Heute wird gewählt:
Höchste Alarmstufe in Israel
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Israelische Sicherheitsbehörden befürchten das
Schlimmste für den Wahltag. Die Polizei setzt alle verfügbaren Kräfte ein,
damit es nicht zu einem Terroranschlag kommt. In den vergangenen Tagen
wurden zahlreiche schwere Anschläge verhindert.
Wie in einem James Bond Film verfolgten Hubschrauber und
Polizeistreifen am vergangenen Mittwoch einen Minibus mit zehn illegal nach
Israel eingeschlichenen Palästinensern auf der Autobahn von Jerusalem nach
Tel Aviv. Mit 190 Stundenkilometern brauste der Bus durch erste
Straßensperren, bis er gestoppt werden konnte. Im Bus saß ein Palästinenser
aus Yamoun bei Dschenin mit einer Sprengstoffjacke. Die Bombe mit sechs Kilo
Sprengstoff und Nägeln, um die tödliche Wirkung zu erhöhen, konnte neben der
Autobahn von Feuerwerkern gezündet werden, ohne Schaden anzurichten. Der
potentielle Attentäter wollte sich in Tel Aviv sprengen. Er war durch ein
Loch im Zaun nach Jerusalem gekommen und bestieg dort das Sammeltaxi, um
nach Tel Aviv zu fahren. Hätte er sich schon in Jerusalem gesprengt, hätten
die Geheimdienste das nicht verhindern können.
Es wurden auch noch andere Selbstmordattentäter mit
Sprengstoffjacken abgefangen, oder zum Beispiel am Montag in Tel Aviv ein
Palästinenser mit einem großen Küchenmesser. Seine noch unbekannten
Auftraggeber hätten ihm umgerechnet 200 Euro für jeden von ihm abgestochenen
Juden versprochen. Beim Verhör erzählte der Mann von wirtschaftlichen
Problemen. Den israelischen Sicherheitsbehörden liegen fast 80 "allgemeine
Hinweise auf geplante Anschläge" vor. Hinzu kommen noch 16 "akute
Warnungen", was bedeutet, dass der Geheimdienst schon Namen, Anschlagspläne,
vielleicht sogar Ort und Zeitpunkt kennt, aber die potentiellen Attentäter
noch nicht verhaften konnte.
So viele Vorwarnungen hat es seit dem Höhepunkt der
Intifada vor zwei Jahren nicht mehr gegeben. Laut israelischen Angaben sei
die Dschihad Islami Organisation besonders intensiv mit Versuchen
beschäftigt, vor oder während der Wahlen in Israel durch einen Massenmord
den Urnengang zu stören. Dabei dürfte selbst ein großer Anschlag mit vielen
Toten kaum die Entscheidung der Wähler beeinflussen, "weil die Israelis an
Terror längst gewöhnt sind", wie ein Experte sagte, und die Parteien, links
wie rechts, jede auf ihre Weise, eine Antwort parat haben: die Kadima-Partei
will durch Abtrennung und forcierten Bau von Mauer und Zaun solche Attacken
physisch unmöglich machen, indem keine Palästinenser mehr nach Israel
wechseln kann.
Umgekehrt glaubt der Likudblock, durch verstärkten
Siedlungsbau die Kontrolle über die Palästinenser in den besetzten Gebieten
verbessern zu können. Selbst linke Israelis, etwa der Meretz-Partei, die
seinerzeit den Osloer Friedensprozess ins Leben gerufen haben, glauben heute
nicht mehr an Verhandlungen und die Möglichkeit, so dem Terror ein Ende zu
setzen. Mit der Intifada und der Unfähigkeit von Palästinenserpräsident
Mahmoud Abbas, seine Verpflichtungen einzulösen, die "Infrastruktur des
Terrors" zu zerstören, schwand die israelische Bereitschaft, noch auf
Verträge zu setzen.
Am Dienstag wurde schon der Tempelberg in Jerusalem für
Besucher gesperrt, weil die Polizei Hinweise auf mögliche Provokationen
erhalten hat. Eine Attacke auf die muslimischen Heiligtümer auf dem
Tempelberg könnte verheerende Folgen haben und gilt bei der Polizei als das
schlimmste aller denkbaren Szenarien. Heute, am Wahltag, wird die höchste
Alarmstufe ausgerufen. 25.000 Polizisten und Soldaten werden im ganzen Land
Wahllokale und öffentliche Plätze bewachen. Bei Alarmstufe vier wird allen
Polizisten der Urlaub gesperrt. Selbst Rekruten werden auf die Straße
geschickt, anstatt sich in Kursen auf künftige Aufgaben vorzubereiten.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 28-04-2006 |