Verkommene Wahrnehmung:
Wirrungen im "Freitag"
Ludwig Watzal über den
"intellektuell durchaus anspruchsvollen" Antisemitismus des "Israel
Shamir"
Von Achim Beinsen
Ludwig Watzal, freier Mitarbeiter der
Wochenzeitung "Freitag", räumt in der Ausgabe vom 10.2.2006 einen
Fehler ein. Er distanziert sich von seiner wohlwollenden Rezension
des Buches "Blumen aus Galiläa", das im Jahr 2005 im Promedia Verlag
erschien. Watzals Distanzierung sagt indes mindestens ebenso viel
über den Rezensenten selbst wie über seinen Gegenstand aus und ist
deshalb einer kurzen Betrachtung wert.
Der Promedia Verlag pflegt ein linkes Image und beansprucht, "Bücher
gegen den Strich" zu verlegen. Als Verfasser der Neuerscheinung
firmierte ein gewisser "Israel Shamir", der, wie sich inzwischen
herausstellte, in zahlreiche Nazi-Seilschaften verstrickt ist. Das
Buch, so warb seinerzeit der Verlag, sei eine Sammlung von Essays,
in denen Shamir nicht nur die "Befreiung Palästinas" befürworte,
sondern sich auch für das weiter gefasste Ziel der "Befreiung des
öffentlichen Diskurses" ausspreche. Shamir lebe in Jaffa und arbeite
als Journalist für das israelische Radio sowie für eine "Reihe von
Zeitungen in Israel, Russland und Japan", teilte der Verlag in der
Autoreninformation mit.
Das Schlagwort "Befreiung Palästinas" scheint in bestimmten Kreisen
sofortige akklamativ-publizistische Aktivitäten auszulösen. Unter
den Blättern aus dem linken Spektrum, die sich mit Verve auf die
Neuerscheinung stürzten, befand sich auch die Wochenzeitung
"Freitag". Sie beauftragte ihren Rezensenten Watzal, sich des Themas
anzunehmen. Watzal hatte bereits selbst einige Schriften zum
Nahost-Konflikt veröffentlicht und gilt daher wohl als Experte.
Seine Rezension erschien in der Ausgabe vom 03.06.2005. Darin
beschied er dem Verfasser des Werks, die "groteske Situation" in
Israel und Palästina "bissig-literarisch" kommentiert zu haben. Das
Buch sei eine freimütige Darstellung Israels und seiner Politik,
"die viele so nicht sehen und wahrhaben wollen". Nicht sehen und
wahrhaben wollte Watzal indes Sätze wie diesen: "Man nehme eine
Ameise und sie wird einen Ameisenhügel bauen. Man nehme einen Juden
und er wird ein Ghetto bauen". Auch andere antisemitische
Textpassagen ließ er ungehindert passieren. Darin bezeichnet der
Buchautor die Palästinenser beispielsweise als "die wahren
Nachkommen des biblischen Israels" während jene, "die Christus
zurückwiesen", dazu verdammt worden seien, "auf ewig
herumzuwandern".
Der Promedia Verlag freute sich über des Rezensenten Lob und
konterte damit jenen Kritikern, die das Buch als antisemitisches
Machwerk bezeichneten. Zu ihnen gehörte etwa der österreichische
Journalist Karl Pfeifer. Seinen Recherchen zufolge war der
angebliche "Israel Shamir" unter dem Namen Jöran Jermas in Schweden
gemeldet. Pfeifer wies außerdem auf die internationalen Nazikontakte
von Jermas hin. Für den Promedia Verlag waren das alles nur
Diffamierungsversuche, um "Kritik an Israel mit der Keule des
Antisemitismusvorwurfs unmöglich zu machen", wie Hannes Hofbauer,
der bei Promedia für die Auswahl von Autoren und Neuerscheinungen
zuständig ist, in einer Rundmail an seine Kundschaft schrieb.
Dumm nur für den Promedia Verlag, dass der angebliche "Shamir" auf
seiner deutschsprachigen Homepage selbst auf seine Kontakte zu der
Neonazivereinigung "Deutsches Kolleg" hinwies. Das Kapitel, "Der
Schatten von Zog", sei erstmalig für das "Deutsche Kolleg" aus dem
Englischen übersetzt worden, hieß es da. Mit einem Mausklick
gelangte man direkt auf die Homepage der Nazis. Aus diesem Grund,
dank Pfeifers akribischer Recherche sowie einem wachsenden
öffentlichen Interesse an dem Fall, ließ sich die These vom
angeblich über alle antisemitischen Zweifel erhabenen Israelkritiker
"Israel Shamir" nicht länger aufrecht erhalten. Der Promedia
schweigt seither zu den Vorwürfen. Dennoch ist das Werk nach wie vor
im Verlagsprogramm.
Der Rezensent Watzal jedoch begann möglicherweise um seinen guten
Ruf zu fürchten und sah sich zu einer Klarstellung genötigt. In
seinem Artikel vom 10. Februar wusste er plötzlich von Kontakten
zwischen "Shamir" alias Jermas und dem jüngst in Wien verurteilten
britischen Holocaust-Leugner David Irving zu berichten. Watzal lief
zur investigativen Hochform auf: Der angebliche "Shamir" werde laut
Meldung "der schwedischen antifaschistischen Zeitung Monitor im
Stockholmer Einwohnermeldeamt als Adam Ermash geführt". Als er dem
Autor "Anfang Oktober 2005 einige Fragen" zu seiner Identität
gestellt habe, sei dies von "Shamir" als unverschämt zurückgewiesen
worden. Na so was. Spätestens jetzt wird der Autor bei seinem
Rezensenten unten durch gewesen sein.
Warme Worte jedoch hatte Watzal erneut für das Buch selbst übrig.
Auf den ersten Blick sei es ihm "durchaus anspruchvoll" vorgekommen,
bekannte er. Passagen wie die Folgende schienen dem Rezensenten nach
wie vor nicht anstößig zu sein: "Die Juden haben Amerika geändert.
(...) Der jüdisch-amerikanische Diskurs erbte das Vorgehen der
Dämonisierung von seinem jüdischen Vorgänger. Die Einführung von
Wut, Hass und Rachegedanken in eine Diskussion über den Gegner ist
eine mächtige traditionell jüdische Waffe". Und weiter: "Das
Judentum (...) hat seinen Platz in der Weltpolitik wieder und das
Gehirn der einzigen Supermacht, der USA, übernommen". Die jüdische
Weltverschwörung, für Watzal scheinbar ein "intellektuell durchaus
anspruchsvoller" Gedanke.
Doch damit nicht genug. "Shamirs" Texte offenbarten
"philosophischen, theologischen, literarischen und
gesellschaftspolitischen Sachverstand und gaben Einblicke in die
palästinensische Kultur und Geschichte", ließ Watzal die Leserschaft
des "Freitag" in seinem neuerlichen Artikel wissen. Der
philosophische und theologische Sachverstand des Gemeinten tobt sich
dabei etwa in solchen Sätzen aus: "Um die Vernichtung der Gojim zu
beschleunigen erfanden die jüdischen Weisen Europas neue
schreckliche Flüche gegen Christen und Christus und schlossen sie
(...) in ihre Pessach- und Jom Kippur-Liturgien ein. (...) Der
Rachemessias hat in der christlichen Theologie einen anderen Namen.
Er wird Antichrist genannt". Der Jude als Antichrist. Wie weit muss
der linke Israelhass bereits gediehen sein, damit sich solche Sätze
als "anspruchsvoll" und sachverständig verkaufen lassen?
Watzal hätte sich damit herausreden können, das Buch leider gar
nicht richtig gelesen zu haben. Ein Fauxpas zwar, aber für viele
möglicherweise ein gerade noch verzeihlicher. Stattdessen jedoch hat
er vorgeführt, wie tief die antizionistische Linke in ihren
politischen und ethischen Wahrnehmungen und Werturteilen gesunken
ist. Manche Leute schlucken scheinbar begierig jeden antisemitischen
Dreck, wenn er nur mit einem wie auch immer gearteten linken Etikett
daher kommt. Fragt sich nur, ob die Leserschaft des Freitag es
gemerkt hat?
Gegendarstellung
von Dr. Ludwig Watzal, 24.02.2006
Herr Beinsens Einlassungen über meinen Beitrag über Israel
Shamir kann man gut unter dilettieren auf niedrigstem Niveau
abhaken. Schuster bleib bei deinen Leisten, möchte man dem
Sozialarbeiter und Flüchtlingsexperten zurufen. Es geht ihm, wie
einigen Antideutschen, HClern und anderen Agitatoren nicht um
sachliche und inhaltliche Auseinandersetzung, sondern um
Diffamierung meiner Person und Manipulation meiner Texte.
Differenzierung scheint nicht Beinsens Stärke zu sein. In der
Tat sind die meisten Shamir-Texte in seinem Buch nicht so platt,
wie der Text dieses Schreiberlings glauben machen will. Shamirs
antisemitischen und judeophoben Ausfälle konzentrieren sich im
Wesentlichen auf zwei Beiträge. Die anderen Texte sind in einem
gewissen Sinne "anspruchsvoll". Diese Bewertung als
"anspruchsvollen Antisemitismus" zu denunzieren, zeigt die
manipulative Absicht des Autors; ebenso die
Nicht-Berücksichtigung meiner Begründung für die Besprechung.
Seine agitatorische Sprache und bösartige Unterstellung zeigt,
wessen Geistes Kind Beinsen ist, wenn er von "antizionistischer
Gehirnwäsche der linken Israelhasser vom Schlage Watzals"
schreibt. Übrigens, Herr Beinsen, ich denke nicht in
Hass-Kategorien. Worte sind wie Spiegel! Beinsen könnte sich
eine Scheibe von Henryk M. Broder abschneiden, der meinen
Artikel über Shamir in seiner eigenen Art bereits kommentiert
hat, aber dazu fehlt ihm das Format. Leider bietet "hagalil"
solchen unqualifizierten Personen immer wieder ein Forum. Bei
"tacheles", dem anspruchsvollen jüdischen Internetportal, hätte
diese dünne Soße nie das Licht der Onlinewelt erblickt. Den
Leserinnen und Lesern von "hagalil" sollten beide Text im
"Freitag" sowie die Texte auf meiner Homepage zugänglich gemacht
werden, damit sie sich eine eigene Meinung bilden können und
nicht Scharlatanen aufsitzen. Gott sei Dank bewegen sich die
Leserinnen und Leser des "Freitag" auf einem anspruchsvolleren
intellektuellen Niveau als Beinsen; sie können im Gegensatz zu
ihm differenzieren.
http://www.freitag.de/2005/22/05221501.php
http://www.freitag.de/2006/06/06061502.php
www.watzal.com |
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"Die Juden sind unser Unglück!" Mit dieser berühmt-berüchtigten
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