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Middle East Roundtable /
Edition 11
Nach dem Wahlsieg der Hamas:
Wir haben das, was man braucht, um zu gewinnen
"Selbstverteidigung ist ein legitimes
Recht, wir werden mit dem Widerstand in einer Weise umgehen, die unserem
Volk dienlich ist." Interview
mit Ismail Haniyeh
[ENGLISH]
bitterlemons: Haben Sie erwartet, Ministerpräsident zu
werden? Haniyeh: Ich habe mir
vorgestellt, dass Hamas eines Tages am Ruder sein würde. Aber auf der
persönlichen Ebene habe ich nie an irgendeine Position oder einen Sitz
gedacht, das ist nicht Teil unserer Erziehung. Diese Position ist aber in
erster Linie ein Mandat vom Volk, dann eines von Hamas.
bitterlemons: Welche Hauptpunkte und Bedingungen waren in
dem Weisungsbrief enthalten, den Sie von Präsident Mahmoud Abbas erhalten
haben? Haniyeh: Der Brief
enthielt keinerlei Bedingungen. Präsident Abbas sprach von den Komponenten
seiner politischen Vision, jedoch ohne Bedingungen zu stellen. Die Regierung
berücksichtigt bei der Bildung ihrer politischen Plattform alle politischen
Fragen. Aber sie muss sich ebenso an die Vision halten, auf die die
Wahl-Plattform der Bewegung aufgebaut war. Im Moment sind wir dabei, nach
einer gemeinsamen Grundlage zu suchen.
bitterlemons: Was sind die Hauptbestandteile der
politischen Plattform der neuen Regierung?
Haniyeh: Ich möchte nicht auf Einzelheiten zur politischen
Plattform der Regierung eingehen, weil zurzeit Diskussionen mit anderen
Parteigruppen laufen. Ich kann aber sagen, dass die politische Plattform der
Regierung auf dem Wahlprogramm der Hamas aufgebaut ist. Die Formulierung
wird zum Schluss anders sein können, um andere politische Einstellungen zu
integrieren. bitterlemons:
Zu welchem Schluss sind Sie bei Ihren Diskussionen in Bezug auf eine
gemeinsame Regierung mit Fatah gekommen?
Haniyeh: Wir haben immer wieder wiederholt, dass wir eine
Regierung mit einer nationalen Koalition vorziehen würden, in der sich alle
Gruppen beteiligen, darin eingeschlossen unsere Brüder von der Fatah. Wir
bemühen uns darum mit unseren intensiven Diskussionen und Treffen mit allen.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat Fatah noch keine offizielle Antwort gegeben.
Alles, was über Fatahs Ablehnung, der Regierung beizutreten, gesagt wird,
ist Spekulation der Medien. Außerdem verzichtet der Revolutionsrat [der
Fatah] auf jede Entscheidung, bis das Ergebnis der Gespräche mit Hamas klar
ist. Wir sind an Fatahs Beteiligung interessiert, weil sie eine wichtige
politische Gruppe ist und eine lange Geschichte hat, auch weil sie Teil der
Palästinensischen Autonomiebehörde ist. Ich finde, dass auch nationale
Interessen eine Beteiligung notwendig machen.
bitterlemons: Was ist, wenn Fatah ablehnt, sich
anzuschließen? Haniyeh:
Wenn Fatah nicht mitmachen wird, werden wir uns an andere politische Gruppen
wenden. Unsere Diskussionen mit anderen Gruppen haben sich gut entwickelt.
Es gibt vorbereitende Übereinkünfte mit der PFLP, der DFLP, dem Unabhängigen
Palästinensischen Block und mit Badil und noch einigen Unabhängigen, der
Regierung beizutreten.
bitterlemons: Gibt es eine Möglichkeit, Persönlichkeiten aus der Fatah in
die Regierung einzubeziehen, wenn Fatah als Bewegung nicht beitreten möchte?
Haniyeh: Wir haben Fatah als politische Gruppe und als
offizielle Kapazität angesprochen, aber wir haben kein Problem damit, auch
andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
bitterlemons: Wie steht es mit den Sicherheitskräften?
Werden Sie auf Schwierigkeiten stoßen, sie zu kontrollieren, da die meisten
ihrer Mitglieder der Fatah angegliedert sind?
Haniyeh: Wie sind der Ansicht, dass die Sicherheitskräfte zum
Wohl des Volkes arbeiten müssen und nicht zum Wohl einer bestimmten Gruppe.
Sie sollten auch im Rahmen des Gesetzes arbeiten, so wird es keine Verstöße
geben, die der Ausführung dieser Dienste schaden würden. Ich bin
zuversichtlich, dass die Beziehung zwischen den Sicherheitskräften und der
Regierung gut sein wird, und dass sie reibungslos laufen wird.
bitterlemons: In diesem Zusammenhang gesehen, was für eine
Person möchten Sie für das Amt des Innenministers nominieren?
Haniyeh: Wir suchen eine Persönlichkeit, die in ihren
Beziehungen gut etabliert ist, und die für die Sicherheitskräfte kein
unbekanntes Gesicht ist.
bitterlemons: Wie wird die neue Regierung die Korruption bekämpfen?
Haniyeh: Lassen Sie mich hier sagen, dass die weitere
Verfolgung der Korruptionsakten von verschiedenen Faktoren abhängig ist:
Zuerst müssen Gerichtswesen und Gesetz befolgt werden. Zweitens brauchen wir
einen graduellen Reformprozess. Und drittens werden wir keinerlei Schritte
unternehmen, die Institutionen der PA durcheinander bringen werden. Bei
unserem letzten Treffen bestätigte Präsident Abbas, dass er dem
Justizminister weiterhin Akten übergeben werde. Als Regierung werden wir uns
dem Interesse des Volkes entsprechend mit den Akten befassen. Eine der
Hauptprioritäten der Regierung ist es, das palästinensische Haus in Ordnung
zu bringen. Wir möchten den Respekt vor dem Gesetz und dem Gerichtswesen
wieder herstellen. Das sind wichtige Punkte, aber sie erfordern viel Geduld.
bitterlemons: Wie wird die Hamas-Regierung mit irgend
einer bewaffneten Gruppe umgehen, die Ausländer entführt oder sonstige Taten
verübt, die Chaos in der Sicherheitslage herbeiführen?
Haniyeh: Es gibt unterschiedliche Aspekte zur Frage der
Sicherheit, dazu gehören Familienfehden und die Entführung von Ausländern.
Diese Fragen müssen unabhängig von politischen Zugehörigkeiten behandelt
werden. bitterlemons: Aber
was würde passieren, wenn es nach der Machtübernahme von Hamas zu einer
Entführung käme? Haniyeh:
Die Regierung wird bei der Schaffung von Sicherheit ihre Pflicht tun. Wir
werden weise handeln.
bitterlemons: Was ist Ihre Antwort auf Berichte, dass die USA und westliche
Parteien darauf hinarbeiten, eine von der Hamas geführten Regierung zu
unterminieren? Haniyeh:
Es besteht kein Zweifel, dass die Wahlen im Allgemeinen, und der Sieg der
Hamas im Besonderen diese Parteien aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Das
hat sie dazu geführt, widersprüchliche Positionen einzunehmen, nachdem sie
ihre Orientierung beim Umgang mit dem Wahlergebnis verloren hatten. Es gibt
auch Medien gesteuerte Anstrengungen, unsere Zuständigkeiten einzuengen und
Hindernisse in unseren Weg zu legen, dadurch dass unsere politische
Plattform heruntergemacht wird. Aber wir haben das, was nötig ist, um
erfolgreich zu sein, und wir werden ein gutes Regierungs- und
Verwaltungsmodell anbieten. Ich glaube nicht, dass Präsident Abbas irgend
welche Vorschläge erwägt, um den Zuständigkeitsbereich der Regierung zu
schmälern. Dies hat er mir bei unserem letzten Treffen gesagt, bei dem er
bestätigte, dass er der Regierung alle Zuständigkeiten anbieten wird, die er
auch schon angeboten hatte, als er nach Präsident Yasser Arafat Präsident
geworden ist. Es gibt auch Kontakte zu verschiedenen EU-Staaten und anderen,
darunter auch Japan, so wie auch Signale von ihnen, die das Engagement für
die Unterstützung des palästinensische Volkes bestätigen. Nach der
Regierungsbildung wird die Beschaffenheit der regionalen und internationalen
Beziehungen deutlich werden und die Leistung der Regierung in den
verschiedenen Aspekten des palästinensischen Alltags klar werden.
Diejenigen, die die Hamas-Regierung abgelehnt haben, werden sich in einer
neuen Realität wiederfinden, mit der sie in Zukunft werden umgehen müssen.
Trotz allem, was in der Presse über Drohungen [gegen diese Regierung] gesagt
wird, bin ich noch optimistisch.
bitterlemons: Was hat Hamas durch ihren Russland-Besuch
erreicht? Haniyeh: Die
Ergebnisse des Besuches in Russland waren positiv und wir haben unsere
Ziele, die internationale Arena zu betreten, über ein wichtiges Land, das
Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist, erreicht. Russland ist ja auch ein
Mitglied des Quartetts und hat eine lange Geschichte in der Region. Wir
haben ihnen zugehört und sie haben uns zugehört und unsere gegenseitigen
Einschätzungen waren positiv. Wir wurden von ihrem Botschafter in Syrien
benachrichtigt, dass die russische Führung mit dem Besuch zufrieden war.
bitterlemons: Hamas hält daran fest, dass sie den
bewaffneten Widerstand nicht aufgeben wird. Wie wird Hamas das Gleichgewicht
halten zwischen dieser Versicherung und ihrer Verantwortung als Regierung?
Haniyeh: Das zugrunde liegende Problem bleibt nach wie vor
die israelische Besatzung von palästinensischem Land und die andauernden
israelischen Angriffe gegen unser Volk. Während der [derzeitigen] Periode
der Ruhe haben die [palästinensische] politischen Gruppen bewiesen, dass
nicht sie das Problem waren, und sie waren gewillt, in dieser Form
weiterzuarbeiten. Zudem ist Selbstverteidigung ein legitimes Recht, wir
werden mit dem Widerstand in einer Weise umgehen, die unserem Volk dienlich
ist. Das ist unsere Verantwortung als Regierung.
bitterlemons: Neulich wurde von offizieller israelischer
Seite gesagt, Sie seien gegen Tötung nicht immun. Wie lautet Ihre Antwort
darauf? Haniyeh: Diese
Drohungen sind nichts Neues und sie sind Teil der allgemeinen israelischen
Eskalation sowohl gegen unser Volk als auch gegen öffentliche Figuren. Sie
sind auch Teil der gesamten Atmosphäre, die die israelischen Wahlen umgibt.
Solch eine Eskalation und solche Drohungen sind immer für israelische
Wahlziele benutzt worden. Ich habe keine Angst und ich glaube daran, dass
Gott die Zeit eines jeden Menschen bestimmt.
Ismail Haniyeh ist der designierte palästinensische
Ministerpräsident, er stand an der Spitze der Wahlliste der Hamas.
Quelle: bitterlemons.org, 13. März 2006
Übers. K. Badr
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hagalil.com 02-04-2006 |