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Antisemitismus in der deutschen Linken:
Ein Blick in die Frühzeit der APO

Von Martin Kloke
Erschienen in: Tribüne - Zeitschrift zum Verständnis des Judentums v. 31.03.2006

"Linker Antisemitismus ist unmöglich" – für diese These legte sich der Schriftsteller Gerhard Zwerenz noch 1976 ohne Wenn und Aber ins Zeug. Zehn Jahre später mochte der streitbare Schriftsteller seine Augen nicht mehr davor verschließen, dass linksradikale und grün-alternative Aktivisten den Staat Israel mit geradezu libidinösem Eifer zu dämonisieren und zu delegitimieren versuchten: "Die Kinder der Täter neiden den Kindern der Opfer die weiße Weste" – so erklärte sich der späte Zwerenz die krude Mischung aus antiimperialistischen Gewissheiten und antisemitischen Ressentiments ausgerechnet in linksdeutschen Milieus.

Wissen wir heute mehr über die Hintergründe antizionistischer Obsessionen, von denen sich weite Teile der 68er-Generation haben anstecken lassen? Lässt sich der Antisemitismusverdacht nicht doch auf die kleine militante Subkultur linksradikaler "Stadtguerillas" beschränken (so Wolfgang Kraushaar), die mit ihren Aktionen die deutsche Linke von ihrem "Judenknax" (Dieter Kunzelmann) befreien wollte? Waren und sind gelegentliche Anschläge auf jüdische bzw. israelische Ziele womöglich nichts anderes als die "ultimative Provokation" einer selbsternannten "postsurrealistischen Avantgarde" (so Aribert Reimann)? Beruht die Aufregung um die "Bombe im jüdischen Gemeindehaus" auf einem gigantischen Missverständnis, das es endlich aufzulösen gilt?

Weit gefehlt: Sie, die seit den späten 60er Jahren ihrem antizionistisch verbrämten Judenhass freien Lauf ließen – sei es mit ideologischen oder militanten Mitteln – wussten, was sie taten. Dass inzwischen der eine oder die andere von Gewissensbissen gepeinigt wird, ist die späte Frucht humaner Regungen, die nicht laut genug gewürdigt werden kann. Doch wird dieser therapeutische Prozess immer wieder blockiert durch die Projektions- und Entlastungsversuche jener "Zeitzeugen", die sich im Walser’schen Gestus ("zitternd vor Kühnheit") über die "hysterische Identifikation mit den Ermordeten" echauffieren und das "Recht auf Antisemitismus" herbei zu schreiben versuchen (so Christian Schneider in der taz, 19.11.2005).

Abwehrmechanismen gegen die Entzauberung der eigenen politischen Biografie sind mental verständlich, doch verstellen sie den Blick auf die Realitäten. So fällt auf, dass bis heute nicht wenige Linke in die Vorstellung vernarrt sind, der moderne Judenhass begänne an der Rampe von Auschwitz oder – wenn es hochkommt – im Bombenhagel einer antizionistischen Stadtguerilla. Alles, was sich im ressentimentgeladenen Vorfeld des Vernichtungsantisemitismus abspielt, wird klein geredet, getreu dem zynischen Bonmot: "Antisemitismus ist, wenn man die Juden noch weniger mag als es normal ist.” Selbst der Politologe Wolfgang Kraushaar, dem mit seiner verdienstvollen Fallstudie über die linksradikalen Drahtzieher des missglückten Anschlags von 1969 auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin Anerkennung zu zollen ist, vertritt eine derartige Engführung des Antisemitismusbegriffs: Die Tatsache, dass Bombenleger Albert Fichter bald nach seiner Tat und "H. B." (Name nicht bekannt, die Red.) bereits bei der Vorbereitung eines Anschlags auf einen jüdischen Kindergarten von Gewissensbissen geplagt wurden, sind für Kraushaar allen Ernstes Belege dafür, die 68er als "Bewegung" weitgehend von antisemitischen Impulsen freisprechen zu können (vgl. taz, 12.11.2005).

Der von autobiografischen Exkulpationsversuchen ungetrübte Blick in die frühen nahostpolitischen Gehversuche der "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) fördert indes ein erstaunlich klares Gesamtbild zutage: Noch Anfang Juni 1967, als sich Israel der Eskalationsstrategie der arabischen Anrainer-Staaten durch einen Präventivschlag zu erwehren suchte, beteiligten sich auch linke Strömungen an Solidaritätsaktionen. Unter dem Eindruck einer monströsen antiisraelischen Rhetorik der arabischen Kriegspropaganda schien es, als falle der deutschen Linken eine besondere moralische Verantwortung für die Existenz des jüdischen Staates zu. Doch Israel behauptete sich aus eigener Kraft – gegen eine quantitative Übermacht arabischer Armeen, die von der Sowjetunion ausgerüstet worden waren. Der bedrängte "David" schien sich binnen weniger Tage zu einem monströsen "Goliath" verwandelt zu haben. Israel war nun endgültig ein Teil des Westens geworden, psychologisch unterstützt durch die eruptive Israel-Begeisterung bürgerlich-konservativer Kreise.

Vor diesem Hintergrund schlussfolgerten viele Anhänger der aufkommenden Studentenbewegung: "Wenn Springer für Israel ist, können wir nur dagegen sein". Der einst als progressiv begriffene jüdische Pionierstaat wurde in öffentlichen Erklärungen bald nur noch als "Brückenkopf des US-Imperialismus" in Arabien wahrgenommen.

Der Blick auf interne Meinungs- und Gefühlsäußerungen zeigt, dass die Israelfeindliche Wende von Anbeginn auch von einem Bedürfnis nach Entsorgung der deutschen Vergangenheit begleitet war. Das später unter Helmut Kohl popularisierte Diktum von der "Gnade der späten Geburt" tauchte zum ersten Mal ausgerechnet im Kontext der Neuen Linken auf: Am 8. Juni 1967 schrieb APO-Aktivist Eberhard Sommer an Günter Grass, der sich an Solidaritätsaktionen zugunsten des bedrängten Israels beteiligt hatte: "Ich bin kein Antisemit. Ich habe aber keine besondere moralische Verpflichtung gegenüber Israel (...) Sie können nicht die Folgen Ihrer eigenen schuldhaften Verstrickung auf uns junge Menschen übertragen." Diese frühe Schlussstrich-Mentalität sollte weit über die APO hinaus fragwürdige Nachahmer finden – nicht zufällig gehören obsessive Vergleiche der Politik Israels mit den Nazis bis heute zum Standardrepertoire jener teils linken, teils rechten "Israelkritiker", die nach moralischer Kompensation für die NS-Verbrechen gieren.

Im September 1967 gehörte der "Sozialistische Deutsche Studentenverband" (SDS) als wichtigste organisierte Strömung der APO zu den ersten Organisationen, die einen unerbittlich antizionistischen Kurswechsel vorgenommen hatten. Der linksradikale Verband, der zu dieser Zeit sowohl traditionalistische (Moskauorientierte) als auch antiautoritäre und libertäre Strömungen in sich vereinte, übernahm eine aggressiv antiisraelische Diktion, indem er Israels Existenzrecht "als zionistisches Staatsgebilde" verneinte. In einem "Material" der 22. SDS-Delegiertenkonferenz" jener Tage ist zu lesen: "Zionistische Kolonisierung Palästinas hieß und heißt bis heute: Vertreibung und Unterdrückung der dort lebenden eingeborenen arabischen Bevölkerung durch eine privilegierte Siedlerschicht."

In der Folgezeit richteten die Matadoren der studentischen Linken ihr nahostpolitisches Interesse immer stärker auf die Araber Palästinas. Gleichzeitig präsentierte sich die palästinensische Dachorganisation PLO mit der von Yassir Arafat angeführten Al Fatah als Teil einer globalen sozialrevolutionären Befreiungsbewegung. Sie versah ihren antizionistischen Kampf mit einer imperialismustheoretischen Legitimation. Die Weigerung der PLO, das Heimat- und Selbstbestimmungsrecht der jüdisch-israelischen Nation auch nur ansatzweise anzuerkennen, tat ihrer mythisch verklärten Aura keinen Abbruch. Linke Publizisten begannen ein Palästinenserbild zu zeichnen, das sich nahtlos mit den heroischen Selbstdarstellungen palästinensischer Kampforganisationen deckte. Der Schulterschluss zwischen linksdeutschen Studenten und in der Bundesrepublik lebenden arabischen Fatah-Anhängern entwickelte sich 1969 zu einem zentralen Kennzeichen internationaler Solidarität. Die Israelfeindschaft der Neuen Linken steigerte sich zur antizionistischen Weltanschauung.

Ende Juli 1969 reiste ein knappes Dutzend führender SDS-Mitglieder mit weiteren internationalen Teilnehmern in das haschemitische Königreich Jordanien. Die linksdeutschen Revolutionsromantiker loteten Möglichkeiten einer engeren Kooperation zwischen der antizionistischen Neuen Linken und den palästinensischen Organisationen aus. Die Idee einer anschließenden Erkundungsreise nach Israel zwecks Überprüfung des eigenen Standpunkts hielten die Besucher für völlig abwegig: "Nach Israel fahren wir erst, wenn es sozialistisch geworden ist", ließ SDS-Bundesvorstandsmitglied Hans-Jürgen Krahl verlauten. Kursierende Gerüchte über die Aufstellung Israelfeindlicher internationaler Brigaden durch die Al Fatah – unter Einschluss deutscher Aktivisten – ließ der SDS erst Mitte August 1969 dementieren. Gleichwohl blieb das Konzept des antizionistischen "Volksbefreiungskrieges" ein Faszinosum und nährte die antiimperialistischen Sehnsüchte der linksdeutschen Revolutionsromantiker. Unkommentiert übersetzte und veröffentlichte der SDS zeitweise die triumphalistischen Fatah-"Militärkommuniques" zu "erfolgreichen" Terroraktionen in Israel.

Handlungsorientierter als die verkopften SDS-"Außenpolitiker" mit ihren agitatorischen Sandkastenspielen verhielten sich die Angehörigen der linksradikalen Stadtguerilla: Im Oktober 1969 reisten fünf Aktivisten der "Tupamaros Westberlin" um Dieter Kunzelmann in ein palästinensisches Ausbildungslager in Jordanien, durchliefen eine paramilitärische "Schulung" und begegneten mehrfach u. a. Yassir Arafat. Mit "dem totalen Willen zu kämpfen sind die Leute dann aus Palästina zurückgekommen", erinnert sich Michael "Bommi" Baumann, einer der ersten Szene-Aussteiger. Ideologisch und waffentechnisch neu gerüstet organisierten die Rückkehrer ausgerechnet am 9. November 1969 den Anschlag auf die jüdische Gemeinde zu West-Berlin – während einer Gedenkfeier zum Jahrestag der Reichspogromnacht.

An einer PLO-Konferenz in Algier im Dezember 1969 nahmen zahlreiche deutsche Linke teil, darunter der damalige SDS-Vorsitzende Udo Knapp, der heutige Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sowie Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer. Auch wenn das Erinnerungsvermögen einiger Teilnehmer heute getrübt zu sein scheint, gilt als sicher, dass in den martialischen Reden von Arafat und anderen PLO-Funktionären der "Endsieg" über Israel beschworen und eine Atmosphäre der Gewalt verbreitet wurde.

Längst mochten die SDS-Aktivisten nicht mehr an die historischen Voraussetzungen des Zionismus – seine Amalgamierung mit der jüdischen Leidensgeschichte in Deutschland und Europa – erinnert werden. Flankiert von wohlfeilen antiimperialistischen Erklärungsmustern, vertrat der SDS bis zu seiner Selbstauflösung im Jahre 1970 eine Politik der revolutionären Unschuld, in der unter antizionistischen Vorzeichen auch Fragmente eines linken Antisemitismus virulent wurden. Als der linksliberale israelische Außenminister Abba Eban im Februar 1970 die Bundesrepublik bereiste, ließ der Frankfurter SDS gemeinsam mit anderen antizionistischen Gruppierungen verlautbaren: "Der Besuch Abba Ebans, der als Vertreter eines rassistischen Staates in die Bundesrepublik reist, muss zu einer Demonstration und zum Protest gegen den zionistischen, ökonomisch und politisch parasitären Staat Israel und seine imperialistische Funktion im Nahen Osten werden [...]. Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen Staatsgebilde Israel." Kein Geringerer als Wolfgang Kraushaar war in dieser Zeit (von 1968 bis 1970) Mitglied des Frankfurter SDS und danach (1974/75) AStA-Vorsitzender. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob sein hilfloser Versuch, "Grenzmarkierungen" zu ziehen, um den SDS im Besonderen und die APO als Ganzes vor dem Verdacht des Antisemitismus in Schutz zu nehmen, nicht auch persönlichen Motiven geschuldet ist.

Es war die straff organisierte und professionalisierte "Rote Armee Fraktion" (RAF), die im Frühsommer 1970 jene laienhaften militant-antizionistischen Fantasien der West-Berliner Anarcho-Szene in blutige Taten verwandelte: Zwei Monate lang ließen sich mehr als zwanzig RAF-Mitglieder – darunter Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Horst Mahler – in einem Fatah-Ausbildungslager von palästinensischen Kämpfern unterweisen, bevor sie ihren mörderischen Feldzug gegen das bundesdeutsche "Schweinesystem" entfesselten. Noch in der Haft begrüßten Ulrike Meinhof und Horst Mahler den Anschlag des "Schwarzen September" auf die israelische Olympia-Mannschaft in München 1972 als "mutiges Kommando [...] gegen zionistische Soldaten, die in München als Sportler auftraten." Gelegentlich taucht in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob auch Otto Schily, der in den siebziger Jahren regen Umgang mit der linksradikalen Szene pflegte, zeitweise dem "internationalistisch camouflierten Antisemitismus der Neuen Linken" erlegen sei – etwa in seiner Funktion als RAF-Anwalt. Doch selbst Schilys kritischer Biograf Stefan Reinecke kommt nicht um das Fazit herum: "Schily hat ihn [den linken Antisemitismus, MK] nicht geteilt, und er hat sich dafür nicht sonderlich interessiert. Er ist ihm nicht aufgefallen. Die Achtundsechziger, sagt er heute, ’waren für mich Antifaschisten. Vielleicht hat man manches damals nicht so scharf gesehen wie heute.’"

Zu Zentren deutscher "Palästina-Solidarität" avancierten in den 70er Jahren Universitätsstädte, in denen die neulinke Konkursmasse des SDS zum Sprachrohr des organisierten palästinensischen "Widerstandes" wurde: Lauthals verdammten radikalisierte Aktivisten den "faschistischen Aggressorstaat Israel" und verbreiteten unwidersprochen offenkundig antisemitisches Gedankengut. Das Bonner Palästinakomitee suggerierte in seinen Statuten die ominöse Existenz eines "jüdischen Kapitals"; Berliner Maoisten verfassten ein Flugblatt gegen "US-Imperialismus und Weltzionismus"; die Leitung des Kommunistischen Bundes rief zum Kampf gegen den "internationalen Zionismus" auf.

Im Sommer 1976 brachte ein deutsch-palästinensisches Kommando aus Mitgliedern der "Revolutionären Zellen", der "Bewegung 2. Juni" und der "Popular Front for the Liberation of Palestine" ein französisches Passagierflugzeug in ihre Gewalt und dirigierte die Maschine nach Entebbe (Uganda) um. Der Deutsche Wilfried Böse organisierte die räumliche Trennung der jüdischen von den nichtjüdischen Passagieren. Nicht zuletzt dieser Höhepunkt antisemitischer Gewaltpraxis begann die antizionistische Selbstgewissheit der neulinken Palästina-Solidarität massiv in Frage zu stellen. Der Schock über Affinitäten zwischen rechtsgerichteten und linksradikalen Ressentiments war so tief, dass er das Ende des antizionistischen Meinungsmonopols in der radikalen Linken einläutete.

Im Spiegel von Entebbe realisierten führende Anhänger der Neuen Linken, dass der Kampf gegen Unrecht auch monströse Züge annehmen kann. Einige erkannten, dass ihr Antizionismus eine Platzhalter-Funktion für den gesellschaftsunfähigen Antisemitismus eingenommen hatte. Als selbst die PLO, um ihr ramponiertes Ansehen aufzubessern, ihren strategischen Schwerpunkt auf politisch-diplomatische Initiativen verlegte, schien eine grundsätzliche Neu-Justierung linker Solidaritätsprinzipien angesagt.

Die deutsche Nahost-Debatte spitzte sich noch einmal zu, als die israelische Armee im Sommer 1982 in den Libanon einmarschierte, um dort befindliche PLO-Basen zu zerstören, die Teile des libanesischen Staates fest im Griff hatten. In seltener Einmütigkeit wurde Israel des "Völkermords" an den Palästinensern bezichtigt. Linke Publizisten erlagen der Faszination begrifflicher Tabubrüche; triumphierend witterten sie die Gelegenheit, Antifaschismus und Antisemitismus miteinander zu versöhnen. Auch Journalisten der taz beteiligten sich an jener historisch-psychologischen Entlastungsoffensive, bei der die Palästinenser als die "neuen Juden" bezeichnet und die israelischen Invasoren mit den Nazis verglichen wurden. Die gezielte Vermischung historischer Ebenen gipfelte im Vorwurf des "umgekehrte[n] Holocaust[s]" und einer "Endlösung der Palästinenserfrage".

Noch auf dem Höhepunkt dieser verbalen Exzesse erhoben einige Linke Einspruch: gegen den "Erlösungsantisemitismus" und den Versuch, die deutsche Geschichte auf dem Rücken ihrer Opfer zu bewältigen. Der Israelpolitische Schlagabtausch nahm zeitweise eine Intensität an, die den wirklichen Krieg im Libanon in den Hintergrund treten ließ. Wolfgang Pohrt stellte lakonisch fest: "Unter die Völkermorde subsumiert, kann der Libanonkrieg nur als Kavaliersdelikt betrachtet werden [...]. Kein Grund zur Annahme, die Palästinenser würden sich, wenn sie Erfolg hätten, anders verhalten als die Israelis.". Etwa zeitgleich mit jüdischen Linken appellierte Joschka Fischer an seine grünen Mitstreiter, die nahöstlichen "Realitäten" zur Kenntnis zu nehmen und von "blinde(r) Solidarität" mit den Palästinensern Abstand zu nehmen.

In den späten 80er Jahren erzeugte das unausgegorene Nahost-Engagement von Teilen der links-alternativen Szene zunehmend Unbehagen. Insbesondere die Grünen wurden von kathartischen Zerreißproben erschüttert und begannen sich für ausgewogenere Israel-Wahrnehmungen zu öffnen. Selbst in "autonomen" Kreisen wurde die fanatisierte Palästina-Solidarität hier und da obsolet. Gelähmt von den weltpolitischen Veränderungen begann eine orientierungslos gewordene Linke zur Subkultur zu werden – mit Symptomen der Versektung. So nehmen seit 1991 "antideutsche" Zirkel die ideologische Verunsicherung zum Anlass, sich Israelpolitisch neu zu erfinden und eine eifernde "Solidarität" mit den Maximalpositionen der israelischen Rechten zu propagieren.

Die deutsche Geschichte hat gerade die Grünen immer wieder eingeholt – erinnert sei nur an das Israelpolitische Damaskuserlebnis von Otto Schily und Waltraud Schoppe 1987 bei einer Begegnung mit dem Siedler Elyakim Haetzni in der Wüste von Judäa: "Warum siedeln Sie hier?", fragte Waltraud Schoppe – die Antwort ist ein Wutausbruch. "Was wollt ihr Deutschen hier? Wir haben bei euch gesiedelt, und ihr habt uns in die Gaskammern geschickt. Jetzt kommt ihr und fragt, warum wir hier siedeln." Schily und Schoppe lernen in dieser Begegnung, dass Deutsche die Letzten sind, die die Legitimität von Haetznis Perspektive bestreiten können – auch wenn sich der radikale Siedler politisch "leider auf einem Irrweg" befinde. So ist es nur folgerichtig, dass der zur Sozialdemokratie übergewechselte Schily bei seinem Israelbesuch im September 2004 noch weniger diplomatisch als sein Amtskollege Fischer die im Bau befindliche Sperranlage als ein geeignetes Mittel pries, die israelische Bevölkerung vor Attentaten zu schützen.

"Die Juden sind unser Unglück!”, war die Überzeugung des nationalliberalen Historikers Heinrich von Treitschke im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. "Der Staat Israel ist das Problem!”, hören und lesen wir von jenen linken Erben Treitschkes, die den politischen Antizionismus in Deutschland bis heute goutieren. Die jüngste Form dieses "ehrbaren Antisemitismus" (Jean Améry) geriert sich ausgesprochen "modern": Innerhalb und außerhalb von Attac nehmen globalisierungskritische Aktivisten Israel bzw. "die Juden" als die Verkörperung abstrakter (umhervagabundierender) Kapitalflüsse wahr – und machen sie für zunehmende soziale Verwerfungen verantwortlich. Es wird sich in Zeiten des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs im alten Europa noch zeigen müssen, ob die deutsche Linke aus ihren quälenden Selbstverständigungsdebatten der Vergangenheit gelernt hat.

Weiterführende Literatur:
Martin Kloke: Antizionismus und Antisemitismus als Weltanschauung? Tendenzen im deutschen Linksradikalismus und -extremismus. In: Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Extremismus in Deutschland. Erscheinungsformen und aktuelle Bestandsaufnahme, Berlin, Juni 2004, S. 163-196.
Ders.: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses (DIAK-Schriftenreihe, Band 20), Frankfurt/Main und Schwalbach/Ts. 1994, 2. erw. Auflage – mit einem Vorwort von Micha Brumlik.

Zwischen Scham und Wahn:
Israel und die deutsche Linke
1945-2000

hagalil.com 03-04-2006

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