In Scharons Fussstapfen:
Aus den Augen, aus dem Sinn
Bei den Wahlen in Israel dürfte
Ehud Olmerts Partei Kadima die stärkste Kraft werden. Doch seine
Politik der einseitigen Schritte verspricht keine Ruhe im Nahen
Osten
Von Igal Avidan
Der amtierende israelische Premier Ehud Olmert
läuft über einen Markt. Von allen Seiten grüßen ihn die Passanten,
manche verneigen sich sogar aus Respekt. Nach kurzer Zeit gewinnt
Olmert an Selbstvertrauen und beginnt, die Menschen mit großen
Gesten zurückzugrüßen. Dann summt es plötzlich in seiner
Aktentasche. Olmert zieht eine dicke Biografie von Ariel Scharon
heraus. Vom Cover blickt ihn sein Amtsvorgänger an und warnt ihn:
"Das gilt nicht dir, sondern mir! Ist das klar?"
Diese Szene ist natürlich frei erfunden. Doch dieser Sketch aus der
populären TV-Satireshow "Eretz Nehederet" ("Wunderbares Land")
zeigt, wie die Mehrheit der Israelis Olmert empfindet. Zehn Jahre
lang war er Bürgermeister von Jerusalem. In seiner eigenen Partei,
dem Likud, war er äußerst unpopulär, weshalb er nur dank seiner
Treue zu Scharon ins letzte Kabinett berufen wurde.
Als brillantester Schachzug seines Lebens erwies sich seine
Weigerung, nach dem Regierungsbeitritt der Arbeitspartei im Januar
2005 seinen Posten als stellvertretender Premierminister zugunsten
von Schimon Peres zu räumen. Dann verließ er im vergangenen Jahr
gemeinsam mit seinem Mentor Scharon den Likud, um die neue
Zentrumspartei Kadima (Vorwärts) zu gründen. Seit dem 4. Januar
2006, als Scharon ins Koma fiel, amtiert er als Regierungschef.
Im Wahlkampf steht Scharon noch immer im Zentrum. In einem
Kadima-Werbespot drängt er Olmert zur Seite und reiht sich zu den
Klängen der Nationalhymne in eine Phalanx mit den Staatsgründern
ein. Ob das der Partei aus dem Stimmungstief hilft? Ihr Anteil ist
in den letzten beiden Monaten in Umfragen rapide geschrumpft.
Deshalb versucht Olmert, wie jüngst mit der Gefängnisrazzia in
Jericho, durch Härte gegen die Palästinenser an Profil zu gewinnen.
Zuvor kündigte er an, er werde keine Gelder mehr in isolierte
Siedlungen im Westjordanland investieren und sogar 17 Siedlungen
räumen lassen. Olmert will damit Israels Grenzen dauerhaft festlegen
- und zwar einseitig. Damit setzt er die Ideologie des späten
Scharon fort: Maximum Land, Minimum Palästinenser. Wenn diese ihre
zusammengeschnürten Enklaven einen Staat nennen wollen, würde Israel
dem unter Druck des US-Präsidenten George W. Bush wohl auch
zustimmen. Dieser Staat soll entmilitarisiert sein und in
vorläufigen Grenzen entstehen - so sieht es die so genannte Roadmap
vor. Das Wort Frieden enthält dieser Plan, den die USA, die EU,
Russland und die UN vor drei Jahren zur Beendigung des
israelisch-palästinensischen Konflikts vorgelegt haben, übrigens
nicht.
An einen Frieden glauben die meisten Israelis ohnehin nicht mehr.
Fünf Jahre palästinensischen Terrors haben sie in zwei Richtungen
geführt: Von der Linken haben sie den Wunsch nach einem Ende der
Besatzung übernommen, von der Rechten deren Sicht auf den Konflikt.
Die Mehrheit will sich von einem Großteil der besetzten Gebiete
trennen, glaubt aber nicht mehr an einen Dialog oder gar an ein
Abkommen mit den Palästinensern. Sie will, dass kleine Siedlungen
geräumt und große Siedlungsblöcke erweitert werden. Die
Palästinenser sollen aus ihren Augen verschwinden. In einer dazu
passenden Karikatur wirft Olmert einem bärtigen Hamas-Führer über
einen hohen Zaun einen Sack voller Dollars zu.
Doch dieses Bild ist inzwischen überholt. Denn als Reaktion auf die
konstituierende Sitzung des neuen palästinensischen Parlaments, das
nach ihrem Wahlsieg von der radikalislamischen Hamas dominiert wird,
hat die israelische Regierung beschlossen, die Steuergelder von über
40 Millionen Euro im Monat, die sie für die Palästinenserbehörden
einzieht, nicht mehr an diese weiterzuleiten. Gleichzeitig wurde die
internationale Gemeinschaft aufgefordert, ihre finanzielle Förderung
der Palästinenserbehörden einzustellen - ausgenommen sein soll nur
die humanitäre Hilfe. Mehr noch: Den palästinensischen
Sicherheitsorganen soll jede Hilfe verweigert, die Bewegungsfreiheit
von Hamas-Abgeordneten eingeschränkt und die Kontrollen an den
Grenzübergängen verschärft werden.
Die Hamas ist der neue Feind, der Israelis aller Couleur einigt. Die
Organisation soll zumindest offiziell so lange boykottiert werden,
wie sie nicht bereit ist, den Staat Israel anzuerkennen, meint die
Mehrheit. Aber auch wenn die Hamas die Verträge von Oslo nicht
anerkennt, muss Israel daran gelegen sein, dass sie ihren
Waffenstillstand einhält. Die Lösung des Problems lautet deshalb:
Israel soll weiter mit der PLO als Vertreterin aller Palästinenser
verhandeln, um auf ein Ende der Besatzung hinzuarbeiten. In der PLO
ist die Hamas nicht vertreten. Ein Verhandlungserfolg würde daher
die gemäßigten Palästinenser stärken und die Radikalen in Konflikt
mit dem eigenen Volk bringen. Nur wenn die Hamas ein solches
Abkommen blockiert, sollte sich Israel für einseitige Schritte
entscheiden. Denn bislang hat Scharons Politik der einseitigen
Schritte nur die Hamas gestärkt.
In dieser Situation ist es erstaunlich, dass der Hamas-Politiker
Muhammad Abu Tir, von einem Schauspieler gespielt, in der populären
Satiresendung sogar mit am Tisch sitzt. Gilt Abu Tir, der zweite
Mann der Hamas im Gaza-Streifen, als Celebrity, nur weil er sich
seinen Bart rot färbt? Dass er Terroranschläge gegen Zivilisten
verteidigt und die Einführung des islamischen Rechts verlangt hat,
scheint die meisten Israelis nicht zu stören. Solange die
Terroranschläge aufhören und die Hamas am Waffenstillstand festhält,
lachen sie auch über den Feind.
Nach den kommenden Wahlen dürfte Kadima wohl die stärkste Kraft sein
und Olmert die nächste Regierung bilden. Aber die angekündigte
Trennung von den Palästinensern wird nicht zwangsläufig für Ruhe
sorgen. Radikale Hamas-Politiker wie Khaled Mashal betrachten eine
solche Ankündigung bereits als Kriegserklärung. Möglicherweise würde
die Hamas dann ihren Waffenstillstand nicht verlängern.
Aber auch jeder zweite Israeli lehnt einen einseitigen Rückzug und
die Räumung von Siedlungen ab, mit steigender Tendenz. Denn eine
große Mehrheit glaubt, dass die Räumung des Gaza-Streifens die
Friedensbereitschaft der Palästinenser nicht verstärkt hat. Und
viele befürchten, dass die Siedler dann noch mehr zur Gewalt greifen
würden und die Räumung gar in einen innerisraelischen Bürgerkrieg
eskalieren könnte.
Immer mehr Siedler fühlen sich ausgestoßen und distanzieren sich von
Israel. Eine Episode aus dem vergangenen Jahr mag das illustrieren:
Damals wollte sich ein Junge in einer kleinen, vom Kernstaat
entfernten Siedlung zum jüdischen Purimfest als Polizist verkleiden.
Doch die Familie setzte ihn unter Druck, denn Polizisten waren schon
damals, kurz vor dem Gaza-Rückzug, unter Siedlern sehr unpopulär.
Daraufhin maskierte sich der Fünfjährige als "dienstverweigernder
Polizist", indem er auf seiner Uniform eine entsprechende
Erläuterung anbrachte.
In diesem Jahr wäre selbst das undenkbar.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz - die tageszeitung
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19-03-2006 |