmatzen, Sehnsucht, Weh, Liebe, lind, etc. Doch diese Vokabeln haben fremde Nationen nicht in ihren Sprachschatz aufgenommen. Die meisten Begriffe, die Einzug in die englische und französische Sprache hielten, waren kriegerischer Natur wie: Blitzkrieg und Ersatzkaffee.

Obwohl Deutschland die Welt mit seinen Goetheinstituten übersät hat, änderte sich nichts an den negativen Assoziationen, die sich anderen Nationen automatisch aufdrängen, wenn sie an Deutschland denken.

Weder vermochten wir etwas vergleichbar Angenehmes wie: Bobon, Charme, Restaurant oder Plaisir ins Ausland zu exportieren, lediglich "Blitzkrieg", "Ersatzkaffee" und, sozusagen als Entschärfung der Sprachattacke, das versöhnliche "Kindergarten".

Ist es nicht interessant, wie wenig die Deutschen sich um ihre Wirkung, die Phänomenologie ihrer Mentalität kümmern? Aber wie ich bereits weiter oben bemerkte: anscheinend will der Deutsche überhaupt nicht geliebt werden. Vielleicht gefällt es ihm weitaus mehr, gefürchtet zu werden! Oder er hat sich mit der Erkenntnis arrangiert: Etwas wie mich kann man nicht lieben.

Die Liebe bindet und verbindet; wenn der Deutsche allem Anschein nach seine Tradition und seine Kultur nicht liebt, bindet ihn dann ein ernstzunehmendes Gefühl an sein Vaterland?

Wie wir wissen, ist ein Mensch ohne Liebe, die er schenkt und die er empfängt, kein vollständiger Mensch. Wendet man diesen Satz auf ein Volk an, was Historiker, Soziologen und Philosophen gern tun, sollte uns die ganze Tragweite der deutschen Maladie bewusst werden!

Der Zweite Weltkrieg in Europa wurde 1945 durch die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reichs beendet, dem ein Waffenstillstand folgte. Bis heute existiert kein Friedensvertrag zwischen den Siegermächten und der Bundesrepublik Deutschland.

Weshalb?

Jede Bürgerin und jeder Bürger dieses Landes muss sich darüber im Klaren sein, dass die unvergleichliche Negierung aller Menschlichkeit durch das deutsche Volk die eigene, unwiderrufliche Ächtung zur Folge hatte. Realpolitisch spielt dies keine Rolle, nur im Gedächtnis der Völker.

Wären die Deutschen des Jahres 2006 in der Lage oder gewillt, sich aus der Perspektive anderer Nationen zu betrachten oder zumindest die Möglichkeit einer anderen Perspektive in Betracht zu ziehen, wäre dem deutschen Volk schon sehr geholfen.

Ein Detail:

1945 mochten amerikanische, französische, englische und sowjetische Offiziere die Ehrenbezeugungen der deutschen Kapitulations-Delegation weder erwidern noch gar die ihnen entgegen gestreckten Hände schütteln. Erstaunlich: welch erschütterndes Maß an teutonischer Naivität mochten die deutschen Offiziere dazu gebracht haben, anzunehmen, die Führung der alliierten Streitkräfte würde ihnen noch irgendwelche militärische Ehren erweisen!

60 Jahre nach dem Massenmord an Juden ganz Europas durch den deutschen Staat, unter Mithilfe großer Teile der deutschen Bevölkerung oder mit deren Billigung, geht es den Deutschen unverschämt gut. Um es mit anderen Worten zu sagen: Für ein Volk, das sich bewusst außerhalb der menschlichen Weltgemeinschaft stellte, hat es sich tüchtig gemausert.

Man kann alles mit anderen Worten sagen, das ist ja gerade das Fatale!

Allein: 6 Millionen Morde bleiben 6 Millionen Morde; die kann kein anständiger Mensch zerreden.

Der Deutsche liebt, mehr als die Ordnung, die Bequemlichkeit. Deshalb hat es, außer der nationalsozialistischen Revolution, keine andere wirkliche Revolution in seinem Land gegeben. Der Aufstand von 1848 war nicht mehr als eine verunglückte und verratene Bagatelle, ein kurzes halbherziges Aufbäumen der Deutschen Nation. Die Revolution von 1918 verdient nicht ihre Bezeichnung, war doch bereits im Vorfeld klar, dass die Monarchien der Achsenmächte abgewirtschaftet hatten. Dasselbe gilt übrigens für die so genannte "Friedliche Revolution"

der DDR: Das Sowjetimperium brach zusammen; sein Nachlassverwalter schenkte den Deutschen die Wiedervereinigung. Erst als sicher war, dass der russische Bär tödlich verwundet am Boden lag, wagten die deutschen Mäuse ihre Demonstrationstänzlein. Die Wiedervereinigung wurde uns Deutschen geschenkt, wie uns 1945 die Demokratie geschenkt wurde. Wir Deutschen haben uns nichts erkämpft. Das ist zwar ein bisschen peinlich, aber keine Schande. Dennoch ist es notwendig, bei den Tatsachen zu bleiben, wenn man ernsthaft aus der Geschichte lernen will.

Doch was lernen die deutschen Juden daraus?

Sollen sie sich etwa um die kranke deutsche Psyche mühen, so wie sie sich einst um die eigene Assimilierung gemüht haben? Sollen sie aus therapeutischen Gründen den spitzmäuligen Bruderkuss erwidern, in der Hoffnung, der christlich geprägte Deutsche öffne sich so der notwendigen Behandlung?

Der Verfasser dieser Zeilen, selbst ein deutscher Jude, glaubt, dass es unsinnig ist, dem Trinker seine Flasche fortzunehmen. Dem Trinker muss es so schlecht ergehen, dass er selbst die Entscheidung trifft, den Alkohol aus seinem Leben zu verbannen.

Also - warten wir.

hagalil.com 11-04-2006

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