Karikaturenstreit:
Die Tabus der Israelis
Israelischen Zeichnern
kommt die aktuelle Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen
bekannt vor. Auch sie haben es in den letzten Jahren mit Empörung
und Zensur zu tun gehabt und die Frage diskutiert, ob man sich über
Gott lustig machen darf.
Von Igal Avidan
Netzzeitung, 9.
Februar 2006
Aus Protest gegen die zunehmenden
palästinensischen Angriffe gegen Juden setzte die israelische
Künstlerin Tatjana Soskin eine spezielle Waffe ein: Die Karikatur.
An einem Tag des Sommers 1997 klebte sie im palästinensischen Teil
der Stadt Hebron Plakate, auf denen sie den Propheten Mohammad als
einen Schwein gezeichnet hatte, der eine Kefiah trägt und den Koran
schreibt.
Damit ihre Provokation auch wirklich verstanden
wurde, schrieb sie auf Arabisch "Mohammed" und "Koran". Eigens zu
diesem Zweck hatte die aus Russland eingewanderte Soskin ein
englisch-arabisches Wörterbuch erworben. Sie selbst trug ein gelbes
T-Shirt der verbotenen rassistischen Kach-Partei. Soskin wurde
vorläufig festgenommen und vor Gericht gestellt.
Jenseits der Meinungsfreiheit
Der Richter Zvi Segal urteilte, dass Soskin sich
keineswegs auf ihre Meinungsfreiheit berufen konnte, um arabische
Muslime inmitten ihrer Umgebung zu beleidigen, zumal die Spannungen
zwischen Israelis und Palästinensern in Hebron erheblich waren. Das
Gericht betonte, dass gläubige Moslems das Schwein für unrein halten
und daher jede Berührung mit diesem Tier vermeiden.
"Unsere Toleranz lässt dies nicht zu, denn außer
der Meinungsfreiheit existieren auch andere Werte," hieß es im
Urteil. Soskin wurde wegen der rassistischen Tat, dem Verstoß gegen
religiöse Gefühle und der Unterstützung einer terroristischen
Organisation zu zwei Jahren Haft und einem zusätzlichen Jahr auf
Bewährung verurteilt.
Die Interessen einer Religionsgemeinschaft
Das Oberste Gericht lehnte Soskins Revision ab,
schränkte jedoch die Definition der Verletzung von religiösen
Gefühlen ein. Für die obersten Richter genießt die Meinungsfreiheit
Priorität. Daher werden nur solche Verletzungen verboten, die die
Interessen einer Religionsgemeinschaft und nicht die eines Einzelnen
betreffen.
Die israelischen Medien berichteten ausführlich
über den Fall Soskin und veröffentlichten dazu eine Abbildung des
umstrittenen Posters. Dieses tauchte nach dem Ausbruch der zweiten
Intifada 2000 auch auf der Webseite der Palästinenserbehörde auf –
neben einem Aufruf zur Beendigung der Gewalt.
Die Welt der Thora
"Darf man sich über Gott lustig machen?" Diese
Frage debattierten israelische Karikaturisten schließlich auf ihrer
Jahrestagung. Allein die Frage schockierte den ultraorthodoxen
Zeichner Joni Gerstein. "Über Gott und die Thora darf man nicht
lachen und man darf sie auch nicht karikieren."
In seiner Zeitung "Yated Neeman" ist die Welt noch
in Ordnung: Berichte über Verbrechen erscheinen hier ebenso wenig
wie solche über Vergewaltigungen. Zu den Tabus gehören auch Begriffe
wie Brustkrebs und Personen wie Monika Lewinski (obwohl sie Jüdin
ist). Frauen werden nur mit Nachnahmen genannt und niemals in einem
Bild gezeigt. Rabbiner, die anderen religiösen Strömungen angehören,
werden nicht als Rabbiner bezeichnet. Über Sport wird gar nicht
berichtet, über Israels Unabhängigkeitstag ebenso gespottet wie über
die Gay-Parade.
Was darf Gerstein also überhaupt zeichnen? Auf
einen großen Turm zum Beispiel, der an die Twin Towers in New York
erinnert, hat er eine Kopfbedeckung mit der Aufschrift "Die Welt der
Thora" gesetzt. Zwei Flugzeuge, die kurz davor sind in das Gebäude
zu krachen, repräsentieren jeweils die nationalreligiöse und die
antireligiöse Partei. Die Ultraorthodoxen betrachten beide als eine
Art jüdische Al-Qaida.
Jüdischer Antisemitismus?
Können auch Juden antisemitische Karikaturen
produzieren? Shlomo Cohen zeichnete zum Beispiel einige prominente
Rabbiner und nahm dabei ihre Taten – nicht aber die Religion – aufs
Korn. Dennoch wurde ihm immer wieder Antisemitismus vorgeworfen,
zuletzt aufgrund einer Karikatur des vor kurzem gestorbenen Rabbiner
Kaduri, die in der Zeitung "Jedioth Acharonot" erschien.
Kaduri hatte auf der Zeichnung eine besonders
stark ausgeprägte Nase, und ein wütender Leser und
Holocaust-Überlebender beschwerte sich beim Oberstaatsanwalt über
das "antisemitische" Werk. Der Jurist schloss sich der Kritik
zunächst an, Cohen aber protestierte und erhielt vom Staatsanwalt
schließlich immerhin eine Entschuldigung.
Gesetzbuch und Selbstzensur
Der Karikaturist Dan Maler beschwerte sich in
einem Aufsatz, dass orthodoxe Abgeordnete ihn als Judenhasser
bezeichnet hatten, "weil ich orthodoxe Juden in schwarzen Mänteln
und mit Vollbart zeichne. Hätte ich sie etwa in bunten Kleidern,
glatt rasiert und in kurzen Hosen abbilden sollen?" Den Text
bebildern einige Werke, unter denen die Warnung zu lesen ist: "Diese
Karikatur ist ein Beispiel in meinem Artikel und darf nicht in
anderem Kontext gezeigt werden." So weit geht inzwischen die
Selbstzensur.
Das israelische Gesetz sieht seit 1977 eine
einjährige Haftstrafe für jeden vor, der durch eine Veröffentlichung
"den Glauben oder die religiösen Gefühle anderer" verletzt. Dieser
Paragraph wird jedoch sehr selten angewandt, und das Institut für
Demokratie hat bereits vorgeschlagen, ihn wieder aus dem Gesetzbuch
herauszunehmen. Es sollten nur solche Verstöße geahndet werden, die
Rassismus oder Gewalt fördern und zur Störung der öffentlichen
Ordnung beitragen könnten.
Denk an deine Familie
Warum muss man Gefühle überhaupt gesetzlich
schützen – fragten die israelischen Juristen. Und warum religiöse
Gefühle im Besonderen? Das Gesetz definiert schließlich nicht
einmal, was eine Religion ist. Und schließlich – verdienen nicht
zerstörte Familien oder Überlebende des Holocaust einen ähnlichen
Schutz?
Durch den Karikatur-Krieg fühlen sich die
israelischen Karikaturisten nun an die vorderste Front versetzt. In
einer neuen Karikatur schaut eine Frau besorgt auf ihren zeichnenden
Mann und erinnert ihn: "Bevor Du mit einer neuen Idee kommst,
vergiss nicht, dass du eine Frau und zwei kleine Kinder hast."
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