Vor der Regierungsbildung:
Abbas stellt Bedingungen
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Mahmoud Abbas, 71, unter Palästinensern und Israelis
eher unter seinem Kampfnamen "Abu Mahsen" bekannt, will den Wahlsiegern der
Hamas-Partei keinen politischen Freilauf gewähren. In seinem bis heute nicht
offiziell beantworteten Schreiben an Ismail Hanija der Hamas, die nächste
Regierung zu bilden, stellte Abbas Bedingungen auf. Dazu gehörten auch die
drei Grundbedingungen der EU und der UNO: Anerkennung Israels,
Gewaltverzicht und Akzeptanz bestehender Verträge.
Abbas, im Januar 2005 als Nachfolger des verstorbenen Jassir Arafat zum
Präsidenten der Autonomiebehörde und Vorsitzenden der PLO gewählt, bestimmt
die Politik. Die Regierung hat seine Richtlinien auszuführen. Ähnlich wie in
der französischen Präsidialdemokratie führt das zu Spannungen, wenn der
Präsident einer anderen Partei angehört als die Mehrheit der Abgeordneten im
Parlament.
Noch ist die Hamas-Regierung nicht gebildet. Ein von Ismail Hanija
vorgelegtes inoffizielles Regierungsprogramm wurde von Fatah-Politikern
abgelehnt. So konnte auch nicht das neue Kabinett mit 24 Ministern
vorgestellt werden. Spätestens zwei Tage nach den Wahlen ist für Hanija
allerdings die Frist abgelaufen.
Noch weiß niemand, wie die unterschiedlichen Positionen der Hamas und der
abgewählten Fatah-Partei überbrückt werden könnten. Es geht da nicht nur um
ideologische Differenzen, sondern um praktische Fragen, wie eine
Koordination von Strom- und Wasserlieferungen Israels an die Palästinenser
oder Kontakte bei Grenzübergängen. Eine Hamasregierung stünde schnell vor
einem finanziellen Aus, falls die EU neben Israel und den USA ihre
Finanzhilfe stoppen sollte. Noch ist fraglich, ob es der Hamas gelingt, Iran
oder gar die bankrotte Arabische Liga als alternative Geldgeber zu gewinnen,
um die Gehälter von etwa 135.000 Bediensteten der Autonomiebehörde zu
bezahlen: Lehrer, Ärzte, Beamte in den Ministerien. Gehaltsempfänger sind
auch etwa 75.000 Polizisten und Sicherheitsleute, die fast ausnahmslos dem
Befehl der Hamas unterstellt werden müssen.
Abbas steht für die Osloer Verträge und hat mehrmals in Anwesenheit des
amerikanischen Präsidenten wie gegenüber Ministerpräsident Ariel Scharon
versprochen, in den Palästinensergebieten Recht und Ordnung
wiederherzustellen. Doch seine Formel "ein Gesetz, ein Gewehr", was einer
Entwaffnung aller Milizen und "bewaffneten Arme" der Hamas, des Dschihad und
seiner Fatah-Partei gleichkommt, hat er nicht umgesetzt. Jetzt, wo eine von
den USA, Israel und EU als Terror-Organisation eingestufte Bewegung die
Macht übernimmt und sogar die Sicherheitskräfte befehligen soll, ist umso
fraglicher, wie Abbas den politischen Spagat einer innenpolitischen Realität
und außenpolitischen Verpflichtungen bewältigen soll.
Abbas hat mehrmals seinen Rücktritt angedroht und wieder dementiert.
Letztlich ist er machtlos. Er könnte nicht einmal das Parlament auflösen und
Neuwahlen ausschreiben, weil dieses dem Parlament vorbehalten ist. Ohnehin
würden Neuwahlen trotz des überraschenden Wahlerfolgs der Hamas kaum ein
anderes Wahlverhalten hervorbringen. Gemäß einer Umfrage der
A-Nadschach-Universität in Nablus seien über 60 Prozent der befragten
Palästinenser zufrieden mit dem Wahlsieg der Hamas.
Im Gegensatz zur Hamas, die weiter auf Konfrontation mit Israel steht und
die Erfüllung unannehmbarer Bedingungen stellt, ehe sie bereit wäre zu
"erwägen", ob sie Israel anerkennen will, hat Abbas schon früh Kontakte mit
den Israelis gepflegt. Er war die treibende Kraft hinter den Osloer
Friedensgesprächen, hat sich nach Ausbruch der Intifada gegen den
"gewalttätigen Aufstand" ausgesprochen und war der erste palästinensische
Präsident, der im israelischen Regierungssitz in Jerusalem empfangen wurde.
Er war die große Hoffnung der Amerikaner und Israelis, nach Arafat einen
friedlichen Weg einzuschlagen. Doch Abbas hat nicht das Charisma Arafats und
verfügt auch nicht über eine entsprechende Hausmacht, um seinen Willen
durchzusetzen.
Die palästinensischen Wahlen stellen Israel vor ein unlösbares Dilemma.
Grundsätzlich ist der PLO-Chef und nicht die Autonomiebehörde Israels
Verhandlungspartner bei Friedensgesprächen. Im Falle einer Umsetzung der
"Roadmap" und einer Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen wäre Abbas der
Gesprächspartner und nicht der Hamas-Regierungsschef. Doch neu ausgehandelte
Verträge müssten vom palästinensischen Parlament abgesegnet werden, was als
aussichtslos gilt, wenn jetzt schon die Hamas beabsichtigt, alle bestehenden
Verträge zu annulieren. Israel sieht keine Möglichkeit, mit einer Regierung
zu reden, die Israel nicht einmal anerkennt, mit Israel nicht reden will und
auf Krieg besteht. Andererseits will aber Israel auch keinen
wirtschaftlichen Zusammenbruch oder gar eine Hungersnot in den
Palästinensergebieten, weil das Israel in jeder Hinsicht schaden würde.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 14-03-2006 |