Bis zum 13. Februar 1945 war die Welt
anscheinend noch in Ordnung:
Der Film Dresden
von Miriam Magall
Im Januar 1945 ist die Welt in Dresden noch in
Ordnung. Es stimmt, im Krankenhaus werden viele Männer operiert,
denen man Metallenes aus Wunden in ihrem Bauch entfernt. Aber als
Ausgleich sind da die beiden hübschen Krankenschwestern, Anna und
Maria. Und auch der Arzt, Annas zukünftiger Verlobter Alexander. Sie
tun überall Gutes und verlieren selbst im größten Trubel nicht den
Kopf. Effizient arbeitende Deutsche halt, wie man es von ihnen
erwartet.
Alles wäre beinahe perfekt, außer Annas Mutter,
die sich über das Fehlen von Bohnenkaffee beklagt, und Alexander,
dem im Krankenhaus das Morphium für seine Operationen ausgegangen
ist. Und ja, auch das gibt es: Flugzeuge im Tiefflug über der Stadt.
„Verdammte Amerikaner!“ flucht die sanfte Anna nicht ganz damenhaft
beim Anblick der Flugzeuge.
Dresden, eine scheinbar ganz normale deutsche Stadt. Gäbe es da
nicht die vielen Menschen, die namen- und gesichtslos in die Stadt
strömen. Und auch nicht die Wagen, die mit quietschenden Reifen vor
dem Krankenhaus halten und immer mehr Menschen, bei näherem Hinsehen
entpuppen sie sich als Männer, ins Haus bringen. Und doch, es geht
zivilisiert zu, auf den Straßen, auf den Gängen und in den Sälen des
Krankenhauses. Wäre da nicht der alte Jude, der -- noch -- im Januar
1945 als solcher gekennzeichnet auf der Straße humpelt und von
Kindern beschimpft wird. Gäbe es da nicht Krankenschwester Maria,
der die sanfte Anna rät, sich doch endlich von ihrem Mann scheiden
zu lassen. Warum, wird erst im zweiten Teil des Films klar. Ab und
zu tauchen einige Männergestalten in komischen gelbbraunen Uniformen
mit einer roten Armbinde auf. Aber selbst sie benehmen sich recht
zivilisiert, wenn auch eher zackig. Zickig ist dagegen Annas
Schwester, die es anscheinend mit diesen Männern in der gelbbraunen
Uniform zu tun hat.
Ominös erscheinen da die englischen Militärs auf der anderen Seite
des Kanals, die ihre Jungs nach Deutschland schicken. Einige von
ihnen zeigen menschliche Gefühle und stellen ihren Auftrag in Frage,
werden aber mit einem kurzen Hinweis auf Churchills und Stalins
Einigung in Jalta zum Schweigen gebracht. Können wir? Dürfen wir?
Sogar der Pilot im führenden Flugzeug, der an der Spitze seiner
Schwadron Dresden anfliegt, will nichts von den Äußerungen eines
Kameraden hören, dessen Schwester in Canterbury verbrannte. Pech für
sie? Den armen deutschen guten Menschen da unten, denen können wir
so etwas aber doch nicht antun.
Sie tun es aber doch. Während der erste Teil sozusagen die
Exposition in diesem Drama namens Dresden war, kommt der zweite Teil
zur Sache.
In Dresden gehen deutsche Gutmenschen ihrer Arbeit nach, im
Krankenhaus, auf der Straße. Jenseits des Kanals werden
detaillierten Pläne geschmiedet für den Bombenangriff auf Dresden.
Als Marias Mann Simon am 12. Februar 1945 Briefe an die letzten
Juden in Dresden verteilen soll, die sie auffordern, sich zum
Abtransport an einem bestimmten Ort einzufinden, ist diese Szene so
flüchtig, dass der oberflächliche Betrachter sie kaum mitbekommt.
Und auch das wohl nicht: Als die Bombardierung beginnt, dürfen alle
in die Schutzkeller -- nur nicht Marias Mann Simon.
Ja, er ist schrecklich, dieser Bombenangriff. Feuer,
hervorschießende Flammenbündel, einstürzende Häuser, von Bomben
getroffene und zusammenbrechende Menschen. Krieg ist schrecklich.
Endlich ist aber Simon frei. Mit seiner Frau Maria wagt er sich aus
dem brennenden Haus und reißt seinen Judenstern ab. Die Bomben der
Alliierten haben ihn, haben alle anderen in Dresden verbliebenen
Juden vor dem Abtransport gerettet. Aber natürlich ist das nur eine
kleine Episode. Sie geht unter im allgemeinen Chaos, in der
Verwüstung der Stadt. Aus gähnenden Fenster- und Türrahmen winkt das
Grauen, flackernde Feuer auf den Straßen und in den Häusern
beleuchten die wenigen Überlebenden, die kopflos umherirren.
Ja, es ist ein schreckliches Inferno. So muss die Hölle aussehen.
Kein Entrinnen, wohin man auch blickt. Nie sollte ein Mensch einem
anderen Menschen je Ähnliches wieder antun. Durchaus.
Aber: Sauber ausgeklammert ist der Grund für dieses Inferno. Diskret
angedeutet, ja, hin und wieder. Die Männer in den komischen
gelbbraunen Uniformen mit der roten Armbinde. Die eigenartig sich
überschlagende Stimme im Radio, die von "Terroristen" spricht und
die Alliierten meint. Der Jude Simon und seine christliche Frau
Maria. Am Vorabend der Bombardierungen auf Annas Verlobung die
Faseleien vom Endsieg. Ja. Durchaus, es gibt sie, diese Momente der
Mahnung. Aber sie sind so dünn in die allgemeine Erzählung
eingestreut, dass der oberflächliche Betrachter sie kaum wahrnimmt.
Nie wird jemand, der sie überlebt hat, diese Bombennacht je
vergessen. Und nie wird jemand, der als Jude, als Sinti oder Roma
diese schrecklichen Jahre des in demokratischen Wahlen in sein Amt
gewählten "Führers" überlebt hat, je diese Schreckensjahre
vergessen. Haben die Bomben auf Dresden ihre Leidenszeit verkürzt?
Jenen Juden, die am 13. oder 14. Februar 1945 in den Osten
abtransportiert werden sollten, ganz sicher. Freiwillig hätten die
Herren Deutschlands sie nie gehen lassen!
Dresden. Eine verbotene Liebe in den letzten Tagen der
Hitler-Diktatur -- mit großem Staraufgebot im Kino-Stil verfilmt.
ZDF, Sonntag, 5., und Montag, 6. März 2006, 20.15 Uhr.
Anmerkung (dg): Heute steht Bundespräsident Köhler an
der Spitze Deutschlands und am Ende des Films kommt er hochoffiziell
zu Wort. Seltsam eigentlich, für einen Spielfilm. Überraschend auch,
was er dann sagt, denn man könnte meinen, er sei unberührt
geblieben, von den vielen Tränen, die davor und danach geweint oder
eben auch nicht geweint wurden, nicht geweint werden konnten.
Er zitiert Gerhard Hauptmann, der im Februar 1945, direkt unter dem
Eindruck der zerstörten Stadt, schrieb: "Wer das Weinen verlernt
hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens".
Köhlers Redenschreiber scheinen nicht zu wissen, dass dieses Zitat
schon damals nicht unwidersprochen blieb, denn schon damals wusste
man von Millionen Verbrannten. Von Oradour, Lidice, Rotterdam,
Warschau, Leningrad, Distimo.
Schon damals - und heute erst recht, sollte man meinen. |