Vogelgrippe:
H5 ohne N1 in Israel
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Nur keine Panik", beruhigt Landwirtschaftsminister
Zeev Boim die israelische Bevölkerung vom sicheren Paris aus. Er sieht
keinen Anlass für die vorzeitige Rückkehr aus dem romantischen Urlaub mit
seiner Frau. "Hysterie ist fehl am Platze. Millionen Menschen in aller Welt
leben mit Hühnern unter einem Dach und haben sich nicht angesteckt", erklärt
ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.
Schon am Dienstag, als gerade israelische Truppen das Gefängnis von
Jericho stürmten und in Gaza 18 Ausländer gekidnappt wurden, fiel den Bauern
in den Kibbuzim Cholit und Ain Haschloscha in der Negewwüste ein
Massensterben unter ihren Mastputen auf. Am Donnerstag noch hatte es
geheißen, dass nur 1000 Vögel gestorben seien. Am Freitag waren es
allerdings plötzlich 17.000! Proben wurden an Labors geschickt. In den
Medien war der Wahlkampf und der Ärger mit den Palästinensern plötzlich wie
vom Erdboden verschluckt. Ein einziges Thema überschattete alles:
Vogelgrippe.
Am Freitag Mittag kam eine halbe Entwarnung zusammen mit weiteren
Katastrophenmeldungen. Die Puten in der Negewwüste seien tatsächlich an der
Vogelgrippe gestorben, aber am Virus H5 ohne N1. "Das Virus ist weniger
gefährlich", beruhigte ein Experte, während aus Krankhäusern in Haifa und
Beer Schewa Fälle von "Lungenentzündung mit Schnupfen" gemeldet wurden. Drei
Hühnerfarmer im Süden und ein Veterinär im Norden fuhren im eigenen Auto ins
Hospital und wurden gleich in Quarantänestationen gelegt.
Das Landwirtschaftsministerium erklärte, dass Israel bestens vorbereitet und
organisiert sei, weshalb es "wirklich keinen Grund zur Unruhe gebe". Doch
erst am Freitag mittag wurden bei den Kibbuzim Warnschilder mit der
Aufschrift "Betreten Verboten, ansteckende Krankheit" aufgestellt. Die
Zeitung Jedijot Achronot fand heraus, dass das der Staat vorsorglich
"Millionen Packungen Tamilflu" eingekauft habe. Aber die sind nicht etwa in
Israel eingelagert, sondern in Holland. Am Freitag wurde dann auch noch im
Kibbuz Nachschon Alarm geschlagen. Hühner starben reihenweise, wenige
hundert Meter von der meistbefahrenen Autobahn Israels zwischen Tel Aviv und
Jerusalem. Da wird man keine Sperrzone mit drei Kilometern Radius einrichten
können.
Die Boulevardpresse nahm von den beruhigenden Worten der Verantwortlichen
keine Notiz und veröffentlichte eine Weltkarte mit eingezeichneten
Totenköpfen. Dazu die Zahl der bisher an der Vogelgrippe gestorbenen
Menschen, insgesamt 98. In einem "Notplan des Gesundheitsministeriums" wird
damit gerechnet, dass sich ein Viertel der Bevölkerung Israels anstecken
könnte. Bis zu 6000 würden sterben und wöchentlich würden bis zu 4000
Israelis in Krankhäuser eingeliefert.
Noch ist unklar, wie die Vogelgrippe nach Israel gelangte. Zugvögel ziehen
zu Millionen von ihren Winterquartieren zurück nach Europa. Doch wie nicht
anders zu erwarten, wurden erst einmal die Palästinenser verdächtigt. Im
Gazastreifen wurde ein "großes Hühnersterben" ausgemacht und die Israelis
verlangten tote Hühner zwecks Prüfung in ihren Labors. Die Palästinenser
wiesen die israelischen Beschuldigung weit von sich, und behaupteten, dass
ihr Federvieh an der Newcastle-Krankheit gestorben seien. Palästinenser
behaupteten schon, dass Israel das Vogelgrippe-Virus in die
Palästinensergebiete transportiere. Der typisch nahöstliche Streit könnte
leicht zu einer Hühnchen-Intifada exkalieren.
Ein israelischer Militärreporter wurde befragt und trug erheblich zur
Beruhigung der Lage bei: "Keine Sorge. Die Grenze zum Gazastreifen ist
hermetisch geschlossen. Der Warenverkehr über den Terminal Karni ist seit
Wochen aus Sicherheitsgruppen gesperrt. So können weder Terroristen noch
Hühner nach Israel gelangen." Wegen akuter Terrordrohungen ist zudem über
das Westjordanland eine "Sperre" verhängt worden. Nur "humanitäre Fälle"
dürfen die schwer befestigten Grenzübergange entlang des Sperrwalls mit Zaun
und Mauern in Richtung Israel passieren.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 17-03-2006 |