Revision der Revision:
Zum Ausgang des Wiener Irving-Prozesses
Von Heribert Schiedel
Jungle World 9 v.
01.03.2006
Das iranische Establishment wird sich wohl weitgehend ohne
prominente europäische "Revisionisten" an der Leugnung oder Relativierung
der Shoah abarbeiten müssen. Zur geplanten Konferenz in Teheran werden
zumindest Horst Mahler, Robert Faurisson und David Irving nicht anreisen.
Mahler wurde der Reisepass abgenommen, Faurisson hat Angst, dass ihn die
"Zionisten" ermorden oder verhaften.
Auch weitere mögliche Teilnehmer an der "revisionistischen"
Konferenz wie Ernst Zündel, Germar Rudolf und Siegfried Verbeke befinden
sich derzeit in Haft, und Irving wurde am 20. Februar in Wien nach fast
zehnstündiger Verhandlung zu einer – nicht rechtskräftigen – dreijährigen
Haftstrafe verurteilt. Im November 2005 war er während eines Aufenthalts in
Österreich aufgrund eines Haftbefehls aus dem Jahre 1989 festgenommen
worden. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete: nationalsozialistische
Wiederbetätigung.
Der iranische Außenminister Manouchehr Mottaki verlautbarte
einen Tag nach der Verurteilung Irvings, dass es ein "westliches Paradox"
sei, einerseits – etwa im "Karikaturenstreit" – die "Meinungsfreiheit" zu
propagieren und sie andererseits einzuschränken, wenn es um die
NS-Verbrechen gehe.
Aber auch Liberale meinen, in die Diskussion über eine
angebliche Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte einstimmen zu
müssen. Im Falle von Islamisten und Neonazis tritt der Antisemitismus hinter
der Forderung nach Straffreiheit für das Leugnen der Shoah deutlich zu Tage.
Demgegenüber ist den Liberalen vor allem Naivität und ein falscher Begriff
von "Meinung" zu attestieren. Denn bei der Leugnung des
Menschheitsverbrechens handelt es sich nicht um eine Meinungsäußerung,
sondern um einen Teil dieses Verbrechens. Bereits die Nazis begannen, die
Spuren ihrer Taten zu verwischen, die "Revisionisten" setzen diese Arbeit
bloß auf anderer Ebene fort. Wer es also gutheißt, die NS-Verbrechen
juristisch zu ahnden, muss auch deren Leugner zur Rechenschaft ziehen.
Was den liberal-naiven Glauben an die Durchsetzungsfähigkeit
der historischen Wahrheit, welche keinen Schutz durch Gesetze bedürfe,
betrifft, so muss aber der jeweilige Hintergrund berücksichtigt werden. Es
macht einen Unterschied, ob "Meinungsfreiheit" auch für neonazistische
Geschichtsfälscher in vormals alliierten und im Unterschied zu Österreich
tatsächlich besetzten Ländern oder in den Nachfolgestaaten des "Dritten
Reichs" und jenen mit ausgeprägter Kollaboration gefordert wird. Im Falle
der erstgenannten trifft die Leugnung oder Relativierung der Shoah nicht auf
das weit über die Grenzen des Rechtsextremismus hinaus vorherrschende
Bedürfnis nach Entlastung und Abwehr.
Ein David Irving wird in Großbritannien wohl tatsächlich vor
allem nur belächelt, in Österreich wird er jedoch von einer Regierungspartei
zu Vorträgen eingeladen und nicht nur in der Neonazi-Szene als "Historiker"
respektiert. Der bis heute viel strapazierte "antifaschistische und
demokratische Konsens" der Zweiten Republik hat sich nie in dem Maße
durchgesetzt, wie es die Kritiker der NS-Verbotsgesetze glauben machen
wollen.
So notwendig dieses Gesetz in Österreich angesichts der
Schwäche des Antifaschismus also (noch) ist, so problematisch sind aber auch
seine mittelbaren Auswirkungen. Es verbreitet in der notorisch
autoritätshörigen Gesellschaft eine falsche Sicherheit. Diese führt dazu,
dass die Sensibilität gegenüber Rassismus und Antisemitismus mit deren
strafrechtlicher Relevanz abnimmt. Der legale Rechtsextremismus erfährt mit
der rechtlichen oft auch die politische Absolution. Nicht inkriminierte
rechtsextreme Handlungen und Ansichten werden so nicht weiter infrage
gestellt und normalisiert. Und das NS-Verbot begünstigt die herrschende
Doppelbödigkeit:
Vor lauter Zufriedenheit mit der Justiz, die an Irving wohl
auch ein Exempel statuiert hat, wird vergessen, dass es die Anhängerschaft
seiner kruden Thesen mittlerweile in Amt und Würden geschafft hat. Kaum
jemand redet davon, dass es der FPÖ-Akademikerverband war, der Irving 1989
ein Podium verschaffte, damit er jene Lügen verbreiten konnte, welche ihm
nun zum Verhängnis wurden. Gleiches gilt für die Tatsache, dass Irving im
November vergangenen Jahres bei der Wiener Burschenschaft Olympia, die
zahlreiche FPÖ-Kader zu ihren Mitgliedern zählt, hätte auftreten sollen.
Schon vor der Hauptverhandlung sickerte durch, dass Irving
sich schuldig im Sinne der Anklage bekennen werde. Darüber hinaus wollte er
plötzlich die Gaskammermorde in Auschwitz nicht mehr bestreiten. Er habe
Anfang der neunziger Jahre dokumentarische Beweise dafür zu Gesicht
bekommen, blieb jedoch eine Erklärung schuldig, warum er mehr als zehn Jahre
benötigte, um seine Überzeugung – vor Gericht von ihm als "methodischer
Formfehler" verharmlost – öffentlich zu revidieren. Folgerichtig nahm ihm
das Gericht die späte Einsicht nicht ab und deutete das Schuldeingeständnis
als ein aus prozesstaktischen Gründen abgelegtes "Lippenbekenntnis".
Gleiches taten übrigens seine vormaligen Kameraden, die ihm
nun dennoch "Verrat" vorwerfen. Im letzten Moment wurde noch versucht,
Irving von der Notwendigkeit eines neuen Verteidigers zu überzeugen: Der
berühmt-berüchtigte Wiener Nazi-Anwalt Herbert Schaller hätte vor Gericht
wohl versucht, den "Wahrheitsbeweis" für die Behauptungen des
germanomanischen Briten zu erbringen und die Legitimität des Verfahrens in
Abrede zu stellen. Irving wäre dann zwar zu einer weit höheren Haftstrafe
verurteilt worden, aber der Szene zumindest als "Märtyrer" weiter nützlich
gewesen. Jedoch war der drohende Schaden für die "revisionistische" Szene
nicht mehr abzuwenden.
Wie ernst Irvings "Läuterung" zu nehmen ist, zeigt sich auch
daran, dass er die im Gerichtssaal ohnehin nur widerwillig formulierte
Entschuldigung bei den jüdischen NS-Opfern, die er zuvor in die Nähe der
Psychopathologie gerückt hatte, nur zwei Tage später gegenüber einem
britischen Fernsehsender wieder zurückgenommen hat.
Sein öffentlichkeitswirksames Abschwören hat – unabhängig von
seiner Glaubhaftigkeit – auch etwas Gutes: Die "Revisionisten"-Szene verlor
damit einen ihrer wichtigsten Exponenten. Kein anderer rechtsextremer
Pseudo-Historiker hat mehr Bücher verkauft als Irving.
Der 1992 nach Spanien geflohene Neonazi Gerd Honsik, eine
der Schlüsselfiguren im internationalen Geschichtsfälscher-Netzwerk mit
seinen neuen Zentren im Iran und in vielen arabischen Staaten, hat
angesichts Irvings "Rückgratlosigkeit" das Verdikt ausgesprochen: "Nicht von
David Irving, sondern von Männern wie Ernst Zündel wird der Revisionismus
künftig repräsentiert sein."
hagalil.com 03-03-2006 |