MEMRI Special Dispatch – 1. Februar 2006
Muhammad-Karikaturen in dänischer Zeitung:
Debatte hält an
Im September 2005 veröffentlichte die dänische Zeitung
Jyllands Posten zwölf satirische Zeichnungen, die den Propheten Muhammad
zeigen. Diese Karikaturen - unter ihnen etwa ein Bild, das den Turban
des Propheten als Bombe darstellt [1] - sorgten sowohl unter
europäischen Muslimen als auch in der arabischen Öffentlichkeit für viel
Unmut. Unisono wird ihre Veröffentlichung verurteilt und von vielen
Stimmen werden die Bilder als neuerlicher Beweis für eine Islamophobie
im Westen gewertet (s. dazu auch MEMRI Special Dispatch: 21.10.2005).
In diesen Tagen spitzte sich die Auseinandersetzung noch
einmal zu: Dänische Waren wurden von saudischen Supermärkten
boykottiert, Saudi-Arabien und Libyen schlossen ihre Botschaften in
Kopenhagen und aus Ägypten ging eine offizielle Protestnote an den
UN-Generalsekretär. Im Gaza-Streifen besetzten Mitglieder der
Al-Aksa-Brigaden ein EU-Büro. Die Karikaturen werden dabei als Angriff
auf den Islam und die Muslime dargestellt, der nicht durch den Verweis
auf die Meinungsfreiheit zu rechtfertigen sei und für den sich die
Zeitung sowie die dänische Regierung entschuldigen müsse.
In einem Kommentar der in London erscheinenden
panarabischen Tageszeitung Al-Sharq Al-Awsat hieß es, dass derlei
beleidigende Angriffe auf ein Fünftel der Weltbevölkerung allen
internationalen Bemühungen um einen Dialog und Toleranz zwischen den
Kulturen und Religionen widersprächen und lediglich den Extremismus
fördern würden. Die Angriffe auf den Islam hätten "ein so gefährliches
Ausmaß erreicht, dass sie im Rahmen des internationalen Rechts behandelt
werden müssen". Demokratie und Meinungsfreiheit dürften nicht dazu
dienen, dass "gegen die Menschenrechte auf Gedanken-, Gewissens- und
Religionsfreiheit verstoßen wird". Die arabische Öffentlichkeit müsse
aber auch grundsätzlich deutlich machen, dass der Islam und die Muslime
jegliche Beleidigung und Angriffe auf andere Religionen und Kulturen
ablehnen würden. [2]
Auch ein Kommentar in der saudischen Zeitung Al-Jazeera,
der gleichzeitig auf der bekannten liberalen arabischen
Nachrichtenwebsite Elaph erschien, betonte, dass es insbesondere nach
dem 11.9. darum gehe, das Bild des Islam in der Welt gerade zu rücken.
Dazu müsse gegen solche Angriffe auf den Islam und die Muslime wie jene
in Jyllands Posten entschieden vorgegangen werden. Es könne auch nicht
angehen, dass in europäischen Medien Meinungsfreiheit gelte, wenn der
Islam beleidigt würde, der Holocaust aber zum Beispiel nicht
angezweifelt werden dürfe. Gefordert werden koordinierte Proteste auf
höchster diplomatischer Ebene. [3]
Im Folgenden dokumentieren wir in Auszügen den Kommentar
des Chefredakteurs der in London erscheinenden Al-Quds Al-Arabi, Abd
Al-Bari Atwan, der die Karikaturen als Angriff auf alle 1,5 Milliarden
Muslime versteht. Er kritisiert die Verteidigung der Karikaturen und
vergleicht das mit dem Umgang mit Antisemitismus in Europa. Vor diesem
Hintergrund begrüßt er die Proteste in der arabischen Öffentlichkeit und
fordert die arabischen Regierungen auf, mit ähnlichen Maßnahmen auch
gegen die US-Politik im Nahen und Mittleren Osten vorzugehen.
Anschließend dokumentieren wir Auszüge aus einem
Kommentar, der auf der Website Elaph erschien und eine ganz andere
Position einnimmt: Der Autor Baha Al-Musawi stellt die Frage, was die
Araber und Muslime dazu beigetragen haben, dass ein solch schlechtes
Bild vom Islam in der westlichen Öffentlichkeit entstanden ist. Vor
allem angesichts des islamistischen Terrorismus kommt er zu dem Schluss,
dass sich die Araber und Muslime eigentlich bei ihrem Propheten
entschuldigen müssten, weil sie zugelassen haben, dass Al-Qaida und
andere das Bild des Islam so entstellen konnten.
Abd Al-Bari Atwan: "Angriff auf den Islam und die
Muslime"
"Wir leben nun schon seit dreißig Jahren im Westen und wissen, dass hier
Gesetze und Bräuche die Meinungsfreiheit gewährleisten, wie es sie in
keinem arabischen Land gibt, wo die Freiheit unterdrückt wird. Wir
wissen aber auch sehr gut, dass es Grenzen und Regeln gibt, die den
Angriff auf andere Religionen verbieten. Was sich nun in Dänemark und
Norwegen an Angriffen auf den Islam und den ehrwürdigen Propheten
Muhammad [...] ereignet hat, sind Fälle einer Islamfeindschaft, deren
Ausbreitung im Westen mit dem 11.9.2001 begann.
Die großen europäischen Zeitungen und Fernsehkanäle greifen nicht die
Juden oder den christlichen Glauben an und sie wagen es auch nicht, den
Holocaust infrage zu stellen. Und wenn es doch geschieht, dann greifen
spezifische Gesetze und die Angreifer werden zu langen Gefängnisstrafen
verurteilt. Während Antisemitismus im Westen als Verbrechen gilt, ist
die Islamfeindschaft etwas ganz Gewöhnliches und fällt unter das Kapitel
Meinungsfreiheit [...].
Die dänische Zeitung, welche die verspottenden und abscheulichen Bilder
des ehrwürdigen Propheten veröffentlicht hat, verfolgte mit diesem
Verbrechen das Ziel, mehr als 1,5 Milliarden Muslime auf der ganzen Welt
zu kränken und zu beleidigen. Deswegen muss sie sich auf jede
erdenkliche Weise und ohne wenn und aber entschuldigen. Das gilt auch
für ihre Regierung.
Die offiziellen arabischen und islamischen Reaktionen auf dieses
Verbrechen verdienen ebenso Respekt und Anerkennung, wie die aus der
Bevölkerung. Insbesondere gilt das für den Boykott von dänischen und
norwegischen Waren, weil dies eine klare Botschaft darstellt [...].
Zielgerichtete Beleidigungen wie diese sind Wasser auf die Mühlen des
Extremismus. Sie vergiften die Beziehungen zwischen dem Islam und dem
Westen, stacheln zur Gewalt an und erleichtern es Al-Qaida und anderen,
zornige junge Männer für Racheakte gegen die westlichen Gesellschaften
zu rekrutieren."
Auch die "zutiefst korrupten und diktatorischen islamischen Regierungen"
trügen laut Atwan eine große Mitverantwortung für das schlechte Bild des
Islams im Westen, weil sie so schwach seien und sich dem westlichen
Druck beugen würden:
"Die USA haben Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien oder den Irak dazu
gezwungen, ihren Charakter und ihre Politik zu ändern, jeglichen Protest
gegen die Juden zu unterlassen und sie sind kurz davor, die Regierungen
dieser Staaten zu zwingen, eine Reihe von Koranversen zu unterschlagen.
[...] Es ist also an der Zeit, "dass wir die westlichen Regierungen mit
allen möglichen Mitteln dazu zwingen, unseren Glauben und unsere
religiösen Symbole zu respektieren".
Der Boykott von dänischen und norwegischen Waren, der Abzug von
Botschaftern oder die Schließung von Botschaften in Oslo und Kopenhagen
ist kein arabischer oder islamischer Präzedenzfall, sondern ein
legitimes Recht. Schließlich hat auch der Westen Waren aus Südafrika
boykottiert, um gegen das rassistische System zu protestieren. Die
Angriffe auf den Islam und seinen Propheten haben kein geringeres
Gewicht als solche Verbrechen."
Abschließend fordert der Chefradakteur der Al-Quds Al-Arabi die arabischen
Staaten auf, nicht nur gegen kleine Staaten wie Dänemark so entschlossen
aufzutreten, sondern auch die Botschafter aus Washington abzuziehen, um
gegen die Politik der USA in Afghanistan, im Irak und gegen "die
Verbrechen im besetzten Palästina" zu protestieren. Außerdem sollten die
Regime endlich in ihren Ländern Meinungsfreiheit, Menschenrechte und
eine gute Regierungsführung gewährleisten und sich nicht "den
amerikanischen Forderungen und Befehlen" fügen, die "den Geist des
Islams" töten würden. All das wären Maßnahmen, die der Verteidigung des
Islam dienten. [4]
Baha Al-Musawi: "Nicht die dänische Regierung, die
Araber und Muslime sollten sich entschuldigen"
"Unser Problem besteht doch immer wieder darin, dass wir das wir uns nur
mit Folgen aber nicht mit Ursachen beschäftigen. Immer sind es die
anderen, die Fehler machen und wir haben Recht [...] Als hätte Gott auf
dieser Welt niemand außer uns geschaffen.
Warum beschäftigen wir uns nicht mit dem wirklichen Problem, das diesen
kleinen Zeichner dazu bewegt hat, den Propheten Muhammad auf diese
widerwärtige Art zu zeichnen? [...] Harmonieren denn unsere Aktivitäten,
das Handeln von Arabern und Muslimen also, mit den Prinzipien und
Grundmotiven des Propheten? Waren wir gute Treuhänder bei der
Übertragung des Islam in die Welt, haben wir ihn im besten Licht
erscheinen lassen, so wie der ehrwürdige Prophet es vorgelebt hat? Waren
wir so tolerant und nachsichtig wie es unsere Religion verlangt? [...]
Seit wann sind die Araber und Muslime denn so bemüht um ihre Religion und
ihren Propheten, dass sie alles tun, um Dänemark und seine Führung zu
attackieren und seine Waren zu boykottieren? [...] Und wenn wir so um
unsere Religion und den Propheten bemüht sind, warum nehmen wir eine
solche Haltung dann nicht gegenüber jenen islamischen Gruppierungen ein,
die unschuldige Muslime und andere Menschen umbringen? Warum sind wir da
nicht so wütend wie wir es jetzt im Kampf gegen Dänemark sind, und
unternehmen das gleiche wegen dieser islamischen Gruppierungen, die
Frauen abschlachten und foltern und sich in vielen Ländern der Welt
inmitten von Unschuldigen in die Luft sprengen? [...] Warum gibt es
keine Demonstration von auch nur fünf Muslimen, bei der die Morde an
Unschuldigen kritisiert werden, die von den mörderischen Terroristen um
Bin Laden, Zarqawi und Zawahiri tagtäglich im Irak und andernorts
begangen werden? [...] Warum präsentieren wir nicht ein Bild von
Muhammad als gläubigem, aufrichtigem und tolerantem Menschen, anstatt
Muhammad zu einem Bild von Bin Laden, einem Schwert, des Tötens, der
Taliban, der Enthauptung und des Selbstmords verkommen lassen? Wie
können wir den Mord an Ungläubigen gestatten, obwohl Muhammad sie geehrt
hat? Wie können wir die Frauen fesseln, obwohl Muhammad sie verehrt hat?
Wie können wir Blut vergießen, obwohl Muhammad das verboten hat?! [...]
Es sind also die Araber und Muslime selbst, die der Hauptverursacher für
die Diffamierung dieser Religion und des Bilds von Muhammad sind, weil
sie nicht das wirkliche Bild dieser himmlischen und unsterblichen
Botschaft und seines ehrwürdigen Propheten verkörpern. Wir alle müssten
uns bei Muhammad entschuldigen, weil wir sein Bild entstellt haben." [5]
Anmerkungen:
[1] Alle Bilder unter:
http://www.brusselsjournal.com/node/698
[2] Al-Sharq Al-Awsat, 31.1.2006
[3] Elaph, 30.1.2006
[4] Al-Quds Al-Arabi, 31.1.2006
[5] Elaph, 29.1.2006
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