Algerien:
Die dreizehnte Karikatur
Algerien nutzt den Karikaturenstreit, um
die Pressefreiheit einzuschränken.
Von Bernhard Schmid
Jungle World 12 v.
22.03.2006
Lange Zeit galt Algerien unter allen arabischsprachigen
Staaten als das Land mit der größten Pressefreiheit. Seit längerem aber will
die Staatsmacht mit der pluralistischen Presse Schluss machen. In den
neunziger Jahren waren den Journalisten gewisse Freiheiten gewährt worden,
weil der Staat in der Presse einen Bündnispartner gegen die Islamisten
erblickte.
Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika
– mit umstrittenen Ergebnissen – im April 2004 hat die Repression gegen
missliebig gewordene Journalisten jedoch zugenommen. Im Jahr 2005 wurden
allein 18 Journalisten und Zeichner in erster Instanz zu mehrmonatigen
Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. Die Revisionsprozesse, von denen
einige in den letzten Wochen bereits stattgefunden haben, bestätigen die
Strafen in der Regel – sofern diese im Berufungsverfahren nicht noch
verschärft werden. Diese Erfahrung musste etwa der Karikaturist Ali Dilem
machen. Die erste Instanz hatte ihn wegen Karikaturen des Präsidenten in
Algier zu 50.000 Dinar (550 Euro) Geldstrafe verurteilt. Am 11. Februar
dieses Jahres verurteilte die Revisionsinstanz ihn zusätzlich noch zu einer
einjährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Ali Dilem kann nur darauf
hoffen, dass der Oberste Gerichtshof das Urteil revidiert. Werden alle
bisher gegen ihn verhängten Urteile bestätigt, muss er insgesamt neun Jahre
absitzen. Sein Anwalt, Khaled Bourayou, gibt offen zu, dass er "seit zwei
Jahren keinen einzigen Rechtsstreit in Diffamierungsverfahren gewinnen"
konnte.
Ein Indiz für das veränderte Klima: Als sich Anfang Februar einige
Journalisten entschlossen, über den Karikaturenstreit zu berichten und zu
Illustrationszwecken Karikaturen nachzudrucken, war das nicht ohne Risiko.
Das algerische Post- und Informationsministerium unter dem FLN-Politiker
Boudjemaa Haichour ließ am 8. und 11. Februar zwei hochrangige
Pressevertreter wegen "Verächtlichmachung des Propheten" inhaftieren. Es
handelt sich um Berkane Bouderbala, den Herausgeber der Wochenzeitschrift
Es-Safir (Der Botschafter), die in ihrer Beilage für Religionsfragen
Er-Rissala (Die Botschaft) die Karikaturen nachgedruckt hatte, sowie um den
Herausgeber der Zeitschrift Iqra (Lies!) namens Kamel Boussad. Die Männer,
die mit fünf Jahren Haft bedroht waren, kamen in der vorigen Woche wieder
frei.
Es gab in der algerischen Presse auch Stimmen, die sich kritisch über die
kollektive Empörung der Muslime äußerten. So druckte die bürgerliche
Tageszeitung El Watan (Die Nation) auf dem Titel ihrer Ausgabe vom
9.?Februar eine eigene Zeichnung ab, die wütende Protestierer vor einer in
Flammen aufgehenden Botschaft zeigt. Die Überschrift lautete: "Die
13.?Karikatur des Islam". Im Blattinneren findet man sowohl einen Artikel,
der – ohne distanzierenden Kommentar – die Erklärung der französischen
Wochenzeitung Charlie Hebdo zu ihrem Abdruck der Karikaturen zusammenfassend
wiedergibt, als auch den Bericht eines Journalisten, der den Standpunkt des
iranischen Regimes verteidigt.
Eine klare Verurteilung der fundamentalistischen Proteste fand sich in der
kommunistischen Zeitung Alger Républicain: "Der Aufruhr, der durch die
Veröffentlichung der dänischen Karikaturen ausgelöst worden ist, ist selbst
eine Karikatur. Da haben wir eine unipolare Welt, in der die Ungleichheiten
mehr als offenkundig sind. (…) Und in diesem Verhältnis, das durch die
Dominanz konfliktreich wird, (…) wollen Muslime sich für alles Mögliche und
auch aus unsinnigen Gründen rächen, notfalls mit Gewalt und auf jeden Fall
durch eine Intoleranz, die einem anderen Zeitalter angehört. (…) So viel
vergossenes Blut, so viel Lärm, so viele Scherben und so viel Hass wegen ein
paar armseliger und noch dazu schlecht gemachter Zeichnungen. Und
unterdessen hört das reale Dominanzverhältnis nicht auf, sich zu
verschärfen."
Die Repression gegen Journalisten in Algerien hält an. Am 2. März wurde
Hakim Laalam von der Boulevardzeitung Le Soir d'Algérie zu sechs Monaten
Haft ohne Bewährung verurteilt. Er soll zwar nicht den Propheten, aber den
Staatschef "beleidigt" haben.
hagalil.com
23-03-2006 |